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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

jetzige Besitzer – wie heißt er doch? Sie müssen es ja wissen, ein Fabrikant hier in der Nähe – wird ihn unter keiner Bedingung wieder abtreten; also der Wald ist verloren für immer, und was ist ein solches Gut ohne Wald?!“

„Der Erving den Wald nicht wieder verkaufen?“ rief die alte Dame, „ha, ha, da kennen Sie ihn schlecht; solchen Leuten kommt es nur darauf an, wieviel man bietet, um einen gar nicht so großen Profit verschachert solch ein Krämervolk seine Seligkeit. Nein, nein bester Oberst, das ist eine lächerliche Idee, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte. Ich parire jede Wette: bieten Sie ihm so und so viel mehr, und der Wald ist Ihre –“

„Sie würden die Wette verlieren, meine Gnädige, denn Hellwig hat sich in Frau von Stontheim’s Auftrage unter der Hand erkundigt und eine entschieden ablehnende Antwort erhalten, übrigens –“ Lautes Lachen der alten Dame unterbrach ihn.

„Es ist doch möglich, daß Sie Recht haben, Derenberg,“ sagte sie, „denn dieser Parvenü haßt, wie Alle seines Gleichen, den Adel, und uns ganz besonders. Plebaglio!“ setzte sie verächtlich in ihrer Muttersprache hinzu.

„Uebrigens,“ wiederholte der Oberst mit merklich erhöhter Stimme und – „Pardon, Frau Baronin,“ fuhr er artig fort, als sie schwieg, „es interessirt mich gar nicht, wie Sie sich zu diesem Manne gestellt haben; es ändert nichts an der Sache; ich wollte nur noch hinzufügen, daß sich in Bezug auf die Güter selbst und die Vorwerke ein wahrhaftes Chaos herausgestellt hat. Es ist haarsträubend, meine Gnädige – Juden, Mäkler, Vorkaufsrechte, erste, zweite, dritte und vierte Hypotheken, was weiß ich Alles – kurz und gut, die Gräfin Stontheim zieht es vor, die Sache nicht anzurühren, da ein Arrangement nur mit enormen Opfern zu erkaufen sein würde; sie wünscht, wie ich Ihnen heute früh bereits mitzutheilen die Ehre hatte, daß Army auch nach seiner Hochzeit, die für den Herbst festgesetzt ist, noch im Dienste bleibt, daß sie das junge Paar mit reichlichen Mitteln versehen wird, und daß sie später, wenn Army Neigung fühlen sollte zum Landwirth, ihnen ein Gut zu kaufen beabsichtigt, auf dem sie gleich geordnete Verhältnisse vorfinden. Schloß Derenberg bleibt stets eine prächtige Sommerfrische für das junge Paar, und das Haus seiner Väter ist Army auf alle Fälle erhalten. Nicht wahr, Army, Du trägst ganz gern noch ein Weilchen den bunten Rock?“

„Gewiß, ich muß mich fügen, Onkel,“ klang die Stimme des jungen Mannes, „aber ich leugne nicht, daß es mir schwer wird, den Gedanken aufzugeben, Schloß Derenberg wieder zu bewohnen – es war von jeher meine Lieblingsidee.“

„Aber meine nicht!“ fiel Blanka hastig ein, „ich stimme Tante Stontheim vollkommen bei; ich habe es ja neulich schon erklärt.“

„Du weißt nicht, Blanka,“ erwiderte Army, und seine tiefe Stimme schien zu beben – „Du weiß nicht, welch einen Zauber solch alte angestammte Heimath ausübt! Du kannst es nicht wissen, denn Du hast nie das stolze Gefühl gekannt, den Fuß auf die eigene Schwelle zu setzen; Dir haben keine alten Mauern, keine verlassenen Gemächer, keine uralten Bäume erzählt von längst vergangenen Zeiten, da unsere Vorfahren hier lebten und schafften. Es war mein schönster Traum, hier wieder seßhaft zu sein, wo meine Väter in langer Reihe lebten und starben, und das Nichterfüllen dieses Traumes würde mir sehr schmerzlich sein – Du kannst es glauben.“

„Um des Himmels willen!“ rief die junge Dame, „jetzt wird er gar sentimental! Mir erscheint die kleinste Villa an der belebten Promenade unserer Residenz tausendmal verlockender, als dieser langweilige, verlassene –“

„Pst, Kinder!“ fiel der Oberst beruhigend ein, „behalte Jedes seine Meinung für sich! Du, Blanka, hängst ebenso gut von Tante Stontheim’s Willen ab wie Army! Was sie bestimmt, – geschieht; da ist nichts zu ändern, und ich dächte, wir ließen die Sache fallen und stritten nicht weiter.“

„Sehr weise bemerkt, Herr Oberst!“ mischte sich jetzt die alte Dame in das Gespräch, „aber wie schwer solch eine Abhängigkeit zu tragen ist, das kann nur der empfinden, der einst frei zu gebieten hatte. Sie empfinden das nicht; Sie haben nie auf eigenem Grund und Boden gestanden; Sie sind sozusagen in der Abhängigkeit aufgewachsen, und da ist es leicht, anderen Leuten Ruhe zu predigen. Ich finde es wunderbar von der Stontheim; sie hat die Mittel und will nicht helfen; Army soll Officier bleiben aus dem lächerlich hervorgesuchten Grunde, er sei noch zu jung, als ob nicht ältere Kräfte ihm rathend und helfend zur Seite ständen!“

