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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Die alte Baronin schritt hastig in ihrem Zimmer auf und ab. Ihr stolzes Gesicht war von einer feinen Röthe überhaucht, und die dunklen Augen richteten sich ungeduldig auf den rothen Vorhang der Thür, durch den der Enkelsohn eintreten mußte. Ihre Hand hielt einen offenen Brief, und von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und warf einen Blick auf das Papier.

„Es ist unglaublich,“ sagte sie dann leise, „diese Königsburger Derenbergs! Sich so festzusetzen, Dio mio! Was giebt mir die Stontheim für Pillen in diesem kurzen Briefe! Und doch muß man noch Gott danken, daß die Sache sich so arrangirt; wie froh bin ich, daß ich trotz der Kühle, die zwischen uns herrscht, darauf bestand, daß Army sich ihr vorstellen mußte!“ Sie warf wieder einen Blick in den Brief.

„Ich habe in Armand,“ las sie, „einen netten, lieben Menschen kennen gelernt, einen jungen Cavalier ganz vom Charakter der Derenberg’s, und trotz der eigentlich nur kurzen Zeit unserer Bekanntschaft habe ich ihn herzlich lieb gewonnen.“

Um die Lippen der alten Dame kräuselte es sich verächtlich.

„Ich bin, wie Sie von früher her wissen werden,“ las sie weiter, „eine Natur, die durchweg gerade und ehrlich ihre Meinung heraussagt – daß wir Beide uns nie verstanden haben, lag wohl in der allzu großen Verschiedenheit unserer Anschauungen; heute sind wir Beide alte Frauen geworden, liebste Derenberg, und es wäre wohl an der Zeit, Frieden zu machen für die kurze Spanne Leben, die uns noch gehört. Ich biete Ihnen die Hand dazu, lassen Sie das Frühere vergessen sein! Die Schuld lag vielleicht auf beiden Seiten. Und nun möchte ich Sie zur Vertrauten eines Lieblingswunsches machen, der auch Armand betrifft. Durch ihn werden Sie bereits wissen, daß in meinem Hause eine junge Verwandte lebt, die, mutterlos, jetzt die Stelle einer Tochter in meinem einsamen Leben ausfüllt, und die ich liebe, als wäre sie es wirklich. Wenn mich nicht Alles täuscht, sieht Armand seine Cousine nicht mit gleichgültigen Blicken an, – ich würde mich aufrichtig freuen, liebste Derenberg, lernten sich die Beiden lieben, und um hierzu die Gelegenheit zu bieten, schicke ich Blanka unter dem Vorwande, ihre Gesundheit zu kräftigen, in Eure waldumrauschte Heimath. Möchten sich dort die beiden jungen Herzen finden, damit ich in Armand noch einmal einen Sohn begrüßen kann! Sie sind eine kluge Frau, liebste Derenberg, und ich brauche Sie nicht erst zu bitten, den jungen Leuten keinerlei Andeutungen von meinen Wünschen zu machen; ich hoffe, daß sie sich aus wirklicher Neigung einander nähern; es ist möglich, daß Blanka in ihrem klugen Köpfchen meine Absicht ahnt; mitgetheilt habe ich ihr dieselbe nicht. Und nun möge der Herr für das Weitere sorgen und es zu unserer Freude ausführen! Indem ich Ihnen im Geiste noch einmal versöhnend die Hand reiche, bin ich in der Hoffnung baldiger Antwort, liebste Derenberg, Ihre Ernestine Gräfin Stontheim geborene Derenberg.“

„Es ist wirklich grandiös,“ setzte die alte Dame hinzu, „und man muß wahrhaftig noch gute Miene zum bösen Spiel machen; es ist raffinirt von der Stontheim, aber so war sie immer. Blanka ist ihre Erbin – das ist klar, und nun, da sie den Jungen kennen gelernt hat, möchte sie die Sache auf gute Weise arrangiren; ich muß mit süßer Miene in diesen sauren Apfel beißen und Gott danken, daß es noch so kommt; sie ist ein boshafter Charakter, diese Stontheim. Aber eine Andeutung muß ich ihm doch machen; es scheint, daß ihm diese Blanka nicht gleichgültig ist, und –“

In diesem Moment trat Army in’s Zimmer. Die Großmutter sah freundlich zu ihm hinüber.

„Ich habe einen Brief von der Stontheim,“ sagte sie, stehen bleibend und ihm die Hand entgegenstreckend, „sie meldet Blanka an, und nun, mein Herz, vergiß, daß ich gestern so unfreundlich Deinen Plänen gegenüberstand! Ich hatte einen leichten Anflug von meiner Migräne, und das verstimmte mich; ich freue mich wirklich auf den Besuch der jungen Dame.“

Army, der eben den lockigen Kopf von ihrer Hand erhob, sah aufleuchtend in das Gesicht der Großmutter: „Wirklich, Großmama? Ich danke Dir; Du nimmst eine Centnerlast von meiner Seele; es war mir sehr unangenehm, daß Dir eine Bürde auferlegt werden sollte, die Dir nicht convenirte. Darf ich wissen, was die Tante sonst noch schreibt?“

Die alte Dame lächelte. „Nein, mein Herz,“ sagte sie, „es thut nicht gut, wenn man zuviel Schmeichelhaftes über seine Person hört.“

„Tante hat mich gern?“ fragte er ganz aufgeregt und drehte das kecke Schnurrbärtchen.

„Tante meint, Du seist ein guter vernünftiger Junge und würdest gewiß dereinst ein richtiger alter Derenberg werden.“

Army’s Miene verfinsterte sich. „Ist das Alles?“

„Besonders wenn,“ kam es schalkhaft von den feinen Lippen der Großmutter, „wenn Dir eine schöne geliebte Frau zur Seite steht.“

„Hat sie das geschrieben?“ rief er hastig und erröthend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_705.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)