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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

eine bewegt sich in einem Laufstuhle; dabei finden wir ein Bett, Kronleuchter, Vogelbauer mit Vogel, Kleiderhalter, Spinnrocken mit Gestell, einen Kachelofen und allerlei Hausrath. Auch hölzerne Nußknacker sind ein sehr altes Spielzeug.

Sicher sind auch die heutigen Kinderspiele, denen vielfach eine tiefere Deutung innewohnt und welche darum auch das Auge des modernen Forschers wieder lebhaft auf sich gezogen haben, noch die gleichen, wie in den ersten Zeiten germanischen Lebens, denn die im Sinn und Empfinden engbegrenzte Welt des Kindes unterliegt nicht dem ewigen Wechsel der Geschichte. Zur Erheiterung des kindlichen Gemüths dienten auch die in den Frauengemächern gehaltenen Singvögel, die sprechenden Staare und Papageien, deren wir bereits gedachten.

Da in jenen Tagen noch nicht das Geizen mit Platz und Raum bestand, wie es die Noth der Gegenwart in großen Städten gebieterisch heischt, so waren die Kinder nicht eingeengt in dumpfe Stuben und schmale Gänge. Weite, hohe Gemächer, breite Corridore und lichte Treppen, der geräumige Burghof, dem nicht das schirmende Dach einer Linde fehlte, der breite menschenleere Marktplatz, das grasige Ried, und vor den Thoren draußen Wallgraben, Anger und Trift wurden zur Basis der freiesten Entfaltung ihrer jugendlichen Kraft, die noch nicht gebändigt war durch den herben Zwang der Schule. Den Kindern der Edeln gesellte man Gespielen zu, meist aus den Kreisen niederer Geschlechter. „Hoher Herren Kinder,“ sagt Pater Berthold, „erhalten Zuchtmeister, die Jungfrauen Zuchtmeisterinnen, die allezeit bei ihnen sind und sie Zucht und Tugend lehren. Ihr armen Leute,“ fährt er dann predigend fort, „könnt sie Euern Kindern nicht halten. Da Ihr aber und Eure Kinder das Himmelreich ebenso nöthig habt, sollt Ihr sie selber erziehen.“ Und nun giebt er ihnen dazu Rath und Anschlag. „In der Zeit, da das Kind zu sprechen anfängt, sollt Ihr ein kleines Rüthelein bei Euch haben, das jederzeit in der Diele oder in der Wand steckt, und wenn das Kindlein ein unzüchtig oder böses Wort spricht, so sollt Ihr ihm ein Schmitzlein geben auf die bloße Haut. Ihr sollt es aber nicht auf das bloße Haupt schlagen, wenn Ihr es nicht wollt zu einem Thoren machen. Thut Ihr nicht also, so werdet Ihr Kummer an dem Kinde erleben.“

Man brachte die jungen Mädchen auch wohl in Frauenklöstern unter. Dort lernten sie von den Nonnen feine weibliche Arbeit und die Kenntniß alter Legenden, Gebete und biblische Geschichte. In literarischen Besitzstande der Frau fehlte nie das Psalterbuch. Als ausschließliches Fraueneigen (Gerade) erbte es auch weiter von Frau zu Frau.

Indeß blieb auch die weltliche Literatur der Frau keineswegs fern. Dicht neben Psalter und Gebetbuch lagen auf ihrem Putztische, hie und da wohl heimlich versteckt, Liederbüchlein, in denen sie mit zierlichem Stift die Lieder der Minnesänger eingezeichnet hatte, auch wohl größere Bände mit den lustigen und traurigen Geschichten der schönen Magellone, der Pfalzgräfin Genoveva, des Ritters Galmy und manch Anderer, denn während die streitbaren Männer jede gelehrte Beschäftigung als pfäffisch und unmännlich verachteten, sodaß selbst der große Dichter Wolfram von Eschenbach nach seinem eigenen Geständniß nicht lesen konnte, fand sie in dem mehr auf’s Innere gerichteten Gemüthe der Frau einen weit zugängigeren Boden. Mönche und Klostergeistliche, die damaligen Träger der Bildung, gaben den Frauen Unterricht im Lesen und Schreiben und sogar im Latein. Als dann im Laufe der Zeit das welsche Wesen immer größeren Einfluß gewann, drang auch, schon im vierzehnten Jahrhundert, die französische Sprache in’s deutsche Frauengemach. War sie doch vielfach die Dolmetscherin des höfisch feinen Anstands. Auch fahrende Sänger und Spielleute nahmen oft eine längere Einkehr im Hause und Schlosse, um den Frauen ihre Lieder und das Spiel der Harfe, der wälschen Fiedel und sechssaitigen Laute (Rotte) zu lehren. Die „Meisterin“ der Zucht aber unterwies das sittige Fräulein in den Regeln der „Moralität“, der Kunst der schönen Sitten, oder wie wir heute sagen würden der Anstandslehre. Ihr, der Mutter und den Mägden fiel daneben der hauptsächlichste Theil der Frauenweisheit zu, der Unterricht in der Führung des Hauswesens, im Spinnen, Nähen, Weben, Sticken und Schneidern, wovon wir später des Weitern berichten wollen.

