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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Camarilla“ einen Staatsstreich plante, der mit Hülfe des Heeres die Märzverfassung aufheben und das alte absolute Kaiserthum wieder aufrichten wollte. Am 3. October enthüllte sich der andere Theil dieser reactionären Politik. Schon vorher waren Briefe aufgefangen worden, welche verriethen, daß die Regierung den in Ungarn eingefallenen Banus von Kroatien Jellacic heimlich mit Geld und Kriegsmaterial unterstützte. Durch die kaiserliche Verordnung vom 3. October wurde der Banus, der Todfeind Ungarns, zum Oberbefehlshaber aller kaiserlichen Truppen und zum kaiserlichen Statthalter in Ungarn ernannt. Das war die offene Kriegserklärung an Ungarn. Und der Volksinstinct in Wien hatte Recht, wenn er darin nur das Vorspiel zum Umsturze der Märzverfassung erblickte.

Eine bewaffnete Empörung bemächtigte sich innerhalb vierundzwanzig Stunden – dank der völligen Unthätigkeit und der rathlosen Führung der Truppen – am 6. October der Stadt, und ermordete in gräßlicher Weise den Kriegsminister Latour, während seine Grenadiere Gewehr im Arm dem furchtbaren Schauspiele zusahen. So empörend diese scheußliche That des Pöbels auf der einen, die Zuchtlosigkeit der bewaffneten Macht auf der andern Seite ist, so ist das Empörendste an der ganzen Tragödie doch die damalige Haltung der Regierung. Der Deputation des Reichstages, die nach der Revolution treuvertrauend zum Kaiser kam, um ihm zu versichern, daß Wien dem Kaiser nach wie vor gehorsam sei und nur verlange, daß der Kaiser die reactionären Minister entlasse und die Verordnung vom 3. October gegen Ungarn zurücknehme, versicherte er, das werde geschehen. Und die Nacht darauf entwich er mit dem Hofe nach Olmütz und hinterließ der Stadt seine Kriegserklärung, die jedoch ohne Gegenzeichnung irgend eines Ministers ein schlechthin rechtsungültiger Act war. Nach wie vor regierte der Minister Kraus im Namen des Kaisers in Wien. Nach wie vor tagte in beschlußfähiger Zahl der Reichstag. Und der General Fürst Windischgrätz, der sich nun von Prag her gegen Wien in Bewegung setzte, um die Hauptstadt zu unterwerfen, konnte sich nicht einmal auf eine kaiserliche Vollmacht berufen. Wahrlich, die Rechtsverwirrung konnte nicht größer sein.

Daß die Frankfurter Linke versuchte, zu Gunsten Wiens einen Ausspruch des deutschen Parlamentes herbeizuführen, war nur natürlich. Am 12. October brachte der Abgeordnete für Wien in Frankfurt, Joh. Berger, den dringlichen Antrag ein, das Parlament wolle erklären, „daß die deutsche Stadt Wien sich durch ihren Kampf gegen die freiheitsmörderische Camarilla um das Vaterland wohl verdient gemacht habe“.

Es war gleichfalls sehr natürlich, daß das Parlament diesen excentrischen Antrag ablehnte, die Dringlichkeit desselben verneinte. Nun zog Berger den Antrag selbst zurück. Schon vorher hatte jedoch die „vereinigte Linke“ beschlossen, für diesen Fall von sich aus eine Deputation nach Wien zu senden, um die verfassungstreue Majorität des Reichstages und das Wiener Volk zu beglückwünschen. Noch in der Sitzung des Parlaments schrieb Blum auf einen Zettel: „Wenn wir überhaupt eine Deputation nach Wien senden wollen, müssen wir jetzt Beschluß fassen und heute Abend wählen. Die Gewählten müssen morgen früh abreisen.“ Sämmtliche Abgeordnete der Linken setzten ihre Namen darunter, nur der Blum’s fehlte. Da trat Roßmäßler zu Blum und sagte: „Ich möchte mir dieses merkwürdige Document aufheben. Du fehlst darauf.“ Lächelnd setzte Blum seinen Namen in die letzte freie Ecke. Er wußte nicht, daß er sein Todesurtheil unterzeichnete. Ich habe „das merkwürdige Document“ oft bei Roßmäßler gesehen.

Am Abend war die Wahl der Deputation. Rasch waren die Clubs des Donnersbergs und des Deutschen Hauses einig über die Entsendung von Julius Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch. Aber sollte man Robert Blum in Frankfurt entbehren können? Stimmengleichheit ergab sich für ihn und Karl Vogt. Da zog – es ist dies eine persönliche Mittheilung von Karl Vogt an den Verfasser – Blum den Freund hinaus und beschwor ihn, bei der Stichwahl zurückzutreten, damit Blum aus der dumpfen Frankfurter Atmosphäre hinauskomme und Zeit zu fruchtbarer Sammlung und Erholung gewinne, die der ganzen Partei zu Gute kommen werde. Vogt trat zurück, und Blum wurde gewählt.

