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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zuweilen sogar noch seine Verurtheilung in einen, wenn auch noch so geringen, materiellen Gewinn zu verwandeln. Je nach der Tragweite der Verhandlungen sind bald nur wenige Menschen, bald Hunderte und sogar Tausende versammelt. Große Palaver, die unter den Eingeborenen allein geführt werden, bei denen es sich um bedeutsame innere Vorgänge handelt, sind, ungeachtet manches dem Fremden grotesk Erscheinenden, durchaus feierliche und in ihrem würdevollen Verlaufe imponirende Ereignisse.

In Loango hält man streng auf exacte Beobachtung ceremonieller Höflichkeit, parlamentarischer Regeln; die Leute sind gewiegte Diplomaten, erfahrene Redner, die ihre wohllautende Sprache meisterhaft zu handhaben verstehen. Ein Obmann und gewählte Sprecher leiten die Debatten. Jener, gewöhnlich ein Muboma, führt als Zeichen seiner Würde das Tschimpapa, ein breites, stumpfes und eigenartig ausgezacktes Sceptermesser, das eine ähnliche Macht verleiht, wie die Klingel, der Hammer bei Culturnationen, dessen Handhabung jedoch auch die zahlreichste und erregteste Versammlung vollständig beherrscht. Sobald tumultuarische Auftritte den Gang der Verhandlungen gefährden könnten und der Ordnungsruf des mit dem Tschimpapa Betrauten unbeachtet verhallt, wirft er zwischen die Streitenden sein Würdezeichen zur Erde nieder. Sofort haben die Parteien zu schweigen, zu ihren Plätzen zurückzukehren und sich so lange ruhig zu verhalten, bis der Obmann das Tschimpapa wieder aufnimmt und damit die Fortsetzung der Erörterungen gestattet, Jemandem das Wort ertheilt oder auch die Versammlung vertagt.

Am Morgen des Palavertages bemerkten wir Schaaren zum Theil bewaffneter Leute nach Yenga ziehend, in langen, charakteristischen Einzelreihen geordnet, wie die zwischen hoher Vegetation sich entlang windenden schmalen Pfade sie bedingen. Vom Strande herauf dröhnte barbarische Musik; die Deputirten vom unfern gelegenen, sehr wohlhabenden Nachbardorfe Makaya passirten vorüber und ehrten uns durch einen Gruß aus ihren vier kostbaren Mpundschi. Unter letzteren versteht man die Loango eigenthümlichen und in vornehmen Familien forterbenden Elfenbeinhörner, vollständige, verschieden große Elephantenzähne, welche mühsam bis nahe zur Spitze durchbohrt und gewöhnlich mit reicher und origineller Schnitzerei verziert sind.

Um zehn Uhr sandte man uns Botschaft, daß die Häuptlinge vollzählig versammelt seien. Wir nahmen unsere Gewehre und begaben uns nach Yenga mit einigen der stattlichsten unserer Leute, von denen der Intelligenteste und Getreueste, unser späterer Dolmetscher Ngo, nicht unerfahren war in den Künsten der Nganga. Er trug seinen in seine Felle gehüllten, mit landesüblichen Eisenglöckchen behangenen Fetischbeutel über der linken Schulter.

Unter einem weitverästelten Baume, einem Ficus, auf dem Dorfplatze fanden wir das Negerparlament tagend. Es mochten an dreihundert Eingeborene anwesend sein, Abgeordnete aller betheiligten Gaue und Ortschaften des Districtes, welche in guter Ordnung, ernst und schweigend, theils auf der Erde, theils auf Papyrusmatten (Luangu) mit gekreuzten oder sonst bequem gelegten Beinen saßen. Zahlreiche Weiber mit und ohne kleine Kinder, die Jugend beiderlei Geschlechts aus der Umgegend, sowie Sclaven bildeten in angemessener Entfernung einen neugierigen Zuschauerkreis. Die Sitz und Stimme habenden Parteien umrahmten alle Seiten eines Vierecks, das ungefähr fünfzehn Schritt im Quadrat hielt und gänzlich frei gelassen sowie sauber gefegt war. Die erste Reihe jeder Abtheilung bildeten die betreffenden Häuptlinge mit einigen ihrer im Range zunächst kommenden Vertrauten; noch vor ihnen saßen, jeder allein, ihre Kriegsobersten. Letztere hatten ihre breiten, leicht gebogenen säbelähnlichen Messer einheimischer Arbeit, mit der Schneide nach ihrer Person zu, vor sich in der Erde stecken.

Die bei weitem stärkste Truppe bestand aus den Leuten des todten Muboma. Neben ihnen am rechten Flügel nahmen auch wir Platz auf für uns bereit gehaltenen Stühlen und verstärkten auf diese Weise moralisch die Coalition der Küstenbewohner. Sie alle waren kenntlich an den Stirnbändern von indigoblauem Stoffe, dem Zeichen der Trauer; sie alle waren ausnahmslos bewaffnet mit Steinschloßflinten, die sie aber sämmtlich mit der Mündung zur Erde und gegen die linke Schulter gelehnt hielten. Die übrigen Parteien hatten nur wenige Schießwaffen mitgebracht, befanden sich auch in der Minderzahl gegenüber diesen auf Seite in geschlossenen Reihen hinter ihren Führern geschaarten Kriegern. Vor ihnen saß auf der Erde der Oberste des todten Muboma, ein großer stattlicher Mann; er allein unter Allen trug das kriegerische Abzeichen seiner Würde, einen Streifen Leopardenfell um seinen linken Oberarm. In seiner rechten Hand und zurückgelegt an die Schulter hielt er das schon erwähnte Tschimpapa, das Machtzeichen des verstorbenen Oberrichters. Angehörige von Fürstenfamilien waren nicht erschienen.

