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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aus Robert Blum’s Leben.
10. Die Septembertage in Frankfurt (1848). Die Wiener Octoberrevolution.

Ueber die Septembertage des Jahres 1848 ist in der „Gartenlaube“ schon so oft eingehend berichtet worden, daß wir uns hier begnügen können, an folgende Thatsachen zu erinnern.

Am 26. August hatte Preußen, nach einem glänzenden Siegeslauf, plötzlich den Waffenstillstand von Malmö geschlossen, welcher das durch deutsche Waffen dem Dänen abgerungene deutsche Land Schleswig-Holstein dem Besiegten preisgab. Dahlmann, seit siebenzehn Jahren der treue Vorkämpfer der schleswig-holsteinischen Sache, hatte am 4. September eine Interpellation im Parlament deshalb eingebracht und die Verwerfung des Waffenstillstandes beantragt. Am 5. September wurde der Waffenstillstand vom Parlament mit siebenzehn Stimmen Majorität verworfen; das Reichsministerium Schmerling trat zurück, und der Reichsverweser beauftragte Dahlmann mit der Bildung eines neuen Ministeriums. Da Dahlmann nur mit Hülfe der Linken gesiegt hatte und mit Robert Blum nicht ein Ministerium bilden wollte, gab er den Auftrag an den Reichsverweser zurück. So kam die Waffenstillstandsfrage am 14. September ein zweites Mal vor die Nationalversammlung, und diesmal wurde der Vertrag am 16. September mit einundzwanzig Stimmen Mehrheit genehmigt. Die Rede, die Blum an diesem Tage gegen den Waffenstillstand hielt, ist die reifste und schönste seines parlamentarischen Wirkens, zugleich die letzte, die er in Frankfurt hielt. Er und Lichnowsky sprachen in ihrer letzten Rede versöhnlich, friedlich.

Die ungeheure Erregung über diesen Beschluß theilte sich den Volksmassen mit, die am 17. September, einem Sonntag, auf der Pfingstweide Versammlung hielten. Vergebens warnte Blum vor revolutionären Entschlüssen. Auch hier siegten die Gesinnungsgenossen Jäkel’s. Sie hießen hier Zitz und Schlöffel. Am 18. suchten bewaffnete Banden in die Paulskirche einzudringen, Barricaden erhoben sich in Frankfurt. Mit Todesverachtung ging Blum unbewehrt den Flintenläufen der Empörer entgegen und suchte durch die Macht der Rede den Frieden ohne Blutvergießen zu ermöglichen. Es war umsonst. Die Abgeordneten Fürst Lichnowsky und General Auerswald wurden barbarisch hingeschlachtet. (Siehe Gartenlaube 1873, Nr. 40.) Die Barricaden wurden durch Mainzer und Darmstädter Truppen gesäubert.

Unleidlich im höchsten Maße war durch diese Vorgänge die Stellung der Linken, vor Allem die Blum’s im Parlament geworden. Von der siegreichen Mehrheit unbegreiflicher Weise der Mitschuld an den Septembertagen verdächtigt, von den vernichteten Empörern und ihrem Anhang aus der äußersten Linken des Parlaments als Volksverräther verdammt – nach einem Briefe Wolaczeck’s vom 24. August hatte sich damals schon Arnold Ruge von Blum losgesagt, und jetzt sprach auch Ludwig Bamberger in Mainz ein vernichtendes Urtheil über Blum’s volksfeindliche Haltung aus – hatte er den Schmerz zu erfahren, daß auch weite Kreise seiner Anhänger in der Heimath in der einen oder andern Richtung gegen ihn Partei nahmen. Jäkel schrieb im Tone des Vorsitzenden eines Revolutionstribunals an Günther am 27. September: „Warum tratet Ihr nach dem schmachvollen Waffenstillstandsbeschluß nicht aus dem Parlamente aus und constituirtet ein eigenes? ... Ich habe Blum schon vor einem Monat geschrieben: wir seien entschlossen, Niemanden mehr zu schonen, der nicht ganz entschieden auftrete. Ich weiß nicht, ob er das richtig verstanden hat, aber auf gut Deutsch heißt es: Wir lassen uns für Euch todtschlagen, so lange Ihr die Freiheit mit Kraft anstrebt; wir schlagen Euch aber selbst zuerst todt, sobald Ihr schwankt und durch Aengstlichkeit große Dinge verpfuschen wollt.“

