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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


ich hatte es ihm schon einmal abgeschlagen und kann auch Dir leider den Wunsch nicht gewähren.“

„Warum nicht?“ fragte Blanka veränderten Tones.

„Du erlaubst wohl, daß ich die Gründe für mich behalte.“

„Quäle nicht, Blanka, hörst Du?“ klang die Stimme des Obersten, „alte Schlösser haben ihre Geheimnisse, und darunter manche, die man gern ruhen läßt.“

In diesem Moment wurde die Thür aufgerissen, und die alte Tante stand plötzlich im Zimmer, den beiden Mädchen gegenüber.

(Fortsetzung folgt.)




Die türkische Vendée.
II.
Der Mädchenraub in Nordalbanien und die Blutrache. – Die Blutsbrüderschaft. – Kriegerischer Sinn des Albanesen. – Aberglaube, Sprache und Confession. – Die Kopfzahl der Albanesen. – Die Miriditen und ihre Stellung in der türkischen Arme. – Der Prink von Oros. – Geschichtliches.

Fast einen Anflug von Romantik hat gegenüber der unwürdigen Behandlung der Frauen der in den Gebirgen Nordalbanies zuweilen vorkommende Mädchenraub. Die Lust am Raube überhaupt, weniger die am Mädchen persönlich, verlockt manchmal einen Jüngling der Miriditen oder aus einem anderen christlichen Stamme, im Gehege der Mohammedaner, wo er ein leidlich hübsches junges Mädchen entdeckte, nebst seinen Freunden einzubrechen und das Kind zu entführen. Solcher Raub gewährt den Beraubten das Recht der Rache, welche jedoch meistens mit wenigen Opfern abgethan ist. Auch sind in diesem Punkte die Mohammedaner oft viel christlicher oder milder, als die albanesischen Christen, welche mit bornirter Wildheit das Recht der Blutrache ausüben und oft nicht eher ruhen, bis das feindliche Geschlecht nebst Kindern und Säuglingen vertilgt ist.

Unter diesen Blutchristen fordert die Barbarei der Blutrache, wie von zuverlässigen Autoren berechnet wurde, durchschnittlich 3000 Menschen im Jahre, woraus sich die merkliche Abnahme der albanesischen Bevölkerung auch ohne die Decimirung durch Kriege und Aufstände erklärt. Was Stammesfehden, Seuchen und Pestilenz verschonen, das fällt den menschlichen Tigern der Blutrache zum Opfer – nutzlos, hoffnungslos und unabänderlich! Ist ein Mord geschehen, so flieht der Mörder schleunigst aus der Heimath, und ihm folgen in der Regel seine nächsten Verwandten. Verzeihung ist von den Verletzten das heißt allen Verwandten des Gemordeten, schwer zu erlangen und erfordert die umständlichsten Vorbereitungen oder heimlichen Unterhandlungen, welche in solchem Falle sich oft jahrelang fortspinnen. Im günstigsten Falle treibt die Habsucht der verletzten Partei schneller zu einer Ausgleichung. Dann wird gewöhnlich ein mit theatralischen Schaustellungen verknüpfter Auszug der Büßenden zum Hause der Feinde in Scene gesetzt. An der Spitze des Zuges schreitet ein Geistlicher im Ornate, hinter ihm werden einige Säuglinge in Wiegen getragen; dann tritt die Hauptfigur des Zuges hervor, nämlich der Mörder; er trägt einen Strick um den Hals, an welchen zugleich ein Yatagan (kurzes Schwert) gehängt ist; die Augen sind ihm verbunden, die Arme gefesselt. Seine ruhigen Mienen müssen tragischen Ausdruck haben. Der Priester entwickelt nach der Ankunft des Zuges, dem alle Verwandten des Büßenden folgen, seine Beredsamkeit, mahnt mit Hindeutung auf die Säuglinge in der Wiege an die Christenpflicht des Vergebens und wird unter lautloser Stille angehört. Man ist an eine längere Dauer solcher Ceremonien gewöhnt, und das halsstarrige Sträuben der um Verzeihung Gebetenen läßt ohnedies einen prosaischen schnellen Abschluß dieser Hauptaction nicht eintreten.

Endlich giebt das Haupt der verletzten Partei das Signal der nahenden Versöhnung, indem er eine der Wiegen erfaßt, dreimal umdreht und dann niedersetzt. Gleiches thut sein Anhang mit den übrigen Wiegen. Das Unglaublichste, was auf diesen traditionellen Act folgt, ist eine allgemeine Umarmung des Reuigen, welcher endlich losgebunden wird. Hierauf wird die Buße festgesetzt, und zum einstweiligen Pfande legen die Sippen des Begnadigten verschiedene Kostbarkeiten namentlich Waffen nieder. Das so tragisch begonnene Ceremonielstück endigt mit einer Schmauskomödie. Nicht allzu selten schließen bei dem Versöhnungsschmause gerade die beiden früheren Todfeinde Freundschaft, das heißt Blutsbruderschaft, und zwar mit der bekannten Ceremonie, daß Jeder das mit Branntwein gemischte Blut des Andern trinkt. Solche Brüderschaft gilt für besonders heilig und unverletzlich. Man schwört sich dadurch Treue und Gemeinschaft bis zum Tode. Selbst der leibliche Bruder wird oft nicht so hochgehalten, wie ein Blutsbruder. Blutsbrüder theilen ihr Gut, ihre Waffen, ihre Kleider, ihr Lager und halten im Kampfe gegen Landes- und Stammesfeinde fest zusammen, bis der Tod sie trennt.

