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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


war alt geworden und bei den Ervings geblieben, geachtet und geliebt, als gehöre sie zur Familie. Friedrich Erving, der jetzige Besitzer der Mühle, der Neffe der schönen Lisett, hatte in ihr eine zweite Mutter gefunden, denn als seine Eltern früh starben, da nahm sie ihn an ihr sorgendes Herz und zog ihn zärtlich groß. Er war frisch herangewachsen unter ihrer Obhut, und als er eines Tages ein liebliches Weib heimführte, da trat sie dem jungen Paare auf der Schwelle der väterlichen Wohnung freundlich entgegen, und der junge Gatte legte ihr sein eben gewonnenes Kleinod herzlich in die Arme: „Da, Muhme“ – denn so nannte er sie stets – „nun hab’ sie auch ein wenig lieb und ersetz’ uns Beiden die Mutter!“

So war es denn auch geworden. Und als nun gar die Muhme am Taufsteine in der alten Dorfkirche stand, ein Töchterchen des jungen Paares über die Taufe hielt und ein paar große blaue Kinderaugen zu ihr aufschauten, da fielen Freudenthränen hernieder auf das Bettchen der Kleinen, und ein heißes Dankgebet für all das Glück, das ihr beschieden, stieg zum Himmel auf. Die Kleine erhielt den Namen: Lieschen.

Um diese Zeit brach die Katastrophe über die Bewohner des Schlosses herein und erschütterte die Herzen in der stillen Mühle – der jähe Tod des Baron Derenberg. Die Muhme saß schweigend vor ihrem Spinnrade und dachte, wie doch Gottes Mühlen so gerecht mahlen. Und als eines Tages ihr Liebling, das kleine vierjährige Lieschen, und noch ein ebenso kleines blondes Lockenköpfchen Hand in Hand über den Mühlweg getrippelt kamen, gefolgt von einem bildhübschen Jungen mit schwarzem Haare und trotzigen Augen, der verlegen an seiner kleinen Holzpeitsche spielte, da ging sie ihnen entgegen, nahm das süße Lockenköpfchen auf den Arm, und als die Kleine auf die Frage, ob sie oben auf dem Schlosse wohne, genickt hatte, da trug sie das Kind in die Wohnstube zu der jungen Frau und nahm dann an einer Hand den Knaben und an der andern ihr Lieschen und führte sie auch hinein, und beide Frauen, die alte und die junge, liebkosten die kleinen vaterlosen Kinder, bis das blonde Mädchen endlich die Aermchen um den Hals der alten Frau schmiegte und der Knabe mit aufleuchtenden Augen den Apfel ergriff, den sie ihm hinhielt. Und als sie dann wieder heimwärts trippelten über den Mühlsteg, der Bruder das Schwesterchen sorgsam führend und Beide immer wieder die Köpfchen wandten und zurücknickten, da preßte die junge Frau ihr Töchterchen an das Herz, und indem ihr große Thränen aus den Augen perlten, sagte sie: „Heute Abend müssen wir dem lieben Gott recht danken dafür, daß Du noch einen Vater hast, einen so guten, lieben; schau die beiden Kinder da – die haben nun keinen Vater mehr, und es fehlt ihnen sonst noch viel, so viel!“ Von dem Tage datirte die Freundschaft zwischen Lumpenmüllers Lieschen und den Derenberg’schen Kindern.

Auf der Mühle war indeß das Leben behaglich weiter geflossen. Lieschen blühte immer holder auf, sie war ein kluges Mädchen geworden und lernte fleißig. Der Herr Pastor, des Vaters Freund und ihr Pathe, unterrichtete sie, und die Frau Pastorin sprach französisch mit ihr und lehrte sie singen. Wenn sie mit ihrer schmiegsamen nicht starken Altstimme die alten Volkslieder der Heimath sang, dann wurden der Muhme die Augen feucht: „Grad wie die Lisette!“ sagte sie halblaut vor sich hin.