Blum fühlte das Bedürfniß, sich gegen diese Anschuldigungen zu rechtfertigen. Er that es in einem Briefe an Haubold am 3. October: „Dieser unsinnigste und fluchwürdigste aller Straßenkämpfe hat uns fast ebensoviel geschadet, wie die Februar- und Märzrevolution genützt, und man fragt sich oft ernstlich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe. Und wie stehen wir persönlich? Von der einen Seite giebt man uns ‚intellectuelle Urheberschaft‘ eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit vor, weil wir die Versammlung auf der Pfingstweide nicht für das deutsche Volk ansehen und uns den Dictaten ihrer exaltirten Abgeordneten nicht fügen wollten ... Soll ich Dir versichern, daß wir keinen Antheil an dem Aufstande haben, daß wir vielmehr als Partei wie als Privatpersonen alles aufgeboten haben, denselben zu hindern? Dummheiten sind auf der Pfingstweide gemacht worden – das ist wahr, namentlich von Schlöffel und Zitz. An einen Aufstand aber hat kein Mensch gedacht; es hat ihn kein Mensch geahnt. Man hat diesen Aufstand gepflegt wie eine Treibhauspflanze.[1] Man hat das Blut unnütz und frevelhaft vergossen; mit einer Compagnie Soldaten war die ganze Kinderei – es war anfangs nichts Anderes – zu beseitigen. Während das Volk nun seine entrüsteten Blicke auf die angeblichen ‚intellectuellen Urheber‘ lenken läßt, wird man ihm Hände und Füße knebeln und es mißhandeln wie früher. Ach, das Schicksal unseres Vaterlandes und unseres Volkes ist doch ein sehr trauriges; es scheint mir oft, als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht die Kraft zu einer Auferstehung habe.“

An seine Frau aber schreibt er am 4. October: „In der Nationalversammlung verfolgt uns Bosheit; vom Volke in die traurigste Stellung gebracht aus Dummheit, von den Demokraten angefeindet und geächtet aus Unverstand, stehen wir isolirter als jemals und haben vor- wie rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands hat nicht blos Staaten und Stämme aus einander gerissen, sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit. Nie bin ich so lebens- und wirkensmüde gewesen wie jetzt; wäre es nicht eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde zusammenraffen, was ich allenfalls habe, und entweder auswandern oder mir in irgend einem stillen friedliche Thale des südlichen Deutschlands eine Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht, weil ich muthlos bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirklich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisyphusarbeit, die ewig sich erneuert und kaum einen Erfolg zeigt. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig werden.“

Dieses tiefe Bedürfniß nach einer Ruhepause in dem unablässigen Kampfe, der dem rüstigen Kämpfer nur völlige Ermattung und Niedergeschlagenheit, beinahe Hoffnungslosigkeit eingetragen hatte, sollte mit einem Male in eigenthümlicher Weise befriedigt werden: durch seine Reise nach Wien. Diese untrüglichen Zeugnisse von der Stimmung Blum’s vor Antritt der Wiener Reise bewahrheiten aber zugleich nachdrücklich die Ansicht, daß der Führer der Frankfurter Linken „vor- wie rückwärts keine Hoffnung“ sah, mit der bisherigen Parteitaktik weiter zu kommen, daß ihm namentlich auch ein Anschluß an die „Demokraten, die ihn angefeindet und geächtet aus Unverstand“, in tiefster Seele zuwider war, und daß er daher diese Reise wohl antrat mit dem stillen Vorsatze, mit einem neuen realpolitischen Plane und mit neuer Kraft zu seiner Partei zurückzukehren. Sein Tod aber breitet über die Antwort auf diese Frage das Schweigen des Grabes.

Die Antwort, die der Todte nicht geben kann, giebt indessen sein Verhalten vor seiner Abreise nach Wien.

In Wien war, wie im übrigen Oesterreich und Deutschland, die Reaction zu Anfang October bereits wieder mächtig erstarkt. So unreif auch das Gebahren des siegreichen Radicalismus vom März bis October gerade in Wien zu Tage trat, und so lästig das Regiment der Aula für alle reifen politischen Bürger der österreichischen Hauptstadt sein mochte, gewiß ist, daß das Ministerium Wessenberg schon seit Monaten mit der

  1. Diese Darstellung stimmt mit der mündlichen Mittheilung eines leider jüngst verstorbenen Augenzeugen an mich, Julius Faucher’s. Faucher erzählte mir, er habe damals Germain Metternich, den Hauptagitator der Pfingstweide, im Palais des Herrn von Schmerling aus- und eingehen sehen. Neu wäre der Vorgang nicht. Schon zur Zeit des Frankfurter Attentates 1833 hatte die k. k. Bundestagsweisheit die Revolution zum Ausbruch kommen lassen, um nachher eine frische fröhliche Reaction heraufzuführen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_728.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)