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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

darunter mit einbegriffen; schon jahrelang wird diesen Leuten das Evangelium von weißen und farbigen Dienern des Herrn unter allerlei Formen gepredigt, und zwar hauptsächlich in einer Auslegung, die für die Bewohner der Insel besonders eingerichtet ist. Die englische Secte, die das Glück gehabt hat, dieses ergiebige Eiland ganz für sich zu gewinnen, ist die Wesleyanische. Ihr kirchliches Oberhaupt wohnt in Nukualofa, der Hauptstadt der Freundschaftsinseln, auf der Insel Tonga-Tabu, und ist jetzt der Missionär Reverend Baker; dieser geistliche Herr läßt sich alljährlich jedoch herab, die Insel mit seinem Besuche zu beehren, nicht sowohl, um sich von dem geistigen Wohlbefinden seiner Gemeinden zu überzeugen, als um die großartige Contribution von Copra[1] und klingender Münze für gottgefällige Werke, wie den Eingeborenen gegenüber hervorgehoben wird, mit schwungvoller Rede und imponirendem Auftreten zu einer Höhe hinaufzutreiben, wie solche in der ganzen Südsee auch nicht einmal annähernd ein Seitenstück findet, was gewiß sehr viel sagen will. Jeder Erwachsene auf der Insel hat an das Tonga-Gouvernement alljährlich sieben Dollars, ungefähr M. 28, als Abgabe zu entrichten; dieser Betrag wird in vier Terminen bezahlt. Früher zahlten die Eingebornen ihre Abgaben an die Regierung ausschließlich in Copra, die von dem Regierungsfahrzeug regelmäßig abgeholt und zum größten Theile nach Sydney hin verkauft wurde; nachdem aber weiße Tauschhändler sich auf der Insel ansässig gemacht hatten, liefern die Meisten ihren Copra an diese ab und mit dem Erlös bestreiten sie ihre königlichen Abgaben. Es erwächst ihnen daraus ein kleiner Vortheil, weil sie von dem Tauschhändler einen bessern Preis erzielen, als die Regierung ihnen für ihre Producte zugesteht.

Rev. Baker ist jedoch ein viel zu tüchtiger Geschäftsmann, um sich ein so bewährtes System so leicht aus den Händen reißen zu lassen; er besteht noch hartnäckig und leider bis jetzt auch mit Erfolg darauf, die „freiwilligen“ Beiträge für seine Mission nur in Copra empfangen zu wollen; er hat etliche seiner Jünger dort angestellt, die solchen Copra in Empfang nehmen und denselben aufspeichern, bis es sich einmal für ihn lohnt, mit einem Schiffe die Waare nach Sydney zum Verkaufe zu bringen. Daß solches ein für die Mission einträgliches Geschäft ist, mag daraus hervorgehen, daß Rev. Baker zu einer Zeit, wo der Marktpreis in Sydney per Tonne Copra à 2240 Pfund englisch Gewicht 15 Pfund Sterling (306 Mark) war, den Eingeborenen auf Niuafou nur 4½ Pfund Sterling (92 Mark) für dasselbe Quantum bewilligte.

Schreiber dieses war vor nicht langer Zeit auf der Insel anwesend, als Rev. Baker seine alljährliche Ansprache an die Eingeborenen hielt; Jeder von ihnen mußte den Beitrag, den er willens sei im Laufe des nächsten Jahres an die Missionsgesellschaft zu verschenken, nennen, und diese Beiträge wurden mit unabänderlichen Schriftzügen von Rev. Baker sorgfältig notirt. Der Ort, wo solches stattfindet, ist die von Rohr erbaute Kirche. Rev. Baker besteigt die Kanzel und redet die versammelte Menge etwa folgendermaßen an:

„Meine lieben Brüder und Schwestern in Christo! Wiederum bin ich unter Euch erschienen, um eine kurze Stunde Zeit unter Euch zu verweilen und um mit Euch durch Gebet und Gesang Erbauung in Christo zu suchen; mir ist’s eine Wonne! ja, denn wahrlich, Ihr seid des Herrn eigen auserwähltes Volk, unter Euch hat noch kein Säemann seine Saat vergebens gestreut, aber sehet Ihr denn auch nicht, daß Jehova (sein Lieblingswort) sein Auge auf Euch gerichtet hat, wie er Euch vergilt und wie er Euch stets mit Wohlthaten überhäuft, die keiner anderen Insel zu Theil wurden? Wir hören von fernen Landen, von Südamerika und anderswo, wie Jehova sie dort mit Erdbeben und mit Wassersnoth heimsucht. Tausende von Menschen sind dort von Wasser und Erde verschlungen worden und ganze Städte mit allem Leben darin zerstört, aber wißt, liebe Brüder und Schwestern, die Leute, die dort wohnen, sind nicht aus unserer Heerde; es sind Katholiken (die Katholiken sind in Tonga verhaßt), die nur auf den eigenen Vortheil bedacht sind, nichts für ihre Missionäre thun. Von der Türkei hören wir von Krieg und Pestilenz. Frauen und Kinder werden dort gräßlich ermordet und Tausende von Männern hingeschlachtet; warum sucht Jehova dieses Volk so hart heim? Wisset, liebe Brüder und Schwestern, es sind Mohammedaner, die nicht an Christum glauben und keine Missionäre unter sich dulden wollen; auf diese Art, sehet Ihr, werden die Ungläubigen heimgesucht. Ihr auf Eurer friedlichen Insel wißt nichts von Krieg oder Pest; auch hat kein Feuer Eure Insel in langen Jahren heimgesucht, nein, denn ich sage es noch einmal: Ihr seid des Herrn eigene Heerde. Ihr seid Christen! Ja (zum alten Gouverneur gewendet) Du, Fotofile, und Du, Paula Fusitua (ein alter eingeborener Richter), Ihr seid Christen; hier vor der ganzen Versammlung rufe ich es aus: Ihr seid Christen. Seid Ihr nicht immer Euren Untergebenen mit einem würdigen Beispiele vorangegangen? Habt Ihr nicht immer reichliche Beiträge zur Mission gegeben? Ihr habt es nicht geachtet, wenn solche fast Eure Kräfte zu übersteigen drohten, aber werft einen Blick auf Eure Cocosnuß-[WS 1] und Brodfruchtbäume sowie auf Eure Yams- und Tarrofelder! Wahrlich, Jehova hat sie reichlicher gesegnet, als diejenigen Eurer Brüder in Hapai und Vawao. Wißt Ihr nicht Alle, wie der Viehstand des Nehume (indem er sich zu diesem Manne wendet) mit neun schönen Ferkeln (wörtlich) erst vor Kurzem gesegnet wurde, gab aber auch nicht derselbe Mann 150 Dollars voriges Jahr an die Mission? Sehet seinen Nachbar an! Seine Cocosnußbäume sind leer, und seine Yams gedeihen nicht. Der Mann hängt am Mammon und theilt nichts mit den Lehrern, die, um seine Seele für Christum zu gewinnen, sich es sauer werden lassen müssen.“

