Seite:Die Gartenlaube (1878) 716.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

immer die ersten Versuche angestellt und die ersten Erfolge erreicht werden.

Das erstere prächtige dunkelrothe Vögelchen erbaut aus Agavefasern, in Ermanglung derer aus elastischen Heuhalmen und im Spätsommer am liebsten aus frischen Spargelzweigen, ein künstliches kugelrundes Nest mit sorgfältig gerundetem engem Schlupfloch. Dabei ist das Pärchen so harmlos und zutraulich, daß wir seine Brut in der Nähe betrachten und sein Familienleben schauen dürfen. Glückt uns die Zucht – und unter günstigen Umständen, bei zweckentsprechender Behandlung und Verpflegung ist es bei diesem Prachtfinken immer der Fall, – so erblicken wir bald die winzigen schneeweißen Eier und später die wunderlich genug aussehenden nackten, allmählich sich befiedernden Jungen.

Was den Zebrafinken betrifft, so gehört er zu den buntesten dieser kleinen Schmuckvögel und zeigt zugleich ein sehr drolliges Wesen. Auch er ist immer einer der Ersten beim Nestbau, und während Männchen und Weibchen in der beginnenden Heckzeit gar lustig ihre Trompetentönchen erschallen lassen, werden beide wohl so zahm, daß sie uns komisch dreist das Futter aus den Fingern holen. Trotzdem dürfen wir ihrem kleinen Heiligthum nicht nahen, denn manchmal bestimmt sie die geringste Berührung oder wohl gar nur ein Blick hinein dazu, leichten Sinnes das Nest sammt den Eiern im Stich zu lassen. Wenn es bei sorgfältiger Behandlung – oder am besten indem man außer guter und regelmäßiger Verpflegung sich so wenig wie möglich um sie bekümmert – glückt, eine Brut groß zu füttern, so ergiebt sich dann aber auch ein kaum beschreibbar lieblicher Anblick. Im Gegensatz zu dem farbenreichen Männchen kommen schlicht fahlgraue Junge zum Vorschein, nur mit einem weißen Streif an jeder Wange und einigen Tüpfeln aus dem Schwanz, die mäuschenflink laufen und unendlich drollig sich geberden. Wenige Wochen später begannen sie die Farbe zu ändern; an bestimmten Stellen erscheinen bunte Federn und gestalten sich allmählich zu den charakteristischen Abzeichen. Wie der Zebrafink nistet auch das allbeliebte, unendlich zierliche Goldbrüstchen mit großem Eifer vor unseren Blicken, aber es thut dem Herzen des liebevollen Züchters wehe, wenn er mit ansehen muß, wie in förmlich fieberhafter Hast viele Monate hindurch wieder und wieder das kunstlose Nest gebaut und dann darin gebrütet wird, und wie jedesmal die drei bis sieben Eier verlassen oder im Fall des Ausbrütens die Jungen sich selbst und damit dem Tode anheimgegeben werden. Wenn aber der Züchter doch einmal ein Nest voller Junge auch von einer solchen heiligen Vogelart glücklich flügge werden sieht, wie groß ist dann die Freude! Und wenn er nun so in seinen Erfahrungen immer weiter fortschreitet, seine Kenntniß dieser Vogelwelt mehr und mehr bereichert, wenn es ihm dann wohl gar glückt, selbst sehr kostbare, seltene oder besonders interessante Prachtfinken zu züchten, wenn er gar die staunenswerth kunstvollen Nester der Webervögel vor seinen Augen erstehen sieht, vielleicht selbst mit Glück wagt, Versuche mit werthvollen Papageien anzustellen, – so liegt in alledem begreiflicherweise eine Fülle von reinen und lohnenden Freuden. Welch herrlicher Erfolg z. B. war es, als der prachtvolle Lori der Blauen Berge von deutschen Liebhabern gezüchtet wurde, nachdem er vor kurzer Zeit von seiner Heimath Australien nach London eingeführt worden! Man hatte bis dahin geglaubt, daß die Pinselzüngler-Papageien (Loris) für die Dauer in der Gefangenschaft gar nicht zu erhalten seien. Und gegenwärtig ist dieser farbenreiche Papagei ein ständiger Gast in den Vogelstuben und wird häufig gezüchtet.

Der Reisvogel, ein ganz gemeiner Prachtfink, hatte den ersten Züchtern einen anscheinend unbesiegbaren Widerstand entgegengebracht, wie dies gegenwärtig noch bei den sogenannten Nonnen, namentlich aber bei den Widafinken oder Wittwenvögeln der Fall ist. Dann wurde er aber von mehreren Seiten mit Glück gezogen. Er tritt uns in einer Culturrace entgegen, welche viel älter als der Canarienvogel in Deutschland sein muß, und zwar im zarten, reinweißen Kleide, zu welchem sich der rosafarbene Schnabel und die rothen Füße gar prächtig ausnehmen. Dabei hat er jedoch keine rothen Augen, ist also kein Kakerlak oder Albino, sondern gleich unseren weißen Haustauben eine durch Züchtung hervorgerufene Spielart. Auch in blaubunten und ganz blauen Abänderungen oder Rückschlägen erscheint er. Eine Vogelstube, reich belebt von dieser Reisvogelzucht, gewährt einen prachtvollen Anblick. Obwohl, gleich allen Prachtfinken, keineswegs mit Gesang begabt, lassen die Reisvögel doch immerhin wohlklingende Töne hören, welche denen kleiner Glöckchen nicht unähnlich sind. In Folge der recht ergiebigen Züchtung ist der Preis von fünfundsiebenzig Mark für die ersten aus Japan eingeführten Pärchen gegenwärtig bis auf fünfundvierzig oder gar dreißig Mark herabgegangen.

