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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


der Chronik der Kölner Stadtschreiber am 28. Januar 1573 „mit glühenden Zangen gezwackt, darnach von untenauff geredert, volgents geviertelt, vor jedem Thore ein Viertel aufgehenkt, daß Haupt uff S. Georgens Thor gestackt, die Eingeweide sampt seinem Zauberbuche gen Himmel mit Feuer geschicket.“ Als dabei gar eine große Maus unter dem Gerüste hervorrannte, da glaubte man fest, das sei der Teufel, der in Lippold gewohnt und nicht mit habe verbrennen wollen. Das Vermögen Lippold’s wurde vom Kurfürsten für Gerichtskosten eingezogen, der Rest von eintausend Thalern aber der Wittwe gegeben. Sie eilte vor den Thron des damaligen Kaisers Max des Zweiten und bat ihn, für sie beim Kurfürsten zu sprechen.

Max der Zweite war milder als seine Zeit; er schrieb an den Kurfürsten und forderte ihn auf, die Wittwe des Juden nicht ungerecht zu behandeln, aber der Kurfürst antwortete ihm ziemlich kurz, „er wünschte nicht weiter in dieser Sache behelligt zu werden; die Magdalena Lippold habe dem Hingerichteten selbst seine Teufelskünste vorgehalten, und der Jude habe selbst gestanden, daß er den Kurfürsten mit einem darzu sonderlich zugerichteten Trank davongeholfen.“ Die Wittwe bekam nicht ihr verlangtes Recht.

In das Schicksal des unglücklichen Lippold wurden auch die übrigen Juden der Mark hineingezogen; sie mußten zum zweiten Male in diesem Jahrhunderte den Wanderstab ergreifen und Brandenburg verlassen. Es heißt in dem Befehle, „sie trieben doch nur Wucherei (einen andern Broderwerb hatte man ihnen nicht erlaubt), seien Feinde der christlichen Religion, und ein Jude könne ja doch schon von Natur einem Christen nicht hold sein.“

Dr. R. R.     




„Die Illyrische Schweiz.“
Ein Blick in das österreichische Occupationsland.

„Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual“ –

Das schwere Wort, welches unser Schiller den Chor in der „Braut von Messina“ aussprechen läßt, – es drängt sich uns auf, so oft wir die Landkarten der bewohnten Erde an unserem Auge und das Schicksal ihrer Bewohner an unserem Geiste vorübergehen lassen. Nirgends jedoch tritt Schiller’s harter Urtheilsspruch gerechtfertigter, der Contrast zwischen der Schönheit und Gabenfülle des Landes und dem Schicksal und der Bildungsstufe der Menschen, die es bewohnen, uns greller entgegen, als auf dem Boden, welchen man bis zum Berliner Congreß des laufenden Jahres „die europäische Türkei“ nannte. Als der unglücklichste Theil dieses traurigen Reiches mußte aber der nordwestlichste Winkel desselben bezeichnet werden, das erst seit dem leider noch nicht letzten Türkenkriege wieder vielgenannte Bosnien mit der Herzegowina.

Wem es je vergönnt war, das im Süd und Ost von den stamm- oder schicksalsverwandten Montenegrinern, Albaniern und Serben begrenzte und im Nord und West vom österreichisch-ungarischen Reiche umklammerte Bosnien zu durchwandern, den mußte Entzücken und Entsetzen zugleich ergreifen: Entzücken über die Schönheit und Großartigkeit der Natur, die vom schneegekrönten Alpengipfel bis zu den anmuthigen Thälern und fruchtbaren Gefilden Alles darbietet, was eine zahlreiche Bevölkerung wohlhabend und glücklich machen könnte, – und Entsetzen über die fast unglaubliche Verwahrlosung und Verkümmerung von Land und Menschen zugleich. Kaum Vierfünftel des wasserreichen und üppigen Bodens ist bebaut; das ganze Gebiet war Eigenthum der brutalen Faulheit, die sich von Dem zu mästen verstand, was die unterjochte Menschenheerde unter Zwang und Noth auf Acker und Weide hervorbrachte.

