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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Götter. In seltsamer Weise vermischte sich dabei der alte Glaube mit dem neuem. Das gewöhnliche Volk veränderte oft nur die Namen und verehrte in der Jungfrau Maria die Göttin Frigg und in dem Apostel Petrus fand es Aehnlichkeit mit dem Gotte Donar. Auch die alten Festbräuche beim Nahen des Winters und beim Fortgange desselben, bei Geburt und Tod schleichen sich in oft wenig veränderter Gestalt in die neue Lehre über, und bis zur Jetztzeit haben sich ihre Spuren erhalten.

Die altdeutschen Leichenbräuche mögen uns zeigen, wie die Gegenwart in der Vergangenheit wurzelt.

In den Gemälde-Ausstellungen circulirte vor Kurzem ein groß angelegtes Bild des Münchener Malers Georg Urlaub, dessen umstehende Wiedergabe den altgermanischen Begräbnißact in ergreifender Weise zur Anschauung bringt. Germanische Krieger beerdigen ihren Stammgenossen. Auf offener Haide haben sie das Grab gegraben, und auf einem Brette, in voller Waffenrüstung, wird der Todte der Erde übergeben. Die besten Waffen und seinen Schmuck legt man ihm bei, damit er in der andern Welt ehrenvoll neue Kämpfe bestehen kann. Die Straße ist weit, die der Todte zu gehen hat; darum ist ihm festes Schuhzeug mitgegeben worden, und Speise und Trank, Stahl und Stein, damit er sich Licht machen kann auf dem finsteren Wege; selbst ein Reisepfennig darf nicht fehlen. Ueber das Grab aber werden die Stammgenossen, dem Todten zu Ehren, Steine legen und dann ihres Weges weiter ziehen.

„Aber ich denke,“ wird mancher unserer Leser fragen, „die Germanen haben ihre Todten verbrannt?“

Allerdings, indessen die Forschungen auf diesem Gebiete, das Oeffnen zahlloser Leichenhügel haben hinreichend bewiesen, daß in vorgeschichtlicher Zeit die Todten begraben und erst später, im sogenannten Eisenzeitalter, verbrannt worden sind.

Man pflegt die Urzeit bis zur historischen Zeit heraus in drei Perioden einzutheilen. Professor Rochholz sagt in seinem Werke „Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit“: „Die der Steinzeit angehörenden Hünengräber, älter als die Einwanderung der Germanen nach Europa, haben eine längliche Form, welche bedingt ist durch die längliche oder viereckige Steinkiste im Innern, über welche die Erde des Hügels hergehäuft ist. Da die Grabstätten der Urvölker zugleich ein Abbild ihrer Wohnstätten sind, so wird in der Steinperiode wohl auch die Wohnung viereckig gewesen sein, wie das Grab. Hierauf folgt die Bronzezeit mit den Kegelgräbern welche vertreten ist durch das Volk der Kelten und Germanen. Daß diese Völker in Rundhäusern wohnten, ergiebt sich aus der Rundgestalt ihrer Gräber und der darin erhobenen Urnen. Diese letzteren sind eben ihrer sprechenden Form wegen unter dem Namen Hausurnen eine Zierde unserer Alterthumssammlungen. Die letzte Periode bildet die Eisenzeit mit den Plattengräbern.“

Daß in Deutschland in der älteren Eisenzeit neben dem Verbrennen das Begraben gebräuchlich war, das beweisen gleichfalls viele Grabhügel, in denen man neben verbrannten Gebeinen auch ganze unverbrannte Gerippe vorfand. Höchst interessant in dieser Beziehung sind die Gräber von Hallstatt im Salzkammergut, die aus der frühen oder sogenannten älteren Eisenzeit stammen.

Nachdem hier schon in den vergangenen Jahrhunderten einzelne Alterthumsgegenstände zu Tage gekommen waren, stieß der Bergmeister Johann Georg Ramsauer im Jahre 1846 beim Abräumen der Dammerde auf ein menschliches Skelet, das einen Bronzering am Arme trug, und weiter auf mehrere Gräber mit Gefäßen voll Thon und Bronze. Die vorgerückte Jahreszeit that einer weiteren Untersuchung des Terrains Einhalt; im nächstfolgenden Jahre begannen jedoch im Auftrage des kaiserlich königlichen Münz- und Antikencabinets in Wien systematische Ausgrabungen, die schon im ersten Jahre überraschende Resultate lieferten und bis zum Jahre 1864 fortgesetzt wurden. Die Leitung übernahm Herr Ramsauer, welcher mit unermüdlicher Ausdauer sich dieser Arbeit widmete und ein Tagebuch über dieselbe führte, in welchem jedes Grab genau beschrieben und durch Zeichnungen veranschaulicht wurde. So wurden 993 Gräber geöffnet und 6084 Gegenstände aus denselben gehoben, welche in Wien aufbewahrt werden und eine für die Culturgeschichte unschätzbare Sammlung bilden.