Nachdem nun Rev. Baker noch nach verschiedenen Seiten hin Diesen und Jenen angeredet und angefeuert hat, sonst auch noch derjenigen Gemeinde, welche den größten Beitrag gebe, Lampen und Stühle etc. für ihre Kirche oder Schule, sowie allerhand Segen verheißen hat, rückt er endlich, zu Fotofile gewendet, mit der Frage hervor, wie viel ihm von Christo eingegeben sei, im kommenden Jahre aus seinen eigenen Mitteln für den heiligen Zweck zu gewähren.

Der alte Mann, schon durch die lange Rede und durch von solchem Munde empfangene Lobhudelei halbwegs in ein Stadium der Unzurechnungsfähigkeit versetzt, richtet sich von seinem Sitze langsam empor; vergebens sucht sein armes schwarzes Gesicht dem drohenden Blicke des Christusverkünders auszuweichen. Alles schweigt; man würde eine Nadel fallen hören; er blickt langsam umher, doch nirgends eine Hülfe für ihn; er steht im Begriffe, sich wiederum für ein ganzes Jahr elend zu machen; seine verworrene Gedankenreihe spottet aller Versuche, sie zu sammeln. Endlich murmelt er etwas; Keiner hat es recht gehört, viel weniger verstanden. Eine augenblickliche Verklärung erhellt jedoch momentan die strengen Züge des in den Augen der Einfältigen allmächtigen Rev. Baker; sein Ohr hat die Worte des alten Mannes vernommen oder hat sie vernehmen wollen. Er ruft mit weithin hörbarer Stimme: „Sechshundert Dollars,“ und macht gleich eine Notiz. Hatte Fotofile solche Summe genannt? Sicherlich nicht; er ist überhaupt nur zum Schein befragt worden, und Rev. Baker hatte schon lange vorher auscalculirt, wie viel Fotofile nothwendig zu geben habe. Rev. Baker hat gewonnen Spiel: der große Coup ist ihm gelungen, denn Fotofile fällt zurück und bleibt stumm. Es folgen die Anderen alle, die in den Augen des gnädigen Rev. Baker’s nicht schlechter sein wollen: Paula Fusitua mit 400 Dollars Beitrag (sein ganzes Salair) und so herunter bis zum letzten Manne, Einer den Andern, alle zu Fanatismus aufgestachelt, unsinnig überbietend.

Als Rev. Baker wenige Tage darauf stillvergnügt den Staub von seinen Füßen schüttelte und der Insel ein: Auf Wiedersehen! zurief, da wußte Alles und Jedes dort, daß der genügsame Mann um 12,000 Dollars, ungefähr 48,000 Mark, reicher war, als da er dort ankam. Von einer Insel wie Niuafou, deren Einwohnerzahl, im Abnehmen begriffen, jetzt nicht 1100 Köpfe übersteigt, Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts mitgerechnet, ist solche Einnahme geradezu enorm zu nennen; denn jene Zahl repräsentirt nur ungefähr 300 Steuerpflichtige!

Auf der Insel stellen sich gar bald die traurigen Folgen solcher übertriebenen Schenkungen ein; vorerst müssen die Eingeborenen den Copra schneiden, um damit ihre königlichen Abgaben zu bestreiten; darauf hat Jeder seinen Missionscopra zu schneiden, und dabei darf er nicht unterlassen, die Kirche vier Tage der Woche jeden Tag zwei Mal und Sonntags vier Mal zu besuchen, sonst wird er in’s Kirchenbuch notirt und ihm fährt ein Unglück auf’s Dach, und zwar in Gestalt von Geldstrafen. Woher aber soll er sich die Zeit nehmen, um Copra für seinen und


  1. Copra ist der zerschnittene, an der Sonne getrocknete Kern der Cocosnuß, aus welcher das Cocosnußöl gepreßt wird, das in unseren Tagen ein bedeutender Handelsartikel ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cocusnuß-
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_719.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)