Das Parlament wurde angemessen durch Musik eröffnet. Die vier Leute mit den Elfenbeinhörnern aus Makaha traten in die Mitte des freigelassenen Vierecks, wandten sich dann hinüber zu der Kriegerschaar des Muboma, knieten oder hockten vor derselben nieder und bliesen einen markigen, streng ryhthmischen Satz im Viervierteltact, den ich später auch bei Palavern in anderen Provinzen gehört habe, eine Art Heroldsruf. Das größte an fünf Fuß lange Horn begann und intonirte das charakteristische Motiv; die übrigen nahmen dasselbe der Reihe nach auf, das kleinste zuletzt, sodaß gleichsam ein allerdings sehr barbarischer Kanon entstand, dessen unleugbare dauernde Disharmonie inmitten einer solchen Umgebung seiner fast grandios zu nennenden Eigenart keinen Abbruch that. Das musikalische Verständniß der Vortragenden war natürlich ein sehr primitives; ihre Bestrebungen concentrirten sich auf das Tacthalten und namentlich einen möglichst kräftigen Gebrauch ihrer Lungen. Die äußerst machtvollen Töne dieser Instrumente ähneln in Klangfarbe den riesigen Schalmeien oder Muscheltrompeten und erinnern sehr an die unserer Tuba, unserer Posaune, sind jedoch weicher.

Von rechts nach links umziehend, wiederholte das Orchester diesen längeren einleitenden Heroldsruf vor jeder der vier Seiten. Als dies beendet, erhob sich der Kriegsoberste von Munoma’s Anhängern, schritt gemessen in die Mitte des Vierecks, rief die Versammelten an und begrüßte sie, indem er vor jeder Partei sich auf das rechte Knie niederließ, das Tschimpapa mit dem Griff auf die Erde stieß und, mit dem oberen Ende nach den Angeredeten zu, niederlegte. Dann schlug er langsam dreimal doppelt in die Hände, wobei ihm sämmtliche der begrüßten Partei Zugehörenden genau nachahmten, und hielt ihnen eine kurze Rede, während welcher sie wiederum beistimmend und emphatisch bei dem letzten Worte jedes Satzes einfielen, wie es der von Alters her überkommene Gebrauch erforderte. Zum Schlusse folgte wieder das gravitätische dreifach doppelte Händeklappen. Nachdem dies geschehen, trat jener in die Mitte des Raumes, legte, ein Knie beugend, das Tschimpapa vor sich zur Erde und verkündete feierlich, daß der Muboma todt sei. Unter wunderbar dramatischen Geberden, mit reicher Modulation der Stimme, scheinbar jedes Wort abwägend, hielt er eine Rede über Alles, was vorgegangen, dabei auf uns deutend und besonders betonend, daß selbst die Weißen erschienen seien. Die ganze Versammlung unterstützte und ermunterte ihn einmüthig durch kurze Beifallsäußerungen, die genau in die Redepausen fielen, oder indem man das letzte Wort eines Satzes nachdrucksvoll gleichzeitig mitrief. Dies Alles verlief so würdevoll und gehalten, daß auch der Europäer einen bedeutsamen Eindruck empfangen mußte – und doch! wie viel List und Hintergedanken mochten auch in dieser so ceremoniös versammelten Menge verborgen sein!

Während der Sprecher sich zu seinem Platz wandte, trat rasch und herausfordernd ein Unterbeamter des Verstorbenen in das Viereck, der Ankläger. Wild, in sprudelnder Rede, unter den heftigsten Gesticulationen, rief er: „Der Muboma ist todt, aber die Zauberer, die ihn umgebracht, die leben; wo sind sie? wer zeigt sie?“ Die Umsitzenden fixirend, nach allen vier Seiten die Hände mit ausgepreizten Fingern schüttelnd, erhob er wieder und wieder seine Stimme. Da sprang mit lautem Ausruf ein junger Mann von einer Gegenpartei in den Raum, den Kriegstanz aufführend, das Gewand hochgeschürzt, ein großes Buschmesser schwingend, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Weiber brachen eilig grüne Büsche ab, liefen herbei und steckten dem ob dieser Störung etwas Ungeduldigen einen Zweig in seinen Gürtel. Er raste etwa drei Minuten lang umher.

Der Sprecher des mächtigsten Häuptlings aus dem Innern erhob sich hierauf, ein klug dreinschauender alter Mann, schmächtig, mit intelligentem Gesicht. Vom Leiter der Verhandlungen sich das Tschimpapa entlehnend, begrüßte er im Namen seiner Partei in derselben umständlichen Weise wie jener die Versammlung und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_630.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)