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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und böses Blut machte, ist ebenso wenig zu verwundern, wie daß dem Kurfürsten keine Schuld dafür aufgebürdet wurde; desto mehr aber grollte man dem Juden Lippold. Aus Furcht ertrug man das Geschehene zwar schweigend, aber vergessen war ihm nichts; ein Funke, und die furchtbare Gährung der Gemüther gegen ihn kam zum Ausbruch.

Man sollte nun meinen, daß wenigstens die Glaubensgenossen Lippold’s, die ihm so außerordentlich viel verdankten, auch dankbaren Herzens auf seiner Seite gestanden hätten, und doch war dem nicht so. Lippold war zu scharfsichtig und wirklich auch zu treu und energisch im Dienste seines Herrn, als daß er sich bei Einziehung der Judensteuer, welches Geschäft ihm wider seinen Willen aufgetragen worden war, zu allzu großer Nachsicht hätte bestimmen lassen. Härte war ihm fremd; wo er wirklich Noth fand, verfuhr er milde; wie es sich denn bei der späteren Untersuchung ergab, daß er bei dieser Steuererhebung einen Ausfall von einigen hundert Gulden, die er, wie er selbst erklärte, von den ärmsten seiner Brüder nicht hätte eintreiben können, dem Kurfürsten gegenüber aus eigener Tasche gedeckt hatte. Der Haß, der ihn von Seiten der Juden traf, war daher ein vollständig ungerechter; er entsprang aus dem Umstande, daß Lippold’s Liebe zu seiner Nation der Treue gegen seinen Fürsten unbedingt nachstand.

So war das Jahr 1571 gekommen. Am 2. Januar war der Kurfürst auf der Wolfsjagd gewesen, hatte darauf mit seinen Räthen zu Abend gespeist und beim Zubettgehen noch scherzend zu Lippold, der ihn um einige Quittungen für bezahlte Gelder bat, gesagt, ob er selbst nicht die beste Quittung sei? Dann hatte er sich einen Becher Malvasier von demselben als Schlaftrunk reichen lassen und sich schlafen gelegt. Um Mitternacht ward er plötzlich von heftigem Fieber und Beklemmungen geweckt, und ehe sein Leibarzt, Dr. Luther, ein Sohn des großen Dr. Martin Luther, herbei kam, war der Kurfürst eine Leiche. Es ergab sich bei der Leichenschau, daß Joachim eine von der Rose herrührende offene Stelle am Fuße hatte heilen lassen; dieses war die Ursache seines Todes.

Die vertrauten Räthe des Herrschers eilten von dessen Sterbebette bestürzt nach Hause. Sie ahnten Alle, daß es mit ihrer Stellung, mit ihrem Glücke vorbei sei, daß jetzt der schwere Zeitpunkt der Verantwortung an sie herantreten würde. Keiner aber war durch den Todesfall so niedergeschmettert, wie Lippold; denn er wußte, daß er in einer Nacht Alles verloren hatte. Er kannte die Erbitterung seiner Feinde, den Haß und die Strenge des neuen Herrschers, des Kurfürsten Johann Georg. Schon am andern Morgen wurden denn auch die vertrauteste Räthe Joachim’s des Zweiten und der Hofjude Lippold verhaftet, die Ersteren jedoch, da sie sich genügend verantworten konnten und sich auch wohl aus einflußreiche Verwandte stützten, bald aus der Haft entlassen, gegen Lippold dagegen, für den natürlich Niemand sprach, wurde eine Untersuchungscommission von drei Männern eingesetzt, an deren Spitze der Geheime Rath von Arnim stand.

Kaum hatte der Pöbel vernommen, daß der Kurfürst todt und der Jude Lippold verhaftet sei, als der lange heimlich genährte Haß gegen die Juden in unerhörter Wuth offen losbrach. Man plünderte die Synagoge in der Klosterstraße, stürmte die Häuser der reicheren Juden und mißhandelte in rohester Weise alle Mitglieder dieser unglücklichen Gemeinde. Niemand vertheidigte sie gegen die gemeine Brutalität; ihr einziger Beschützer, gegen den sie so oft undankbar gewesen waren, lag ja im Kerker.

Auf Milde und Nachsicht konnte Lippold bei seinen Richtern nicht rechnen; konnte er sich nicht auf die Gerechtigkeit seiner Sache verlassen, so war er unrettbar verloren. Die Richter, welche Johann Georg über den verhaßten Mann eingesetzt hatte, verfuhren zwar rücksichtslos, aber sie waren, wie der Präsident des Gerichtes Arnim, Ehrenmänner nach den Begriffen ihrer Zeit. Mit einer außerordentlichen Genauigkeit untersuchten sie die Rechnungsbücher Lippold’s, die trotz ihrer musterhaften Ordnung nur schwer entziffert werden konnten, da sie hebräisch geschrieben waren; vollständig wurden sie erst durch einen vereidigten Juden enträthselt. Aber Alles, was der Gerichtshof darin fand – und der Geschichtsforscher noch heute darin findet, denn sie sind unversehrt auf die Nachwelt gekommen – war nur das Lob Lippold’s, daß er die Ausgaben des Kurfürsten mit größter Gewissenhaftigkeit, oft sogar mit heftige Aeßerungen der Mißbilligung, wenn sie die Liebschaften desselben betrafen, ausgezeichnet hatte. Nirgends eine Spur von Veruntreuung! Ja, aus den Münzrechnungen ergab sich, daß der Jude noch 1700 Gulden von der Staatskasse zu fordern habe, und Pantel Thumb und der kurfürstliche Kammerknecht Matthias erklärten noch dazu, daß Lippold in ihrer Anwesenheit zu verschiedenen Malen dem Kurfürsten ohne Quittung Geldsummen gegeben habe. Nur eine Summe von 8000 Gulden konnte derselbe nicht mit Quittungen belegen, wobei er behauptete, der Kurfürst habe, so viel er bemerkt habe, die Quittungen ausgestellt, ihm aber trotz seiner Bitten noch nicht ausgehändigt, und wirklich bestätigte sich Lippold’s Aussage vollkommen, denn bei genauer Revidirung der hinterlassenen kurfürstlichen Briefschaften fand man die vermißte Rechnungen in der That quittirt vor.