Wie bei den Reisvögeln, so giebt es eine ähnliche Zuchtspielart bei einem kleineren ostindischen Vogel, dem schwärzlich-braunen Streifenfinken oder Bronzemännchen, und zwar in reinweißer, gelb- oder braunbunter Farbenvarietät; das Thierchen ist als japanisches Mövchen in den Vogelhandlungen und bei den Liebhabern bekannt. Auch dieses Culturvögelchen wird in großer Anzahl in den Vogelstuben und selbst in den Heckkäfigen gezüchtet, und sein Preis von sechszig Mark für die von Antwerpen aus zuerst in den Handel gebrachten Pärchen ist auf fünfzehn bis achtzehn Mark gesunken. Da er diesen Preis jedoch schon seit mehreren Jahren behauptet, so verlohnt sich die Zucht auch in Hinsicht des Ertrages ganz entschieden. Zugleich ergiebt sie ein fortwährend wechselndes Farbenspiel, sodaß in der That das Vergnügen nicht gering ist, welches jedes Nest in seinem Inhalte an reinweißen oder mannigfaltig gescheckten Jungen bietet.

Wenn nun bei der Vogelzucht fast überall die Prachtfinken in größter Mehrzahl vertreten sind und zwar einfach deshalb, weil sie am leichtesten züchtbar und am ergiebigsten sich zeigen, so stellt man doch auch vielfach Versuche mit anderen Finkenvögeln, mancherlei Papageien, mit Täubchen und selbst mit Drosseln und anderen Wurmvögeln an. So wird ein lieblicher kleiner Sänger, der Graugirlitz oder Grauedelfink, nicht selten gezogen, ebenso der rothe Cardinal, der Singsittich, Nymphensittich, die allbeliebten kleinen Zwergpapageien, auch die amerikanische Spottdrossel, als die Königin aller Singvögel bekannt, der blaue Hüttensänger, der Sonnenvogel und zahlreiche andere. Einen herrlichen Erfolg gewährt der erwähnte Sonnenvogel. Um seiner Schönheit und Anmuth, seines angenehmen Gesanges willen gehört er bereits zu den mit Recht hochgeschätzten Stubenvögeln, und um ein ganz Bedeutendes wird sein Werth noch dadurch erhöht, daß er ein Kunstwerk in der Vogelstube errichtet, ein schalenförmiges, aus Agavefasern schön gerundetes Nest, in welchem er ohne besonders mühevolle oder kostspielige Pflege seine Nachkommenschaft erzieht.

In der neuesten Zeit hat man auch mit Züchtung einheimischer Sing- und Schmuckvögel, theils in Volièren draußen im Freien, theils sogar in den Vogelstuben, die erfreulichsten Ergebnisse erreicht; man hat Nachtigall, Rothkehlchen, verschiedene Drosseln, Gimpel oder Blutfink, Zeisig, Edelfink und viele andere Arten mit gutem Erfolge gezogen.

Die Stubenvogelzucht hat sich sodann auch nach zwei Richtungen hin gewandt, welche im Grunde blos als Spielerei erachtet werden dürfen, trotzdem jedoch des zum Eingange erwähnten Vergnügens und selbst eines gewissen wissenschaftlichen Werthes keineswegs bar sind. Man züchtet nämlich, zunächst von den Prachtfinken, allerlei Mischlinge, und derartige Versuche glücken nicht selten in staunenswerther Weise. In manchen Fällen kann durch eine solche Zucht der Wissenschaft insofern Nutzen gebracht werden, als sich daraus die mehr oder minder nahe Verwandtschaft der betreffenden Arten ergiebt.

Fragt man mich nun auf’s Gewissen, welchen reellen Werth die Vogelzüchtung denn eigentlich habe, so brauche ich nur mit Angabe einiger Thatsachen zu antworten. Zehn Jahre sind es her, als ich an dieser Stelle den ersten Anstoß zur Entwickelung der harmlosen Liebhaberei für die kleinen fremdländischen Schmuckvögel gab, eine Anregung, die von überraschender Wirkung war. Die einmal geweckte Liebhaberei fand dann reichliche Nahrung durch die Begründung des Berliner Aquariums, die Neuschöpfung des zoologischen Gartens von Berlin, die Vergrößerung oder Gründung zahlreicher anderer derartigen Naturanstalten, durch die in Folge dessen veröffentlichten Darstellungen in Wort und Bild. Auch meine Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ hat ihr bescheidenes Theil zur Ausbreitung der Liebhaberei beigetragen. Kurz und gut, es entstanden in ganz Deutschland fast zahllose Vogelstuben, Volièren, Heckkäfige, in denen die Vögel lediglich für den Zweck der Züchtung gehalten werden, und mit dieser Verbreitung der Liebhaberei gewann zugleich der Vogelhandel

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_716.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)