Alles Sinnen und Trachten der männlichen Hälfte dieses Volks ist eben auf Kampf und Krieg gerichtet, und alle Lebensgewohnheiten gründen sich auf das ihnen fast angeborene kriegerische Wesen. Der einzige und höchste Stolz des Albanesen ist, als Kriegsheld (Palikar) gerühmt zu werden. Dagegen ist er in Friedenszeiten ein höchst unnützes Mitglied der Gesellschaft; sehr träge und faul, ohne jede Neigung für Gewerbethätigkeit, arbeitet er eigentlich nur dann, wenn die „schlechten Zeiten“ keinen Kampf, Raub oder sonstige lustigere Dinge in Aussicht stellen oder die äußerste Noth dazu treibt. Unter Tausenden sind nur Wenige, welche als Handwerker (Bäcker, Fleischer) auswärts ihr Unterkommen suchen. Alle Uebrigen fristen in den Bergen ihr Dasein mit Viehzucht und etwas Ackerbau, welcher freilich auf die primitivste Weise betrieben wird, vielleicht noch gerade so, wie zu Herodot’s oder Homer’s Zeiten. Ein gänzlicher Mangel an Schulbildung schließt diese Neu-Pelasger von der Cultur des Abendlandes weit mehr als die slavischen Halbasiaten ab. Auch das Meer bleibt ihnen verschlossen, obwohl sie es dicht vor sich sehen, und es ist keine Spur von der Lust an Seeabenteuern und nicht einmal an Seeräuberei, welche ihre illyrischen Vorfahren an allen Küsten des Mittelmeeres gefürchtet machte, auf diese ihnen so ungleichen Nachkommen übergegangen.

Wie alle noch nicht von der Cultur berührten Völker huldigen die Albanesen dem Aberglauben in allen denkbaren Gestalten des Unsinnigen; sie glauben an den „bösen Blick“, an „umgehende Verstorbene“, an „Dämonen“, an „Unglückstage“ und auch an „geschwänzte Menschen“. Der Aberglaube bezüglich der „Umgehenden“ stammt muthmaßlich von dem hochsensationellen Vampyrismus der slavischen Nachbarn. Jedenfalls liegt solchem Auferstehungswahne die Furcht vor der Rache erschlagener Feinde zu Grunde, wie ja überall unter Wilden Furcht und Gewissensangst Dämonen erzeugen, aus denen sich nach und nach Götzenculte entwickeln.

Nach dem Obigen sollte man auf eine lebhafte Phantasie oder gar poetische Begabung der albanesischen Bergbewohner schließen, aber dagegen spricht die Trockenheit und Dürftigkeit ihrer überlieferten Volkslieder und sonstiger poetischer Ueberreste, von denen höchstens die Klagelieder auf gefallene Helden über dem Niveau des Gewöhnlichen stehen, während die sogenannten Liebeslieder, das heißt Volks- oder Rundgesänge, nichts von erotischer Gluth, schwärmerischem Idealismus oder dergleichen enthalten und sogar durch allerlei Spott oder Hohn auf die Frauen verunziert sind. Ihr Stil entspricht etwa dem unserer Schnadahüpfl. – Die Sprache der Albanesen hat sich aus altillyrischen Grundformen und Beimischungen aus dem Alt- und Neugriechischen, Lateinischen, Gothischen, Slavischen und Türkischen zusammengefügt. Unter den christlichen Nordalbanesen schreiben die Wenigen, welche überhaupt schreiben lernten, theils mit lateinischen, theils mit griechischen Buchstaben, lateinisch die Römisch-Katholischen und griechisch die Griechisch-Orthodoxen. Die beiden in vieler Beziehung sehr verschiedene Stämme der toskischen und der gegischen Albanesen, von denen die ersteren Süd- und Mittelalbanien, die letzteren Nord- oder Oberalbanien bewohnen, sind ganz besonders auch durch die Sprache so sehr von einander unterschieden, daß sie sich gegenseitig kaum verstehen. Am meisten aber trennt der Glaube, der die Bewohner Albaniens in Mohammedaner (Mehrzahl in Süd- und Miltelalbanien), Griechisch-Orthodoxe und Römisch-Katholische (Mehrzahl in Nordalbanien) scheidet. Das Land als geographischer Begriff umfaßt das Vilajet Skutari

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_743.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2019)