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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Blanka schüttelte den Kopf. „Weißt Du, Vetter, hier scheint noch ganz die alte Luft zu wehen, die sich draußen in der Welt immer mehr und mehr verflüchtigt. O – ein Brief!“ unterbrach sie sich und nahm eilig das zierliche, quadratförmige Couvert von dem Teller, welchen der alte Heinrich ihr hinhielt, um sich dann ebenso leichten Schrittes wieder zu entfernen, wie er gekommen war. „Von Leonie,“ sagte sie halblaut, indem sie das Papier auseinander riß. Eine dunkle Röthe überzog einen Augenblick ihr Gesicht, das gleich darauf wieder bleich wurde, so bleich wie das Gewand, welches sie trug; das Papier flog bebend auf und ab in den kleinen zitternden Händen – dann lachte sie auf, gellend unheimlich, daß der junge Officier erschrak. „Das ist lustig!“ rief sie und ballte den Brief zusammen, „da kommt eben noch ein Beweis für das, was ich Dir vorhin sagte; siehst Du, Army, so exclusiv denkt die Welt nicht mehr wie Deine Frau Großmama, – da schreibt mir eben Leonie von Hammerstein, daß sich Graf Seebach verlobt habe mit einem Fräulein So und So, der Tochter eines Oberförsters, und das aus rasender Leidenschaft, aus Liebe, wie Leonie sich ausdrückt, – hörst Du, Army? aus Liebe!“ Sie lachte, und dabei sprühten die schwarzen Augen ein wildes Feuer und die kleinen Hände zerrissen das Papier in tausend Stückchen.

„Wie? Graf Seebach, mit dem Du im vorigen Winter so oft getanzt hast?“ fragte Army, „der Dich mit Blumen förmlich überschüttete?“ Er sprach es hastig und heftete den Blick forschend auf die erregten Züge seiner Cousine.

„Hat er mit mir getanzt? Ich erinnere mich kaum noch,“ erwiderte sie leichthin und schaute in das üppige grüne Blättermeer der Bäume und Sträucher; ihre feinen Nasensflügel bebten nervös. „Ja, die Welt schreitet fort, – daß ein so stolzer Mann wie Seebach, ein Mann, der vor einiger Zeit erst von seinem fleckenlos bewahrten Stammbaume sprach, daß dieser aus Liebe – ha, ha, Army, nicht wahr, das ist lächerlich? – aus Liebe ein bürgerliches Mädchen zu seiner Gemahlin erhebt!“ Sie schüttelte heftig den Kopf, und wieder klang das unnatürliche, krampfhafte Lachen von ihren Lippen. Dann erhob sie sich plötzlich; der zierliche Elfenbeinfächer an dem silbernen Kettchen flog klappend gegen den massiven Tisch – so eilig wandte sie sich um: „Ich bin fabelhaft müde geworden,“ setzte sie hinzu und legte die schmale Hand über die Augen, als ob sie der grelle Sonnenschein blende, „ich bin nicht gewohnt, so lange in freier Luft zu bleiben, und werde etwas ruhen müssen, damit ich zu Tische wieder frisch bin. Adio, Cousin!“

Sie nickte ihm zu, indem sie seine Begleitung mit einer Handbewegung ablehnte, und schritt über den Platz. Es war, als schwebe die leichte Gestalt auf verborgenen Flügeln dahin, als müsse jeden Augenblick der goldene Schleier, der von dem kleinen Kopfe herabwehte, sich auseinander breiten und sie empor tragen: so leicht, so luftig war das ganze wundervolle Gebild. An der Pforte des Thurms wandte sie sich noch einmal um, und Army hörte ein silberhelles Lachen herüber schallen. Wie verschieden von jenem gereizten, krampfhaften Gelächter das klang, welches er eben gehört! Sie war doch ein räthselhaftes Geschöpf. Wann würde er das Recht haben, dieses Räthsel zu lösen?

Zum Mittagstische erschien die junge Dame in strahlender Toilette. Der blaßgrüne Seidenstoff schimmerte zart durch das weiße Mullgewebe des Oberkleides; das wundervolle Haar war mit einem Kamm aus Elfenbein am Hinterkopfe befestigt, und das feine Handgelenk umspannte ein breiter mattgoldener Reifen, aus dem ein prächtiger Smaragd funkelte. Das Gesicht zeigte keine Spur mehr von jener apathischen Ruhe, die es heute Morgen so kalt und gelangweilt erscheinen ließ; Blanka hatte ein liebenswürdiges Lächeln für Alle, und die alte Baronin sandte einen zärtlichen Blick noch dem andern zu dem jungen Paare, das ihr gegenüber Platz genommen. Das kühle Speisezimmer hatte wohl seit langer Zeit kein so fröhliches Gläserklingen gehört, und Heinrich ebenso lange keinen jener festverwahrten Pfropfen aus den silberhalsigen Flaschen geöffnet, deren Inhalt die alte Baronin so sehr liebte.

Heute moussirte er nun wieder, der perlende Wein, in den spitzen Kelchen, und Heinrich trug mit gewohnter Grandezza die verschiedenen Gänge und ließ sein kluges Auge über die kleine Tischgesellschaft schweifen und über das schöne Mädchen an der Seite seines jungen Herrn, von der ihm die fremde Kammerjungfer erzählt hatte, daß sie ganz gewiß und wahrhaftig einmal unmenschlich reich sein werde und daß sie so viele Freier habe, wie Finger an den Händen. Die alte Sanna aber strahlte vor Freude, denn ihre Herrin hatte ihr wiederholt zu verstehen gegeben, um was es sich handle, und sie sah nun für ihre Baronin wieder glänzende Tage kommen. Das fröhliche Lachen der jungen Dame mit dem goldig schimmernden Köpfchen dort tönte glückverheißend in dem hohen Gemache wider, und dem jungen Officier an ihrer Seite, dem pochte das Herz ungestüm, wenn sie ihn so strahlend ansah oder ihr duftiger Athem ihn streifte.

Nelly aber, die kleine Nelly, was hatte sie nur? Sie, die sonst so willenlos dem Bruder gehorchte, ihm in Allem Recht gab,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_737.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)