„Sie vielleicht, meine Gnädige?“ lachte der Oberst auf. „Allerdings nicht übel ausgedacht! Finanztalent läßt sich Ihnen wohl kaum absprechen – daß Sie Unglück hatten mit Ihren Speculationen – wer kann dafür?“

„Sie sind noch ebenso unverbesserlich malitiös, wie früher, Herr Oberst, wo ich das Glück hatte, Sie einige Male hier zu sehen, in diesem Falle aber treffen Ihre Anschuldigungen nicht, denn es war wirklich Unglück, das uns verfolgte.“

Unverschuldetes Unglück!“ betonte ironisch der Oberst.

„Onkel, bitte, brechen wir ab! Es regt Mama auf,“ bat Army.

„Und, mein Junge,“ fuhr Jener unbeirrt und nachdrucksvoll fort, „eben um noch einmal unverschuldetes Unglück zu verhüten, deshalb hauptsächlich wünscht die Gräfin Stontheim, daß Du nicht hier – wohl verstanden: gerade nicht hier – die ersten Jahre Deiner Ehe verlebst. Pardon, daß ich so deutlich werden mußte! Ich hätte es gern vermieden –“

„Ich verstehe,“ sagte die alte Dame kalt, „Gräfin Stontheim hat noch immer die unglückliche Idee, daß ich an dem Ruine der ganzen Familie schuld sei; sie hat mir diesen Vorwurf ja damals schon derb und unumwunden in’s Gesicht geschleudert, als Kummer und Noth über uns hereinbrachen; Jemand muß ja auch schuld sein,“ fuhr sie bitter auflachend fort, „und da man mich von Anfang an als Eindringling behandelte und die Fremde, die Italienerin, nie leiden konnte, so war es ja so leicht, ihr auch diese Schuld zuzuwälzen. Va bene! Sie sagen mir nichts Neues, Herr Oberst. – Ich bedaure nur, daß Jemand so – so –“ sie brach ab, offenbar hatte sie eine sehr harte Aeußerung auf der Zunge. Der Oberst antwortete nicht.

„Onkel,“ fragte Army hastig, „was soll dies bedeuten? Tante kann doch unmöglich behaupten, daß Großmama –“

„Schweig!“ rief die alte Dame, und zugleich hörte man das Rollen eines Sessels aus dem Parquet.

Lieschen und Nelly aber saßen athemlos neben einander und hielten sich an den Händen. Als jene den Namen ihres Vaters aussprechen hörte, da war sie aufgesprungen und hatte sich wie hülflos in dem Raume umgesehen, aber es war kein anderer Ausweg vorhanden, als der durch dasselbe Zimmer, in dem man eben so gehässig ihren guten Namen beschmutzte. Die schlanke Gestalt des jungen Mädchens preßte sich wie in jäher Angst gegen eine verschlossene hohe Flügelthür, hinter welcher eine Flucht leerer Gemächer war.

„Wo soll ich hin?“ flüsterte sie angstvoll der Freundin zu.

„Bleib hier, Lieschen!“ bat Nelly und zog sie zu sich, „sie können es nicht wissen, daß wir Alles so deutlich hören; ach, weine doch nicht!“ flehte sie. „O, wenn ich nur gesund wäre und ein Junge, wie der Army, ich wollte ihnen schon Bescheid sagen, wenn sie auf Euch schelten!“ Sie ballte ingrimmig die kleinen Hände.

Drinnen hörte man die alte Dame auf- und abschreiten, und jedesmal, wenn sich ihre Schritte der Thür näherten, fuhr Lieschen auf und blickte mit ängstlichen Augen in dem Zimmer umher, als suche sie einen Versteck, um sich vor ihr zu verbergen.

Auf einmal tönte Blanka’s Stimme herüber; so schmeichelnd, so süß wie Musik klangen die weichen Töne jetzt.

„Großmamachen,“ bat sie, „ich habe eine Bitte an Dich; ich hatte den Army damit beauftragt, aber er scheint es vergessen zu haben, der Böse. Ja wohl, mach’ nur nicht ein so verwundertes Gesicht, Du!“ fuhr sie schalkhaft fort, „nicht wahr, Großmama, das ist Dir nicht passirt von Deinem Bräutigam, der hat Dir gewiß immer die Wünsche von Deinen schönen Augen abgelesen.“

Die letzten Worte klangen deutlicher herüber, als der Anfang der Bitten offenbar stand die schöne Braut jetzt dicht neben der alten Dame an der Thür.

„Jetzt schlingt sie die Arme um Großmamas Hals, wie so ein Kätzchen,“ flüsterte Nelly, „o, wie kann sie bitten und schmeicheln, Lieschen, Du glaubst es nicht.“

„Nun?“ ertönte die Stimme der alten Dame.

„Ich hatte Army beauftragt, Großmama zu bitten, daß sie mir erlaubt in dem Thurmstübchen zu wohnen, welches an mein Zimmer stößt; o bitte, bitte, Großmamachen, amatissima mia!

„Es war sehr vernünftig von Army, daß er mich nicht bat,

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