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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

eigentlich gesehen werden müssen, wie Henneberg’s „Jagd nach dem Glück“, lehnen oberhalb auf der Leiste des Gesimses an der Wand, die hier eine bräunlich grüne Farbe trägt. Durch weiße Zelttücher, die in weichen Falten über dem Mittelraum schweben, wird das grelle Licht angenehm gedämpft; es strömt völlig gleichmäßig und sonnenlos auf den ganzen Saal.

Dieser Saal enthält in der Mitte eine reizende Zusammenstellung, die, ohne die Aussicht zu beschränken oder beengend zu wirken, ein kleines Gemach bildet. Das formt sich scheinbar absichtslos aus zwei niedrigen spanischen Wänden, an denen die Meisterwerke der beiden Achenbach, des alten Menzel, von Gebhardt’s, des Münchener Leibl Plätze gefunden haben, an den beiden Langseiten. Die kurzen, den Eingängen zugekehrten Grenzen dieses Mittelgemachs deuten nur Bildhauerwerke an, Gruppen, Bildnißköpfe, kleine Gestalten, die sich alle der Mitte zuwenden. Dieser also leicht umschlossene Raum wird ausgefüllt durch einen Tisch, prachtvolle alte Lehnstühle, die rings um ihn stehen, durch Polstersitze zu Füßen der auf hohen Sockel gestellten Bildwerke und durch zierliche Staffeleien, auf denen die besten Aquarellen des alten Menzel zu sorgfältigster Betrachtung einladen. Die Fußgestelle der Bildhauerarbeiten verbergen sich in vollen Gruppen von Tropenlaub, und ähnlich grüner Blattschmuck umgiebt auch den Fuß der Säulenpforten.

So sieht es in dem Saale der deutschen Kunst auf der Pariser Weltausstellung aus. Der einladende Mittelbau bestimmt zumeist seinen Charakter. Er erscheint wohnlich; Alles athmet hier heitere Behaglichkeit, verbunden mit würdigem Ernste und künstlerischer Pracht. Auf den dicken Teppichen hört man das Rücken der sammetgepolsterten Lehnstühle kaum, wenn man an dem Tische Platz nimmt, um in den Prachtwerken zu blättern, die hier in großer Zahl ausliegen. Wir finden unter ihnen ziemlich Alles, woran der Sinn unseres Volkes sich erfreut. Die Blätter, durch welche Goethe’s Faust, Schiller, Shakespeare geschmückt sind von Kreling, Liezen-Mayer und Piloty, die Sammlung, die uns Gustav Freytag’s Dichtungen gestaltenreich vorführt, die bilderreiche Reisewerke vom Rhein, aus der Schweiz, aus Italien, die „Pletschbücher“, die reizenden Skizzen Hendschel’s, die Zeichnungen des Altmeisters Menzel zu Kleist’s „Zerbrochenem Krug“ – Alle sind da, nur Einen vermissen wir, und zwar einen der Bedeutendsten: Anton von Werner fehlt. Die Bilderreihe zum „Gaudeamus“, zum „Trompeter von Säckingen“ und manches Andere, das den Künstler zuerst bekannt und berühmt gemacht, hat er aus übertriebener Bescheidenheit vom Büchertische der deutschen Kunst ausgeschlossen.

Nicht die Pracht, nicht allein die sorgsame Auswahl und Anordnung der Kunstwerke zeichnen den deutschen Saal vor allen anderen aus. Es ist vorzugsweise die Gesammtstimmung, der künstlerische Gedanke, dem dieselbe entsprungen, was uns sofort fesselt und anmuthet. Diese von den Ordnern geschaffene Gesammtstimmung ist durchaus keine willkürliche, künstlich hineingetragene. Sie wird bedingt durch den Inhalt des Saales, durch den Charakter der deutschen Kunst. Unsere Maler sind nicht gewöhnt, strenge akademische Fesseln zu tragen. Jeder schafft frei aus sich heraus, folgt dem Zuge des Herzens als ein Wesen für sich. Von Malerschulen kann man in Deutschland eigentlich kaum reden, von Schulen wenigstens nicht, die mehr als das Malen selbst lehren. Diese Freiheit der künstlerischen Entwickelung läßt vielleicht das mittelmäßige Talent in seiner Ausbildung und seinen Leistungen etwas zurückbleiben gegen den gleich begabten Franzosen. Das Genie aber, die wahrhafte poetische Kraft wird bei uns das Höchste leisten, uns jene seltenen Weihestunden der Erhebung bereiten, die wir nur echten Kunstwerken verdanken. Bei all ihrer Tüchtigkeit und Reife lassen die französischen Maler uns kühl, werden auf die Dauer mitunter fast langweilig. Die deutschen, selbst die weniger großen, sprechen beinahe immer zu unserem Gemüthe; oft fordern sie den Tadel heraus, aber sie langweilen niemals. Denn trotz ihres Auseinandergehens, Jeder nach seiner persönlichen Richtung, besitzen sie doch ein Gemeinsames: die Seele, das Gemüth, den Humor. Dieser gemeinsame Zug hat das in schöner künstlerischer Freiheit weit aus einander gehende künstlerische Schaffen äußerlich in feste Grenzen, in einen geschlossenen Rahmen gefügt, in den Jeder sich einordnen muß. Innerhalb dieser Grenzen nun athmet Alles Heiterkeit, Gemüthswärme; hier spüren wir das Walten einer Seele, das Wehen des warmen erquickenden Hauches, den fast jedes gute deutsche Kunstwerk ausströmt. So glauben wir das Walten der schaffenden und ordnenden Kräfte in unserer Ausstellungshalle zu verstehen, und darin offenbart sich ihre eigene Künstlerschaft. Einerlei ab bewußt oder unbewußt, der deutsche Saal wirkt auf Jeden gleich.

