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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


7.

So war der Sonnabend vor Pfingsten gekommen; lächelnd und golden schien die Sonne vom blauen Himmel herab auf die Erde, küßte im Garten der Lumpenmühle die vielen Röschen wach, guckte durch die blüthenweißen Gardinen in die Stuben und brannte heiß auf die Sandsteinbänke vor der Hausthür. Die Muhme stand im Garten und pflückte Blumen in die Schürze; Lieschen half ihr; sie hatte einen großen runden Strohhut auf und Gartenhandschuhe an den kleinen Händen und suchte und schnitt die allerschönsten Blüthen ab.

Ihr Gesicht hatte einen veränderten Ausdruck bekommen; besonders die Augen schauten so ganz anders drein als sonst, und gar nicht so fröhlich, wie es sich für einen so blauen lächelnden Frühlingstag paßte, und die Muhme war zärtlicher gegen sie als jemals. – Vom Dache schossen zirpend ein paar Schwalben an ihnen vorbei und schwangen sich dann hoch auf in den blauen Aether. Im Hause war Alles schon spiegelblank und sauber; selbst oben standen die Fenster der altmodischen Putzstuben weit geöffnet, um überall die frische Gottesluft einzulassen, und überall duftete es nach Festkuchen. Drüben im Geschäftshause und in den Fabrikräumen war schon früh das Klappern und Stampfen der Maschinen verstummt; die Arbeiter rüsteten daheim auch zum Feste. Herr Erving gab gern einen solchen Tag frei – dafür ging’s nachher auch um so fröhlicher an die Arbeit.

Der Herr Buchhalter und die zwei anderen jungen Leute aus dem Comptoir waren schon heute früh singend in die Welt gezogen, um eine kleine Pfingsttour zu machen, nur Herr Selldorf war zurückgeblieben. Er promenirte vergnügt im Ellerngange am Mühlbache auf und ab und ergötzte sich an den Sonnenstrahlen, die das Wasser bis unten auf den Grund durchschimmerten, und an dem Gewimmel der winzigen Fischchen, die an solch einer sonnigen Stelle so possierlich flink durcheinander schossen; zuweilen schaute er verstohlen nach dem Garten hinüber, ob da nicht bald wieder ein großer weißer Strohhut mit kornblumenblauen Bändern auftauchen würde, unter dem ein Paar so tiefe liebe Augen hervorleuchteten, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

Am geöffneten Fenster der Wohnstube, die nach dem Garten hinaus sah, saß Frau Erving und nähte himmelblaue Schleifen auf ein weißes Kleid für ihr Lieschen zum Feste; sie hatte ihrem Manne gewinkt, der eben eingetreten war, und zeigte ihm jetzt die beiden Gestalten dort unter den Blumen im Garten.

„Sieh, Erving, wie die Muhme das Mädchen hätschelt!“ sagte sie lächelnd, „sie hat’s schon immer verzogen, aber seit einiger Zeit ist es noch viel ärger damit geworden; seit die Liesel neulich ein paar Tage so blaß aussah, da will sie das Kind förmlich auf den Händen tragen.“

„Laß sie, Minnachen!“ erwiderte Erving, „sie ist wohl aufgehoben bei der Muhme, aber Du hast Recht, sie sah ein bischen blaß aus, die Liesel, und weißt Du, was mir noch auffiel? Sie ist seit einer vollen Woche nicht auf dem Schlosse gewesen, und die Nelly war doch schon drei Mal hier.“

„Je nun, das sind so Mädchenlaunen, vielleicht haben sie irgend etwas mit einander gehabt, die Beiden; aber sie geht morgen sicher hin; ich dächte, sie hat davon gesprochen.“

„Morgen?“ fragte Erving, „hm, da ist ja der Selldorf unser Gast; was sollen wir Beide allein mit ihm anfangen?“

„O, sie bleibt ja nicht lange oben; sie haben Besuch auf dem Schlosse, die Cousine, von der Nelly erzählte, und den Army, aber Lieschen ist bis jetzt immer gegangen und hat frohe Feiertage gewünscht, da wird sie es auch diesmal kaum unterlassen,“ meinte Frau Erving bittend.

Er nickte zerstreut. „Er ist ein netter Junge, der Selldorf,“ sagte er dann. Seine Frau sah ihn an und lächelte, und er lachte wieder.

„Jetzt weiß ich, was Du denkst, Alter,“ rief sie fröhlich.

Er bog sich zu ihr herunter. „Wirklich, Minna? Nun, und wär’s denn so schlimm? Sieh, ich muß schon einmal einen Schwiegersohn haben, der in’s Geschäft paßt, und er ist ein prächtiger Mensch; ich habe ihn kennen gelernt – derselbe biedere Charakter wie sein Vater.“

„Mann,“ sagte sie, und ihre schönen großen Augen sahen ihn fast flehend an, „ich bitte Dich, mach’ keine Pläne! Sie ist ja fast noch ein Kind.“

„Warst Du denn älter, als Du meine Frau wurdest, Minnachen?“

„Nein, Bernhard, aber –“

„Und sind wir denn nicht glücklich zusammen gewesen bis jetzt, und wollen es auch noch ferner sein?“

Sie nickte und griff zum Taschentuch, das sie vor die Augen preßte. „Das meinte ich auch nicht,“ sagte sie, während er ihre Hand ergriff und den Arm um sie schlang, „aber ich möcht sie so gern noch ein wenig ganz ungetheilt für mich haben, denn wer weiß, wie lange ich –“ sie brach ab, und versuchte die

hervorquellenden Thränen zu unterdrücken. „Laß nur!“ bat sie,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_721.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)