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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Charakterdarsteller am Schweriner Hoftheater, bekundete aber auch musikalische Begabung als Componist der Opern „Der Schmied von Gretna-Green“ und der „Gundel“, welche letztere wegen ihrer politischen Tendenz verboten wurde. Noch bekannter war er als Liedercomponist geworden. Franziska wurde am 28. Januar 1850 als Tochter des Schauspieler-Componisten in Schwerin geboren: Anregungen des Theater- und Musiklebens mußten unausbleiblich, obschon die sorgfältig erzogenen Kinder dem Theater gänzlich ferngehalten wurden, doch schon aus der ganzen Atmosphäre, in der sie athmeten, ihnen zuströmen. So kam es denn auch, daß Franziska in aller Stille eine Rolle einstudirt hatte. Es war dies die Selma in „Mutter und Sohn“ der Frau Birch-Pfeiffer. Der Vater prüfte die Tochter, doch wortkarg, wie er war, sprach er sich nicht über den Erfolg der Prüfung aus. Daß dieser nicht ungünstig ausgefallen, konnte Franziska aus dem Eifer entnehmen, mit dem der Vater ihr jetzt manche andere Rollen einstudirte. Es war natürlich, daß er, bei seiner Begeisterung für Musik und seinen Leistungen als Componist, auch für die musikalische Ausbildung der Tochter Sorge trug. Sie nahm Gesangsstunden, die freilich nicht den Zweck hatten und nicht ausreichten, sie zur dramatischen Sängerin auszubilden, aber sie doch für den Vortrag leichter Lieder hinlänglich schulten. Man fand ihre Stimme zwar nicht stark, doch angenehm.

Die kleine Theaterenthusiastin sah sich plötzlich und früh genug am ersehnten Ziele. Kaum confirmirt, noch nicht fünfzehn Jahre alt, trat sie schon auf einer deutschen Hofbühne auf. Es war dies freilich keine große Bühne, immerhin aber ein Theater, das neuerdings mit den größten Hoftheatern gewissermaßen in Concurrenz trat: die Meininger Hofbühne, die damals indeß noch nicht als Hofwanderbühne die alleinseligmachende Lehre vom künstlerischen Ensemble in bewunderter Praxis durch die Lande trug. Die Rollen, welche der kleinen Debutantin zufielen, waren natürlich sehr bescheidener Art. Sie trat zuerst als Brautjungfer im „Freischütz“ auf. Die Aufregung des Lampenfiebers ließ ihr zartes Stimmchen noch dünner und schwächlicher erscheinen, gleichwohl regten sich einige mitleidige Hände. Das war ihr Debut in der Oper, welches wenig Aussicht eröffnete, daß sie den Lorbeer der Primadonna erobern werde. Gleich darauf sah das Meininger Publicum sie im Schauspiele und zwar in kleinen, aber sehr gefährlichen Rollen. Was ist gefährlicher als ein Page im Schauspiele? Je weniger solche Pagen zu sagen haben, desto mehr sieht das Publicum darauf, wie sie es sagen. Die kleinste Anmelderolle hat ihre Klippen: für Pagenrollen sind diese Klippen am schwersten, denn es wird zugleich die ganze Erscheinung kritisirt. Es sind ja meist die angehenden jungen Künstlerinnen, welche sich in diesem schmucken Costüme auf der Bühne präsentiren, ohne recht brilliren zu können, wie in den eigentlichen sogenannten Hosenrollen, aber Pagenrollen sind die Hosenrollen der classischen Tragödie, welche sonst den Geschlechtertausch verschmäht. Darum werden sie mit einer gewissen besondern, oft boshaften, oft allzu wohlwollenden Aufmerksamkeit betrachtet.

Die junge Franziska spielte zwei classische Pagen aus Schiller’schen Tragödien, zuerst den Pagen aus „Maria Stuart“. Das profane deutsche Theaterpublicum wird von der Existenz eines solchen Pagen nichts wissen; denn die Bühneneinrichtung, in welcher das Trauerspiel meistens gegeben wird, hat ihn beseitigt. Doch in Meiningen konnte man schon damals auf ein geduldiges Publicum rechnen, welches den Pokal der elastischen Tragödie bis auf die Neige leert. So schloß man auch „Maria Stuart“ nicht, wie dies fast allgemein üblich ist, mit dem dröhnenden Effect des zur Erde stürzenden Lord Leicester, sondern man gab auch noch die folgenden Scenen, die im Zimmer der Königin Elisabeth spielen. Hier tritt ein Page auf, der als solcher verhältnismäßig viel zu sprechen hat. Franziska glänzte mit diesem gefährlichen Rapport auf der Probe so, daß man ihr auch die Schlußworte der ganzen Tragödie anvertraute, da Graf Kent, der sie eigentlich zu sprechen hat, dem Schiller’schen Genius nicht gerecht zu werden vermochte. Diese Worte lauten bekanntlich:

Der Lord läßt sich
Entschuldigen; er ist zu Schiff nach Frankreich.

Wenige Worte: aber sie berichten eine für Elisabeth niederschmetternde Thatsache und verkünden die Nemesis, welche der Dichter für sie bereit gehalten hat. Und die Schlußworte einer Tragödie, kurz vor dem fallenden Vorhange, welche Verantwortlichkeit! Wenn sie das Publicum in eine heitere Stimmung versetzen, so werden fünf Acte um den Schlußapplaus gebracht.