Dagegen hielt sich die Frau trotz ihrer vielfach den Mann überragenden Kenntnisse fast ganz fern vom eigenen literarischen Schaffen. Unter all den zahlreichen Sängern der Minne befindet sich keine einzige Frau. Die Gandersheimer Nonne Roswitha, welche im neunten Jahrhundert lateinische Komödien schrieb, und eine Oesterreicherin, die unter Beihülfe ihrer Brüder das Leben Jesu in sehr trockener Weise bearbeitete, bestätigen in ihrer Vereinzelung nur die allgemeine, tief in der Sitte der Zeit und dem ganzen Wesen der Frau, das vor aller öffentlichen Schautragung scheu zurückbebte, begründete Regel. Um so größer und bestimmender war ihre Einwirkung auf das ganze dichterische Schaffen der Zeit. „Niemals,“ sagt Vilmar, „hat sich die Männerwelt inniger und tiefer in die Gedanken- und Gefühlswelt der Frauen eingelebt, niemals sich für alle poetischen Motive stärker von ihr inspiriren lassen, als in der Zeit des Minnesangs.“ Die Poesie trug ganz den Charakter des Frauenhaften an sich und in sich.

„O Frau, Du selten reicher Hort,
Daß ich zu Dir hie sprech’ aus meinem Munde!
Ich lob’ sie in des Himmels Pfort,
Ihr Lob zu End’ ich nimmer bringen kunnte.
Deß lob’ ich hier die Frauen zart mit Rechten,
Und wo im Land ich immer fahr’,
Muß stets mein Herz für holde Frauen fechten.“

So klingt die Weise Heinrich’s von Meißen, genannt „Frauenlob“.


6. Frauenschöne und Frauendienst.

Das Mittelalter, das idealenreiche, schuf sich auch ein Schönheitsideal der Frau. Zu ihm gehört zunächst blondes Haar, mit goldenem Schmelz und Schimmer um schneeweiße, feingeäderte Schläfen sich ringelnd. Die blonde Farbe des Haares nahm im Mittelalter ein so ausschließliches Schönheitsrecht in Anspruch, daß dunkelhaarige Frauen sich das Haar golden färbten. Gleicher Vorzug genoß die Bläue der Augen, aber noch mehr galt jener unbestimmte unklare Farbenwechsel, wie er „im Auge der Vögel sich zeigt“. Von der schönen Blankflos rühmt ihr Sänger, Conrad von Flecke, daß über ihre Augen, deren Gewalt keiner sich erwehren könne, mit aller Kunst gerade Brauen sich hinzögen, scharf und schmal wie Pinselstriche. Die Weiße der Haut verglich sich dem Schwan und der Schlehenblüthe. Durch dasselbe hindurch muß das Roth schimmern wie glühende Rosen. Aus dem schwellenden festgeschlossenen Munde blicken, wenn er sich zu Rede oder Lächeln öffnet, die weißen Zähne wie „Hermelin aus Scharlach“. Weiß wie Elfenbein, mit gerundetem Grübchen, glänzt das Kinn und „wie eine Ameise“, zierlich schlank ist die Taille. „Finger lang, gerad und glatt, Arme weiß gerundet fein –“ lautet weiter der allgemeine Schönheitsspruch. Die Füße aber sind schön, wenn sie neben ihrer Kleinheit und Schmalheit so gewölbt sind, daß „sich ein Vöglein drunter bergen kann“.

In der Blüthe des Mittelalters erweiterte sich die ideale Verehrung der Frau zu einem förmlichen geregelten Cultus, zu einer Art Frauendienst, der dem Verhältnisse des Lehnsherrn zum Vasallen entsprach. Seine besondere Ausbildung erlangte er in der Provence, dem Lande der Troubadoure; er wurde hier zum gefährlichen Spielzeuge für die südliche Gluth der Sinne. Nach Deutschland trug sich nur seine ideale Grundstimmung hinüber. In der That war es dort zumeist nur das Ideal der Frau, nicht eine lebendige Person, die der begeisterte Ritter und Sänger im Herzen trug und mit allen Wundern der Phantasie umgab. War die gefeierte Geliebte auch wirklich ein lebendes Wesen, so hatte der blöde Sänger sie doch nicht mit Augen geschaut. Er hatte nur gehört, daß auf einsamer Burg in ferner Grenzmark eine Frau lebe, reich an Schönheit und an Tugend – und aller Welt wie ihr selbst unbewußt, erkor er sie zu den bereits traumhaft in ihm schlummernden Ideale seines Herzens. Nie hat der deutsche Idealismus, von dem so viel die Rede geht, mächtigere Blüthen getrieben, als in jener Zeit der ritterlichen Minne.

Wurde die phantastisch genährte Sehnsucht dem Sänger zu stark, so machte er sich wohl auf den Weg nach der Burg, wo die Erkorene heimte. Unterwegs schon hatte er in allen Herbergen und Schlössern ihr Lob verkündet. Dann umschlich er unerkannt und geheim die Stätte ihres Waltens und sandte seine Lieder in stiller Nacht zu ihr hinauf, bis die Gefeierte heraustrat auf den mondbeschienenen Söller und ihm ein Zeichen der Erhörung oder auch die Lauge des Spottes herabschickte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_711.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)