Der Gerichtshof konnte daher nicht umhin, den Angeklagten von der Beschuldigung der Veruntreuung und Unterschlagung frei zu sprechen. Man entließ ihn demnach zwar aus dem Gefängniß, aber nur um ihn in seinem Hause an der Stralauer-Straße von der Bürgerschaft bewachen zu lassen. Die Versatz-Objecte gab man, so viel es zu ermitteln war, den ehemaligen Besitzern unentgeltlich zurück, ohne dabei auf die Ansprüche Lippold’s Rücksicht zu nehmen. Seitdem lebte er eine Zeit lang ungefährdet für sich.

Eines Tages aber, als er mit seiner Frau in Streit gerathen, hatte diese ihn einen bösen Schelm genannt und ihm vorgeworfen, „er führe mit seinem Zauberbuche allerlei Teufelskünste aus, wofür er längst den Tod verdient hätte“. Kaum hatte die Wache haltenden Bürger, denen dieser Dienst allmählich auch langweilig geworden war, dies vernommen, als sie es sofort dem Kurfürsten hinterbrachten, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als ihn wieder in Ketten legen zu lassen und strengeren Richtern zu übergeben.

Die Anklage der Zauberei genügte nach der hochnothpeinlichen Gerichtsordnung Karl’s des Fünften, um Lippold durch die Folter zum Geständnisse zu zwingen, und die Richter glaubten dazu um so berechtigter zu sein, als sie ein hebräisches Buch bei ihm gefunden hatten, das Recepte zur Ausführung von allerlei Kunststücken enthielt.

Unter den furchtbaren Folterqualen gestand der schwächliche Mann bald zu, daß er in Zauberkünsten erfahren sei und durch dieselbe den todten Kurfürsten ganz für sich eingenommen habe. Als man ihn wieder befragte, leugnete er auch nicht, daß er denselben betrogen habe, – obgleich die Richter doch aus den Rechnungsbüchern den augenscheinlichsten Gegenbeweis hatten – namentlich noch letzte Weihnachten um eine schwere goldene Kette. Dieser letzte Punkt ist bezeichnend. Lippold hatte nämlich die Kette vom Kurfürsten zum Einschmelzen erhalten, um Portugaleser zu Geschenken daraus prägen zu lassen. Mit mehreren solchen Münzen hatte Joachim seine Räthe beim Jahreswechsel noch beschenkt, und obwohl die Richter dies wußten, wie aus den Proceßacten deutlich hervorgeht, war doch das eigene Geständniß des Angeklagten für sie genügend zur Verurtheilung auch in dieser Sache. Jetzt entstand bei den Richtern der Gedanke, den Juden auch wegen des plötzlichen Todes seines Herrn peinlich befragen zu lassen, und bald erklärte Lippold, um nur den Qualen zu entgehen, er habe den Kurfürst vergiftet und zwar mit Muskatenöl, Hüttenrauch und Mercurius sublimatus. Wenn wir auch gar nicht das oben erwähnte Urtheil des Dr. Paul Luther bei der Todtenschau hätten, so würde doch jeder vernünftige Mensch, ohne Jurist zu sein, zuerst fragen, ob der Tod des Fürsten für Lippold auch nur im Geringsten vortheilhaft gewesen sei. Diese Frage ist gewiß zu verneinen; denn wir wissen, daß Lippold’s ganze Hoffnung allein auf dem Leben des Kurfürsten beruhte, der allein ihn gegen seine Feinde und vor allen Dingen gegen den Thronfolger schützen konnte.

Trotz alledem verschlossen die Richter ihr Ohr jedem Vernunftgrunde und beriefen sich auf das Gesetz. Als der Jude sein Bekenntniß öffentlich ablegen sollte, leugnete er Alles wieder, worauf ihn aber der Scharfrichter Balzer dermaßen folterte, daß er erst wieder durch Wein zu sich gebracht werden mußte, wofür Balzer von einem „hocherleuchteten Judicum“ sehr gelobt wurde, „daß er seine Sache so gut gemacht habe.“

Natürlich gestand der arme Lippold unter diesen Qualen Alles wieder, was die Richter verlangten. So wurde er denn rechtskräftig zum Tode durch das Rad verurtheilt und nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_677.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)