Franziska feierte einen kleinen Triumph durch das Vertrauen, das man in sie setzte, und sie wußte es auch zu rechtfertigen. Doch sie sollte auch den Revers der Münze kennen lernen. Ihr zweiter Page war der in „Don Carlos“. Das ist nicht blos ein anmeldender Knabe: seine Scenen mit Carlos und der Eboli haben dramatisches Leben. Hier blieb nun die junge Künstlerin stecken, in bedauerlicher rettungsloser Weise. Darüber war sie lange nicht zu trösten, obwohl man ihr aus der Chronik des Theaters zahlreiche Beispiele ähnlicher Unglücksfälle mittheilte, welche sogar großen Künstlern zugestoßen waren. Einen ersten wirklichen Erfolg, der sich zu Hervorruf bei offener Scene steigerte, errang sie in der Rolle des Bärbel in Iffland’s „Jägern“. Nun wuchs ihr Muth! Noch einmal übernahm ihr Vater die Leitung ihres Talentes bei einem dreimonatlichen Sommerengagement, wo sie alle Tage spielte, bedeutende und unbedeutende Rollen, und so die nöthige Routine gewann.

In Mainz wurde sie zuerst für ein bestimmtes Rollenfach engagirt, für das Fach der zweiten Liebhaberin, jedenfalls eines der entsagungsvollsten Fächer der Schauspielkunst, dem gar keine Lorbeern blühen. Man lasse eine hervorragende Künstlerin zwei Jahre hindurch zweite Liebhaberin in Lust- und Trauerspielen darstellen, und über ihren Ruhm wird gewiß bald Gras wachsen. Inzwischen giebt jedes Fach immer einen bestimmten Halt, und der neueste Ukas der Bühnenleiter, durch welchen die Fächer in den Contracten der Schauspieler abgeschafft werden, verdient die entschiedenste Mißbilligung, da er die Darsteller den Launen der Directionen vollkommen preisgiebt, während jedem Engagement doch nach wie vor ein bestimmtes Fachschema zu Grunde liegt, ohne das keine Direction ein Ensemble bilden könnte.

Von Mainz kam Fräulein Ellmenreich nach Cassel, wo sie ebenfalls meistens zweite, aber bisweilen auch erste Liebhaberinnen spielte. Ein Antrag von der Hannöverischen Hofbühne veranlaßt sie zu einem heimlichen Gastspiel in Hannover, da in Cassel niemals Urlaub ertheilt wurde; das Gastspiel führte zu einem Engagement und zwar gleich nach der ersten Rolle der Darstellerin, der Preciosa. Anfangs entsprachen die Verhältnisse nicht den ehrgeizigen Erwartungen der Künstlerin; erst als Marie Seebach die Hofbühne verlassen hatte, öffnete sich ihr ein umfassender Wirkungskreis, der sich von Maria Stuart bis zum Wolfgang Goethe im „Königslieutenant“, von Chriemhilde in den „Nibelungen“ bis zur Margaretha in den „Erzählungen der Königin von Navarra“, von Julie und Desdemona bis zu den Heldinnen kleiner einactiger Salonplaudereien erstreckte.

Im Jahre 1875 verließ Fräulein Ellmenreich die Hannöverische Hofbühne und trat in ein Engagement am Leipziger Theater, das damals unter Friedrich Haase’s Leitung stand. Auch hier füllte sie das Fach der ersten Liebhaberin im Lust- und Trauerspiel mit seltener Vollständigkeit und unermüdlichem Eifer aus und trug nicht wenig dazu bei, das Schlußjahr der Haase’schen Direction zu dem glänzendsten derselben zu machen. Im Jahre 1876 wurde sie von Pollini für das Hamburger Stadttheater engagirt, welches von diesem Director durch das Aufgebot großartiger Mittel und hervorragender Kräfte zu einer seit Baison’s Hinscheiden vermißten Bedeutung gebracht wurde. In dem Künstlerkreise der Barnay und Friedmann nahm sie hier eine ebenbürtige Stellung ein; sie wußten vereint besonders den Sinn für die classische Tragödie und das moderne Trauerspiel wieder zu beleben. Im Frühling dieses Jahres nahm Fräulein Ellmenreich ein Engagement am Dresdener Hoftheater an, wo ihr von Seiten der Kritik und des Publicums die günstigste Aufnahme zu Theil wurde und sie jetzt auf drei Jahre gebunden ist.

Selten hat sich eine Darstellerin einer so großen Beliebtheit in den Kreisen der gebildeten Gesellschaft zu erfreuen gehabt wie Franziska; wenige dürfen sich so glänzender Huldigungen rühmen, wie sie dieser jungen Künstlerin zu Theil geworden sind. Am Tage ihrer Abschiedsvorstellung in Hannover hatte sich ihr Zimmer in einen Bazar verwandelt, so zahlreich waren die Geschenke, die ihr von den angesehensten Damen und Herren Hannovers zu Theil geworden. Die in dieser Stadt anwesende studirende Jugend begleitete nach der Vorstellung ihren Wagen mit Jubelruf in’s Hôtel, wo zu ihren Ehren ein Abschiedssouper veranstaltet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_654.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)