Nicht nur umfangreiche Gemälde, auch das große Geschichtsbild überhaupt fehlt in diesem Raume ebenso, wie die Darstellungen aus dem Kriege und die Verherrlichung der Siege. Dennoch herrschen die gestaltenreichen Zeit- und Sittenbilder über die Landschaften vor. Alle unsere Besten, die auf diesem Gebiete schaffen, finden wir hier. Knaus erscheint da wieder als der größte unter allen, nicht nur der unserigen. Keiner sonst vermag wie er den Menschen tief in’s Herz zu sehen, mit ihnen zu lachen und zu trauern. Das Kindergemüth, kindliche Lust, die kleinen Aengste und Schrecken, die drolligen Erscheinungen des jugendlichen Lebes beschäftigen ihn am liebsten. Deshalb durfte das Gastmahl der Kleinen hier nicht fehlen, diese Gesellschaft von Kindern, in deren possirlichem Gebahren uns eine ganze Welt des gesundesten, feinsten Humors entgegenlacht. Den Ernst des Lebens weiß dieser Meister mit derselben Kraft des Gemüthes zu erfassen. Aber nicht das Bauernbegräbniß, nicht die Gruppe von Landleuten, selbst nicht die schmausende Kinderschaar ziehen die Besucher vorzugsweise an, sondern zwei andere Bilder des Meisters, vor denen sich stets ein dichter Knäul von lachenden Menschen zusammendrängt. Auf dem einen sehen wir einen älteren jüdischen Handelsmann, der den Sohn, einen langen rothhaarigen Bengel, in der Kunst des Handelns unterweist. Halb dämlich, halb verschmitzt hört der Junge auf die Lehren und macht sich dabei offenbar seine eigenen Gedanken. Das zweite Bild zeigt uns den Burschen allein. Er hat sein erstes gutes Geschäft gemacht, ein besseres vielleicht, als der Vater daheim erwartet. Denn er läßt schmunzelnd ein Geldstück in die Tasche gleiten; Alles lacht an ihm, und wir können nicht umhin, mitzulachen. Ist Knaus der vielseitigste unter unseren deutschen Sittenmalern und Humoristen, so steht ihm eine große Anzahl anderer, die sich ein bestimmtes Gebiet des Schaffens erwählt haben, auf diesem gleich. Defregger führt uns unter die Tiroler Bauern, Grützner in den Klosterkeller zu zechenden Mönchen, Leibl unter politisirende Landleute, Altmeister Menzel in einen Ballsaal während der Pause, wo die alten Glatzköpfe sich um die schöne weibliche Jugend drängen, um mit ihr zu plaudern; Fr. Werner, der einzige, dessen preußische Soldaten Zutritt auf der Ausstellung gefunden haben, zeigt uns vier Grenadiere mit Puderlocken und spitzen Mützen, die durch ein Parkgitter mit zwei Kindermägden scherzen und dabei so aus vollem Halse lachen, daß der Beschauer sofort davon angesteckt wird. Ueberall, ob das Leben der Familie, ob Bauern, Kinder, Mönche, turnende Jugend, vornehme Damen, ob eine durch den Zusammenbruch der Volksbank in Schrecken gerathene Gesellschaft die Künstler beschäftigen, überall spricht aus diesen ihren Schöpfungen Humor, Gemüth, Seele, ziehen sie uns an durch Wärme der Empfindung, überzeugen sie uns durch Wahrheit, erregen sie, weit entfernt blos äußerlich zu befriedigen, unser Inneres.

Fast mehr noch ist dies der Fall bei den Gemälden, die ernste Stoffe behandeln. Ein Bild wie „Die Taufe des Neugeborenen“ von Hoff vermag heute wohl nur ein deutscher Künstler zu malen. Von Gabriel Max, ohne den die deutsche Ausstellung nicht vollständig gewesen wäre, hat man „Die Erweckung der Tochter des Jairus“ hingelehnt. Da die ästhetische Abtheilung das bleiche „Christenmädchen“ von ihm enthält, welches, in den Löwenzwinger geworfen, mit einem letzten rührenden Blick dem Spender einer Rose dankt, die ihr von einem Freunde hinabgeworfen worden, so war dieses blasse und schlummernde Kind, das die edle Gestalt des Heilands zum Leben erweckt, jedenfalls die glücklichste Wahl. Biblische und religiöse Gemälde enthält unsere Ausstellung nur sehr wenige, und sie alle wenden sich vorzugsweise an unser menschliches Empfinden, wie das rührende „Abschiedsmahl“ von K. Gerhardt und „Die Mutter“ von Krug. Der gespenstische „Zug des Todes“ von Spangenberg, die „Meeresidylle“ von Böcklin, „Die Jagd nach dem Glück“ von Henneberg, Gemälde, die nicht das wirkliche Leben schildern, sondern phantastischen Vorstellungen Gestalt geben wollen, hat man wohl nicht ganz ohne Absicht oberhalb der Gesimsleiste ausgestellt, also dem Beschauer etwas in die Ferne gerückt, um in die Gesammtstimmung des abgeschlossenen Bilderfeldes keinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_695.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)