In der Nacht des folgenden Tages kam er in Leipzig an. Noch einmal schlief er im eigenen Hause – die letzte Nacht – herzte die Kinder, umarmte die Gattin – dann ging es am Frühmorgen des 14. October über Breslau nach Wien in einem wahren Triumphzuge. Am 17. erreichte er mit den Genossen Wien. Von den Behörden, dem Volke wurden sie feierlich empfangen. Sie nahmen Wohnung in „Stadt London“. Die Proclamation, welche die Frankfurter Deputation am 18. October an die Mauern Wiens heften ließ, in der sie den Wienern „den Bruderkuß von vielen Tausenden“ überbrachte und ihnen versprach, „wenn das Schicksal will, die Gefahren mit ihnen zu theilen, mit der Wiener Bevölkerung zu stehen und zu fallen“, entsprach dem Tone jener Tage und war der Feder des Dichters Moritz Hartmann entflossen. Am 17. schreibt Blum an seine Frau: „Unter dem ersten Eindrucke dieser ungeheueren Stadt kann ich Dir nur anzeigen, daß wir ohne oder doch mit sehr geringer Gefahr hier angelangt sind. Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemüthlich, aber gründlich.“ Doch später heißt es: „Nur Eins fehlt: wahrhaft revolutionärer Muth in den Behörden; man zerrt sich dort gar zu sehr mit Halbheiten herum und lavirt immer, um auf dem gesetzlichen Boden zu bleiben. Energie dort im ersten Augenblicke, und die Sache wäre schon entschieden. Hoffentlich bekommt Wien unter dem Kanonendonner auch dieses Fehlende noch. ... Wann ich zurückkomme, kann ich allerdings jetzt nicht bestimmen, aber jedenfalls reise ich diese Woche noch ab, denn eine Entscheidung erfolgt in den nächsten Tagen.“

Ganz richtig und treffend urtheilt hier Blum über die Zaghaftigkeit der Behörden, die allein die Ursache zur Unterwerfung Wiens durch Windischgrätz wurde. Wenige Meilen von Wien, an der Grenze Oesterreichs, stand das siegreiche ungarische Heer unter Moga, von dem Jellacic in die Flucht geschlagen worden war. Sehnsüchtig harrte man in Pesth auf ein einziges Wort des Wiener Reichstages, um Wien zu entsetzen. Kossuth hielt alle Waffenkräfte des Landes, die Windischgrätz später mit einer weit größeren Truppenmacht, als er nun gegen Wien führte, nicht zu bezwingen vermochte, bereit, um sie auf den leisesten Wunsch des Reichsrathes nach Wien zu führen. Doch dieses Wort, dieser Wunsch wurde niemals ausgesprochen.

In bitterem Unmuthe über die Täuschung, die aus der Ferne so herrliche Revolution in der Nähe als eine so klägliche Parodie erkannt zu haben, schrieb Blum auch am 19. Morgens an seine Gattin: „In aller Eile die Nachricht, daß ich wahrscheinlich Sonntags mit dem ersten Zuge von Dresden komme; doch kann’s auch Montag werden, aber wahrscheinlich Sonntag.“ Also nirgends ein Anhalt für die weitverbreitete Meinung, Blum habe von Haus aus in Wien siegen oder sterben wollen. Ihm selbst ganz unerwartet kommt die völlige Cernirung Wiens durch Windischgrätz’ Heer. Am 20. Nachmittags schreibt er der Gattin: „Du erwartest mich Sonntag oder Montag, und ich bin indessen hier fest eingeschlossen, sodaß Niemand mehr heraus kann. Gestern ist dies vollendet worden, und heute sieht man eifriger und sehnsüchtiger als je der Entscheidungsschlacht entgegen. Wir sind also völlig in die Hand des Kriegsglückes gegeben, und wo wir herauskommen, wann wir fortkommen, wohin wir den Weg nehmen – davon haben wir in diesem Augenblicke noch keinen Begriff. ... Sobald die Entscheidung gefallen und dann irgend ein Weg offen ist, gehen wir. ... In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands. Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von Neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist, wenigstens eine Zeit lang, Kirchhofsruhe in Deutschland. ... Sei so unbesorgt als möglich! Ich bin in sehr heiterer Stimmung und werde es bleiben bei jeder Wandlung, denn die Sache ist groß. Hoffentlich sehen wir uns wieder – und bald.“

Auch diese bessere Ansicht von der Sache, die nun um Leben und Tod kämpfte, ist durchaus erklärlich. An die Spitze der eigentlichen militärischen Leitung war der That, wenn auch nicht dem Namen nach der energische und tüchtige Pole Bem getreten. Vom Reichsrath und Gemeinderath erwartete man stündlich den Hülferuf an die Ungarn ergehen zu hören. Inmitten einer Bevölkerung, in der fast alle waffenfähigen Männer sich zur Wehr setzten, ergriff Blum, den energischen Mann, allmählich der Drang, in der belagerten Stadt sich nützlich zu machen, so gut er konnte. Als daher L. Hauk am 24. October einen Aufruf erließ, in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_729.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)