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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Zimmer zu trinken,“ sagte eintretend die alte Sanna, „sie lassen um Entschuldigung bitten, daß sie nicht mit zu Abend speisen; die Frau Baronin haben Kopfschmerz.“

Die alte Frau trug einen Präsentirteller mit einer alterthümlichen kleinen Kanne und einer Tasse im Rococogeschmack. Sie war offenbar im Begriffe, ihrer Herrin den Thee zu bringen, und stand nun, einer Antwort wartend, an der Thür; sie blickte prüfend auf die drei Gestalten, als wollte sie ergründen, was für einen Eindruck diese Nachricht auf sie mache. Die träumende Frau am Kamine schien ihre Worte gar nicht gehört zu haben und schreckte empor, als ihre Tochter freundlich sagte:

„Wir bedauern das gewiß sehr, liebe Sanna, und wünschen Großmama herzlich gute Besserung.“

„Ist Ihre gnädige Frau krank, Sanna?“ fragte die Baronin.

„Jawohl,“ erwiderte diese, und ihre große knochige Figur richtete sich zur vollen Höhe auf, indem sie die grauen Augen unter der finsteren Stirn fest auf das erschrockene Gesicht der Fragenden richtete. „Die Frau Baronin müssen ja von hier krank fortgegangen sein, denn sie kamen mit heftigem Herzklopfen in ihr Zimmer; ich habe ihr schon drei Brausepulver mischen müssen. Wenn’s nur nichts Schlimmes wird!“

Es lag etwas Vorwurfsvolles, Impertinentes in dieser Antwort, weniger noch in den Worten, als in der Stimme und dem Ausdrucke des Gesichtes, sodaß der Baronin Derenberg plötzlich vor Entrüstung das Blut in die Wangen stieg.

„Ich bedaure sehr,“ sagte sie mit erhobener Stimme, indem sie eine entlassende Handbewegung machte, „und hoffe, daß es der gnädigen Frau morgen besser gehen wird.“

„Sehr wohl,“ erwiderte die Alte und verließ das Zimmer, aber ihre Haltung und der Ausdruck ihrer Züge unter der gefältelten Haube waren geradezu feindselig geworden.

Army war aufgesprungen, und dunkelroth im Gesichte schaute er der verschwindenden Dienerin nach.

„Army, ich bitte Dich,“ rief die Baronin, „laß sie! Du machst es nicht besser, wenn Du sie zur Rede stellst. So ist sie ja von jeher gewesen; sie kann, wie ihre Herrin, das heiße südliche Blut nicht verleugnen, und dann – sie liebt die Großmutter abgöttisch. Du weißt, Army, daß Sanna schon mit der Großmama aus Venedig hierherkam, daß sie die Zeiten des Glanzes mit ihr verlebt hat und jetzt standhaft die Sorgen und Entbehrungen mit ihr theilt. Sanna hat viele gute Seiten; eine Treue wie die ihrige ist selten; und Euch, Kinder, besonders Dich, Army, liebt sie über Alles; sie ist außerdem schon so alt, daß man ihr vieles gar nicht übel nehmen kann.“

Army antwortete nicht; er nahm seine Mütze. „Ich muß einen Augenblick in’s Freie, sonst schlafe ich schlecht,“ sagte er entschuldigend, küßte der Mutter die Hand und verließ das Zimmer.

Er stand dann in dem hohen kalten Corridor und fragte sich selbst, wohin er eigentlich wolle. „Erst muß ich mir den Paletot holen,“ dachte er, und schritt den langen Gang hinunter zu seinem Zimmer; ihm war so wunderbar zu Muthe heut – zum ersten Male hatte seine junge Stirn der Ernst des Lebens gestreift. Freilich, er wußte ja, daß seine Familie in dürftigen Verhältnissen lebte, aber er hatte sich nach echter Knabenart keine Gedanken darüber gemacht. Nun hatte ihm die Großmutter davon gesprochen und ihm zugleich die Hoffnung auf eine reiche Erbschaft in Aussicht gestellt, aber es war ja noch eine Erbin da, ein kleines rothhaariges Geschöpf, wie Großmama sie vorhin nannte.

Die schöne Agnese Mechthilde fiel ihm ein; wie hieß es doch in dem Verse: „Darumb nimb war, wasz für Haar! Ist solches roth, hatz groß Gefahr.“ Die rothen Haare würden doch nicht auch ihm Gefahr bringen? Doch nein, er hatte keine Anlage zum Idealisten.

Großmutter hatte gesagt: „Auf Dich, Army, und auf die Stontheim’sche Erbschaft baue ich meine ganze Hoffnung,“ und nun hatte er ihr etwas von „Erbschleichen“ entgegengerufen. Aber freilich die Blanka, die kleine rothhaarige Blanka – da war sie schon wieder – aber Tante Stontheim konnte ja theilen zwischen Blanka, Nelly und ihm – ja, das war ein Ausweg. Ob nicht doch noch Alles gut werden könnte?

