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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gratiana.
Eine Harzgeschichte von E. Vely.
(Fortsetzung)


Das Mädchen stutzte und schaute zur Erde; er sprach so hart mit ihr, in einem spöttischen Tone, und doch hatte sie gestern das Bild der schönen Frau für ihn geschmückt – es that ihr weh. Plötzlich blickte sie auf und sagte mit fast kindlicher Demuth:

„War es nicht recht, Herr Professor?“

Diesmal konnte er wiederum nicht vermeiden, tief in die blauen Augen zu blicken.

„Gewiß nicht, Fräulein Jeanne, denn ich meinte es gut und hätte, falls Ihnen der Brief nicht willkommen gewesen wäre, denselben an den Verfasser zurückgeschickt, in einer Art, die ihn fernerer Stilübungen überhoben hätte.“

„Ah,“ flüsterte sie beinahe staunend.

Schon wieder war sein Argwohn rege. „Sie hätten das aber nicht gewünscht?“

„Darüber dachte ich noch nicht nach, aber ich wundere mich, warum Sie es so gut mit mir meinen.“

Er hätte ihr anders antworten mögen, mit einem raschen, betheuernden Ausdrucke, der aus dem Herzen kam – aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, und sagte nur etwas wärmer als zuvor:

„Haben Sie mich für einen Unmenschen gehalten? Aber nun seien Sie auch offen! Ahnen Sie, was in diesem Briefe stand?“

Wieder erröthete sie.

„Vielleicht, ja! –“

„Es ist der erste, den Sie empfingen?“

„Ja – und ich erwartete ihn nicht.“ Dann wandte sie das Haupt nach dem Hause hin. „Großmutter wird rufen. – Guten Morgen, Herr Professor!“

Sinnend schaute Ehrenfried ihr nach.

„Sie weicht aus; was soll ich von ihr halten? Ist sie eine Kokette? Nein, ihr ruhiges, offenes Auge widerspricht der Annahme. Das Mädchen interessirt mich immer mehr.“

Er legte die Hände auf dem Rücken zusammen und ging, den Kopf gesenkt, die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, zu seinen „einzigen Freunden“, wie er murmelnd sagte, indem er sich am Tische niederließ, – den Büchern.

Das Bild mit dem Epheukranze hatte wiederum nicht einen Blick erhalten. –

Gleich nach der Mittagsstunde stand der Professor abermals, zum Spazierengehen gerüstet, draußen auf der Landstraße. Es schien, als überlege er noch, nach welcher Richtung er sich wenden wollte, denn er spielte eine Weile, in Gedanken versunken, mit seinem Stocke, hob dann den Kopf, nickte sich selber wie bejahend zu und schritt schnell davon.

Die Großmutter hatte am Fenster gestanden.

„So,“ sagte sie, sich der Enkelin zuwendend, „jetzt ist er mit seinem Plane fertig, nun geht’s im Schnellschritt davon. Solch gelehrte Herren haben ihre Sonderbarkeiten, die ihnen aus den vielen Büchern in den Kopf gestiegen sind und die sie Zeit ihres Lebens nicht wieder los werden. Und dem sitzt auch noch was im Herzen, das ihn unruhig macht.“

„Die schöne Dame oben,“ versetzte das Mädchen, „Großmutter, wenn Du sie nur sehen könntest!“

„Ja, die muß es sein. Weißt Du, Kind, solche Leute, zu denen unser Professor gehört, die haben sich ganz anders, wenn Eins das Andere mag, als wir. Bei uns ist das ruhig mit Vater und Mutter abgesprochen; dann fragt das Paar einander, ob man die Last und Mühe des Lebens zusammen tragen will, und hat man sich das versprochen, so giebt der Pastor den Segen des lieben Gottes hinzu. Aber die Vornehmen, die haben ein Gethu’ vor der Hochzeit und sehen den Himmel voller Geigen; nachher freilich – pflegte mein Vater zu sagen – brummt oft die Baßgeige drein. Kind, ich habe schon viel erlebt; wir schlichten Leute sagen, ‚wir haben uns gern‘; die Anderen sprechen von Liebe und ewiger Treue an Tod und Elend, wenn sie einander nicht haben sollen – es wird aber nie so schlimm, weder im Guten noch im Bösen.“

„Und – unser Professor, meinst Du, Großmutter, der sei vor Glück und Freude – so sonderbar?“

„Nun, gewiß! Ich kenne das, Kind.“

Jane schaute ernst vor sich nieder; endlich sagte sie leiser als vorhin: „Doch dünkt mich oft, er sehe gar nicht glücklich aus – und wenn er sie liebt, warum ist er nicht bei ihr? Warum hier auf dem Harz, so von der Welt abgeschnitten?“

„Ah, sinne und simulire!“ sagte die Alte fast barsch, „was geht es denn uns an! Er wird etwas arbeiten müssen und will einen klaren Kopf dazu haben.“

Jane seufzte tief auf und beugte sich wieder über ihre Arbeiten. – –

Der Gedankengang des Professors war ein recht krauser gewesen. Erst hatte er in den Wald, dann nach einer Grube und endlich nach den Schmelzöfen gewollt; jeder dieser Pläne wurde aber wieder verworfen, und endlich war er zu dem Resultat gelangt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_617.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)