Die Gräber waren äußerlich weder durch einen Hügel, noch durch eine Steinsetzung bezeichnet, also sogenannte Flachgräber, die theils in der Dammerde, theils in dem einhalb bis einen Meter unter derselben lagernden feinen Kalkschotter angelegt sind. Man fand hier verbrannte und unverbrannte Leichen und zwar in einem Grabe, wo bald die verbrannten Ueberreste, bald die unversehrten Leichname bestattet worden, sodaß der eine Begräbnißbrauch nicht den andern abgelöst haben kann, sondern beide neben einander fortgedauert haben müssen.

Die unverbrannten Leichname ruhen mit ihren Beigaben in freier Erde oder in einer Thonmulde mit fünf bis neun Centimeter hohem aufstehendem Rande und sind mit größeren Steinen zugedeckt. Der Körper liegt ausgestreckt, die Arme in verschiedener Lage. Eine einzige Leiche war in hockender Stellung beigesetzt worden; mehrere lagen wie schlafend auf der linken Seite, die Hand unter dem Kopfe. In einigen Gräbern lagen zwei Skelete; auch Eltern und Kinder befanden sich so in einem Grabe beisammen.

Spuren von Leichenverbrennung zeigten sich 455 Gräbern. Die verbrannten Knochen und die Asche lagen in freier Erde, auf größern Steinen oder in einer Mulde, einmal in einer Holzkiste, zweimal in Bronzegefäßen, in Thonurnen nur ausnahmsweise. In den Mulden waren sie zu einem Häuflein aufgeschüttet, und der freie Platz daneben schien für die Grabgeschenke bestimmt zu sein. Ueber das Ganze waren die Gewänder gebreitet und schließlich Steine darüber geschüttet. So wenig, wie sich in der Lage der Gräber irgend welche Symmetrie und Absicht erkennen ließ, so wenig Klarheit ließ sich über den Unterschied der Gräber mit den unversehrt begrabenen und denjenigen mit verbrannten Gebeinen gewinnen. Beide umschlossen die Reste von Männern, Frauen und Kindern. Ein Grab enthielt die Reste zweier Kinder, von denen das Eine verbrannt, das Andere unversehrt beerdigt war.

Die mitbegrabenen Geschenke ergaben ein reiches Material: Bronze, Gold, Eisen, Glas, Achat, Bernstein, Thon, Elfenbein ist zu Waffen und Geräthen aller Art verarbeitet worden. Hingegen fand man weder Silber, noch Münzen, noch Schrift.

Sind nun auch die Hallstätter Gräber wohl nichtgermanischen Ursprungs, so zeigten doch zahlreiche andere Grabstätten dieselben Ergebnisse. Später in der jüngeren nordischen Eisenzeit herrschte überall die Leichenverbrennung vor, die nach der alten Götterlehre Odin selbst eingeführt hat. Er sagte jedem Verbrannten Aufnahme im Walhall zu und je höher der Rauch bei der Feier stieg, desto mehr ehrte Odin den Todten.

Als der lichtstrahlende Gott Balder durch Loke’s List gefallen, da versammelten sich die Götter zu einer großartigen Leichenfeier. Aus dem Todtenschiff erhebt sich der mächtige Holzfloß, auf dem – von den Göttern reich geschmückt – der Gefallene liegt. Weinend kommt Nanna, Balder’s Gattin, herbei. Der Schmerz bricht ihr das Herz, und so wird auch sie zu dem Todten gelegt. Balder’s Roß, mit kostbarem Sattelzeug geschmückt, muß gleichfalls seinem Herrn folgen, und nun weiht Thor mit dem Hammer die Flammen. Odin selbst giebt noch dem Geliebten seinen kostbaren Ring Draupnir, und redet ihm geheime Worte in’s Ohr. Hoch auf schlagen dann die Flammen, und die Winde entführen das Schiff. Die Götter, am Ufer stehend, sehen es steigen und sich neigen, sinken und schwinden.

Die nordische Sage weiß auch von alten Seekönigen, die auf ihrem Schiff und mit demselben verbrannt wurden. In prunkenden Gewändern wurden sie auf das Schiffsdeck gelegt und um sie ihre Pferde, Hunde, Falken und ihre Sclaven. Dann wurde das Segel gehißt, der Anker gelichtet, das Fahrzeug vom Lande gestoßen und die Brandfackel hineingeschleudert. Sanft glitt das Schiff über die Fluth und versank in die Tiefe. Nicht nur Roß, Hund und Falke folgten ihrem Herrn in den Tod, auch die treuen Diener, bisweilen sogar die Gattin. Aber sie folgte aus eigenem freiem Willen. Als Brynhilde ihren Entschluß kund giebt, den Sigurd auf dem dunkeln Gang zu begleiten, wozu sie sich kraft ihrer Liebe berechtigt fühlt, bemerkt sie tadelnd:

„Schicklicher stiege unsere Schwester Gudrun
Heut auf den Holzstoß mit dem Gemahl,
Gäben ihr gute Geister den Rath,
Oder besäße sie unseren Sinn.“

Dann bittet sie ihren Gemahl, eine so breite Burg auf dem Felde zu erbauen, daß Alle, „die mit Sigurd zu sterben kommen, darin Raum finden“:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_726.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)