Ihn fröstelte; er trat zum Kamin und warf eine Hand voll Reisig in das verglühende Feuer; die Flammen schlugen prasselnd aus in dem dürren Holz und beleuchteten zuckend und unsicher den getäfelten Fußboden. Ihr röthlicher Schein ließ das vergoldete Laubwerk des alte Kamins in hellem Glanz aufblitzen, und die Augen des jungen Mannes folgten träumerisch den Windungen der Eichenguirlande, die sich unter dem Sims des Kamins hinzog; in der Mitte umschloß sie kranzartig ein Schild; es stand ein Spruch darauf: „An Gott nit verzag! Glück kombt all Tag,“ ein Kernspruch alter – längst vergangener Zeiten. „Glück kombt all Tag,“ wiederholte er halblaut noch einmal; hatte er denn noch nie diese Worte gelesen? Sie ergriffen ihn mächtig in dieser Stunde; konnte denn nicht das Glück auch zu ihm wieder kommen?

Er sah empor zu den prächtigen Hirschgeweihen – alle waren sie von den Derenbergs erbeutet, wie die Täfelchen mit Namen und Datum anzeigten, alle in den Wäldern, die man theils verkauft, theils verpfändet hatte. Aber es konnte ja möglich sein – warum denn nicht? – daß er wieder dort jagte, wo seine Vorfahren so manche fröhliche Pirsch gehalten. Weg mit den Grillen! Das Leben lag ja noch vor ihm, so hoffnungsreich, so lockend, und „Glück kombt all Tag.“

Ueber sein jugendliches Gesicht flog es wieder wie Sonnenschein; das Herz klopfte ihm heiß in der Brust, und er fühlte den Muth, auch Stürmen zu trotzen. „Nur vorwärts, weiter hinein in die Woge des Lebens! Je toller die Brandung, je besser! Ob Lust oder Schmerz, ich nehme es wie es kommt; ein Leben ohne Kampf – das ist kein Leben. Ich will Großmama um Verzeihung bitten des Erbschleichens wegen,“ fuhr er fort, „auch Mama soll nicht mehr so traurig sein – warum so schwarz sehen? Selbst die Kleine hing ihr Köpfchen, ja so – das war wegen der Liese, der kleinen Lumpenliese, pah! das ist nicht der Rede werth, und sie wird es später selbst einsehen, daß –“

Er pfiff ein Liedchen vor sich hin, als er den Corridor entlang schritt, um zu seiner Mutter zurückzukehren.

(Fortsetzung folgt.)




Franziska Ellmenreich.

Verschiedenartig sind die Begabungen der Künstlerinnen, denen es vergönnt ist, auf weitere Kreise eine glänzende Wirkung auszuüben: die einen verdanken diese Wirkung der Hoheit und Majestät des Kothurns und der zündenden Macht tragischer Leidenschaft, die anderen der maßvollen Harmonie einer sympathischen Natur, welche innerhalb der Grenzlinien des Schönen anmuthige Gebilde schafft.

Zu jenen ersten Künsterinnen gehört Charlotte Wolter, zu den letzteren Franziska Ellmenreich, eine jüngere Darstellerin, welche überall, wo sie bisher aufgetreten, einstimmigen Beifall gefunden und sich warme bis zur Begeisterung gesteigerte Sympathien erworben hat. Von Hause aus ein strebsames Talent, mit angeborenem Tact für das Richtige und Zutreffende, von durchaus gefälligen Formen, klug ohne die Aufdringlichkeit eines zergliedernden Scharfsinns, geistreich ohne prahlende Schaustellung eines pikanten Esprits, warm und herzlich ohne sentimentale Ueberschwänglichkeit, war sie auf harmonische Gestaltungen angelegt und durch ihre ganzen Bildungsgang hierin gefördert, sodaß sie stets die schöne künstlerische Mitte behauptete, ohne künstlerischer Mittelmäßigkeit zu verfallen. Bei ihrem rastlosen Fortstreben von Jahr zu Jahr, bei ihrer aufgeschlossenen Empfänglichkeit für alle Anregungen, die ihr von außen zukamen, hat sie jetzt einen Platz unter den hervorragenden Künstlerinnen der deutschen Bühne erreicht, der es wohl rechtfertigt, daß wir einen Blick auf ihren Bildungs- und Lebensgang werfen.

Franziska Ellmenreich stammt aus einer Künstlerfamilie; sie beweist von neuem die Erblichkeit künstlerischer Anlagen, mag auch das Licht des Talents sich in einem Regenbogenspiel mannigfacher Farben brechen. Ihre Großmutter, Friederike Ellmenreich, hat sich als eine der ersten Uebersetzerinnen italienischer Operntexte in weiten Kreise bekannt gemacht; ihr Vater, Albert Ellmenreich, bekleidete einundzwanzig Jahre lang eine erste Stelle als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_652.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)