Ja, „Menschenheerde“ ist sogar noch eine veredelte Bezeichnung für diese christliche Landbevölkerung, denn das Wort „Rajah“ mit welchem der Türke sie gebrandmarkt hat, bebeutet: „Viehheerde“; es ist dem Koran entnommen, dessen neunzehnte Sure die Gläubigen lehrt: „Am jüngsten Tage werden wir die Frevler in die Hölle treiben, wie eine Heerde Vieh zum Wasser getrieben wird.“

Wir haben es während des letzten Kriegs der Russen gegen die Türken erlebt, daß Stimmen sich erhoben, welche nicht nur die von den Türken begangenen Unmenschlichkeiten zu beschönigen, sondern auch die Zustände der Rajah ihnen selbst zur Last zu legen versuchten; sie kamen vorzugsweise aus englischen und magyarischen Federn, und beide logen aus allbekannten selbstsüchtigen Gründen. Die österreichische Occupation wird die volle Wahrheit an den Tag bringen. Eben deshalb ist es an der Zeit, durch einen, wenn auch raschen, Rückblick auf die Vergangenheit Bosniens zu erkunden, durch welche Schicksale es dort so geworden ist, wie wir es heute finden. Die Geschichte Bosniens ist reich an denkwürdigen Thaten, die eine eingehendere Schilderung verdienten; wir gewinnen wohl auch dafür Raum, wenn die Erfüllung der Hoffnungen, die wir auf die Erschließung des Landes durch Oesterreich setzen, Land und Volk unserer Theilnahme noch näher gerückt hat. Vor der Hand müssen wir uns auf wenige große Züge der bosnischen Geschichte beschränken.

Jedes Volk, dem Freiheit und Selbstständigkeit nicht allzu lange ganz verloren gegangen, hat in Sagen und Volksliedern sich Zeugen seiner frühesten Vorzeit gerettet. Die Bosnier und trotz ihrer langen Knechtschaft noch immer nicht arm an Sage und Liedern, aber die Freude am Singen wird ihnen durch ihr hartes Loos nur zu oft vertrieben; zur Erntezeit wird es jedoch laut in der Flur, wohl oft angeregt durch die serbischen Hülfsarbeiter, welche dann zahlreich aus dem freieren Lande nach Bosnien herüberkommen. In der Herzegowina, wo das Volk in seiner Felsenfeste dem türkischen Druck nicht so völlig erlag, wie in Bosnien, ist auch mehr Sangeslust gerettet und erzählen die Sänger gern von den Thaten gefeierter Helden ihres Volks. Während aber ihre glücklicheren Nachbarn in Serbien und Montenegro noch Heroen aus uralten Tagen im Liede preisen, ergeht das dichtende Volksgedächtniß der Herzegowina sich am liebsten in Kämpfen gegen den türkischen Unterdrücker.

Die gelehrte Forschung läßt aus der Sagenzeit verschiedene indogermanische Völkerschaften im Kampfe um das Land westlich von der Drina in die Dämmerung der Geschichte eintreten, die erst heller wird mit der Gründung des Illyrischen Reichs, des Nachbars von Macedonien unter seinen berühmtesten Königen Philipp und Alexander dem Großen. Im Jahre 168 vor Chr. waren beide Reiche den Römern erst zum Theil und 90 Jahre später ganz unterworfen. Bei der Theilung des römischen Reiches bildete die Drina die Grenze zwischen dem ost- und weströmischen Reiche, und Westillyrien mit Bosnien folgte fortan in politischer und kirchlicher Beziehung den Gebote Roms, bis auch dieses durch die Völkerwanderung über den Haufen gerannt wurde.

In Folge der Völkerwanderung, an der Pforte des Mittelalters, drangen neue Völker auch in Illyrien ein und besetzten die Gebiete, die sie noch heute inne haben. Gegen die Avaren, die schon zur Zeit des Kaisers Heraclius das Land heimgesucht hatten, zogen die slavischen Chrobaten und Sorben (Serben) heran. „Die Chrobaten oder Croaten,“ berichtet A. von Schweiger-Lerchenfeld,[1] dem wir hier folgen, „kamen wahrscheinlich von der Nordseite der Karpathen, die Sorben aber, ein Jahrzehnt später, aus der Lausitz.“ Die Croaten wurden nach langem Kampfe der Avaren Herr, und die serbischen Stämme ließen sich schließlich in der heutige Herzegowina nieder, die diesen Namen erst erhielt, als das Land sich dem Kaiser Friedrich dem Dritten unterworfen hatte, welcher es zu einem „Herzogthum St. Sawa“ erhob; Herzegowina bedeutet „das Land des Herzogs“.

Wir übergehen eine Reihe blutiger Kämpfe zwischen den Herren und Nachbarn des Landes, bis wir es als Königreich unter Stepan Twartko dem Ersten finden. Er erlebte noch die Schlacht auf dem Amselfeld, am 15. Juli 1389, welche die Osmanen Murad’s des Ersten zu seinen Nachbarn machte, und starb am 13. März 1391. Schwere Zeiten und große Thaten

  1. Bosnien. Das Land und seine Bewohner. Geschichtlich geographisch, ethnographisch und social-politisch geschildert von Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld. Mit acht Original-Illustrationen und einer Uebersichtskarte. Wien, L. C. Zamarski, 1878.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_678.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)