Daß der Army, nun er ein großer Officier geworden, die Mühle nicht wieder besucht hatte, wunderte die alte Frau kaum. „’S ist der Großmutter Blut,“ sagte sie. Aber Lieschen wollte nicht glauben, daß Army stolz geworden sein könnte, derselbe Army, mit dem sie noch vor gar nicht langer Zeit so unbefangen gelacht; sie mußte ihn selbst fragen – sie machte sich auf nach dem Schlosse. Und sie traf die Geschwister an der großen Linde; Army stand im Begriff abzureisen, aber es war ja so leicht aufgeklärt: er mußte so plötzlich fort, sonst wäre er sicher gekommen. Als sie dann wieder in der warmen Stube vor der alten Frau stand, die eifrig spann, da sagte sie: „Siehst Du, Muhme, es ist gar nicht wahr, daß der Army stolz ist; er hat nicht kommen können, weil er ganz eilig wegfahren mußte, – ich wußte es ja.“

„So?“ fragte die alte Frau.

„Ja! Du böse Muhme hast mich ordentlich erschreckt, Du –“ schmollte sie.

„Na, das Ei ist ja immer klüger als das Huhn,“ erwiderte diese. „Also Nelly hat gesagt, er hätte kommen wollen?“

„Ja, und Nelly lügt nicht.“

„Nelly ist ein gutes Kind; ich freue mich immer, wenn sie kommt; sie hat das Derenberg’sche Gesicht und Gemüth, – das waren kreuzbrave Leute, die Derenbergs, bis die – –“ Sie schwieg.

„Was meinst Du Muhme?“

„Na, wenn der Teufel die Leut’ verderben will, so ist er schön wie ein Engel.“

„Was sagst Du?“

„Nichts sage ich, das ist nur so für mich, aber glauben kannst Du’s, Liesel, was der Herr Pastor am Sonntag von der Kanzel geredet hat: ‚Unser Gott ist ein gerechter Gott,‘ das ist ein wahr Wort, und nun guck mich nicht so verwundert an! Geh’ lieber einmal an die zweite Ofenröhre! Da liegen die schönsten Bratäpfel für Dich.“


(Fortsetzung folgt.)




Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde.
Bilder aus dem Aquarium zu Neapel.
Von G. H. Schneider.
I.
Die Mittel und Wege der Krabben zum Beute-Erwerbe und zum Schutze des eigenen Lebens. – Inniges Freundschaftsverhältnis zwischen Einsiedlerkrebs und Seerose.

Das Leben und Treiben der Landthiere, insbesondere der Insecten, verbirgt sich, wie Jedermann weiß und wie auch an dieser Stelle bereits wiederholt besprochen worden, vielfach unseren Blicken. Aber eine noch größere Fülle ganz versteckten Lebens birgt der Grund des Meeres. Auch hierüber ist den Lesern der „Gartenlaube“ schon eine Reihe fesselnder Artikel geboten worden, allein die nachfolgende, durchaus auf wissenschaftlichen Studien beruhende Darstellung wird ihnen das Thema erweitert und von neuen Gesichtspunkten aus vorführen.

Während auf der Oberfläche und in der Tiefe des Wassers sich zahllose Fische umher tummeln, bald andere verfolgen, bald vor den stärkeren fliehen, während die Polypen an den Felsenklippen umhersuchen, um in Ritzen und Löchern irgend eine Krabbe ausfindig zu machen, und während endlich unzählige durchsichtige Geschöpfe, die Nachts bei Berührung in Feuer geballt scheinen, alle Schichten des Meeres bevölkern, glaubt man auf dem Grunde oft nur Seepflanzen und Steine, aber kein thierisches Wesen finden zu können. Weit gefehlt! Sobald man die scheinbar unwirthbaren Sand- und Schlammmassen durchwühlt, belebt sich der ganze Boden. Nach allen Seiten suchen ungeahnte aufgescheuchte Räuber, welche hier auf Beute lauerten, mit den vielfältigsten Lauf-, Kriech- und Schwimmbewegungen zu entfliehen. „Alles rennet, rettet, flüchtet,“ und im nächsten Augenblicke ist wieder nichts mehr zu sehen. Sehr begreiflich; denn die Rochen und Schollen haben sich an einer anderen Stelle schnell wieder mit Sand beschüttelt und liegen bewegungslos unter ihrer Decke; der Sternseher, der Meerengel, das Petermännchen, der Seeteufel und andere Grundbewohner sind ebenfalls in den Sand verschwunden, und nur der mit diesen Thieren Vertraute bemerkt die stetig sich nach allen Seiten bewegenden lauernden Augen derselben.

Und die hurtigen Krabben? sie haben sich schnell wieder hinter Steinen und Seepflanzen versteckt oder sind wie der Blitz in den Boden versunken und lauern nun mit den hervorstechenden Augen auf Beute. Bemerken sie solche in der Nähe, dann steigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_672.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2016)