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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

müssen. Denn auch sie waren Abgeordnete. Die Freiheit Robert Blum’s und Fröbel’s war aber durch eine weit einfachere kaiserlich königliche Erwägung bedroht. Trampusch und Hartmann waren Oesterreicher, Blum und Fröbel aber „Ausländer“, und von diesen hatten Seine Durchlaucht der Fürst-Feldmarschall zu Windischgrätz in Ihrem „Nachhange zur Proclamation vom 20. October“ am 23. October, Ziffer 5, zu bestimmen für gut befunden: „Alle Ausländer in der Residenz sind mit legalen Nachweisungen der Ursache ihres Aufenthalts namhaft zu machen, die Paßlosen zur sofortigen Ausweisung anzuzeigen.“ Weil Robert Blum und Fröbel Ausländer waren und, wie sie selbst gestanden, ohne Passirscheine waren, sollten sie in militärgerichtlichen Verhaft genommen werden, aus keinem andern Grunde.

Der Befehl wurde am 4. November früh gegen sechs Uhr ausgeführt. Zu dieser Stunde erschienen unter militärischer Bedeckung der Polizei-Ober-Commissar von Felsenthal und der Hauptmann Graf Caboga in der „Stadt London“ und fragten den Wirth nach den beiden Gesuchten. Der brave Mann trotzte der Gefahr des Standrechts und warnte die beiden Abgeordneten. Noch wäre es Zeit zur Flucht gewesen. Hartmann und Trampusch sind damals entflohen. Aber Blum war in dem unerschütterlichen verhängnißvollen Glauben befangen, daß die siegreiche österreichische Kriegsgewalt seine papierne Unverletzlichkeit als deutscher Reichstagsabgeordneter pflichtschuldigst anerkennen werde, und wies daher die von dem braven Wirthe gebotene Rettung mit demselben würdevollen Lächeln ab, mit welchem er das Asyl im Sophakasten des sächsischen Gesandten abgelehnt hatte. Wenige Minuten später waren Blum und Fröbel Gefangene. Blum’s Frage an den Officier: „Ob ihn seine Eigenschaft als Abgeordneter des Parlamentes nicht vor Verhaftung schütze?“ beantwortete dieser kurz dahin: „Richten Sie diese Frage an meinen General!“ Dann wurde jeder der Gefangenen in einem geschlossenen Wagen nach dem Stabsstockhause gebracht, wo wieder ein gemeinsames Zimmer ihnen angewiesen wurde. Das Gefängniß war wohnlich, beinahe behaglich, wie Blum am 6. November seiner Frau schrieb. Er sagte ihr auch, daß er von seinem Gitter aus die Kinder auf dem Platze drunten spielen sehen könne – und dabei seiner eigenen lieben Kinder gedenke.

Auch in dieser Gefangenschaft blieben die Abgeordneten unbehelligt. Niemand fragte nach ihnen. Sogar ihre eigenen Versuche, sich bemerklich zu machen, blieben unbeachtet. Sie schrieben am 5. November an den Präsidenten der deutschen Nationalversammlung, daß sie verhaftet seien. Dieses Schreiben passirte die hohe Central-Commission und gelangte wohlbehalten bis – in das Hauptquartier des Fürsten Windischgrätz nach Hetzendorf, wo es liegen blieb. Am 7. November wandten sie sich an des Herrn von Cordon Excellenz mit der Bitte um ein Verhör, „damit ihnen Gelegenheit gewährt werde, ihr Recht geltend zu machen“. Auch darauf erfolgte keine Antwort. Nun riß den Abgeordneten die Geduld. Am 8. November Nachmittags um vier Uhr gaben sie einen Protest an die Central-Untersuchungscommission ein, in welchem sie zum ersten Male bei dem Ausnahmegericht selbst auf die Unverletzlichkeit hinwiesen, die ihnen als Abgeordneten zustehe. „Der Protest bildete eine entscheidende Wendung in unserer Sache,“ erzählte Fröbel später im Frankfurter Parlament am 18. November. „Dieser Protest ist allerdings berücksichtigt worden. Sie sehen es in dem Tode Blum’s, auf welche Weise. Ich war (über den Protest) mit Blum verschiedener Meinung, und der Protest, den Blum aufsetzte, war mir nicht recht. Bei der Copie wurde am Schlusse eine Stelle weggelassen, welche eine Drohung enthielt.“

Dieser verhängnißvolle Protest liegt mir in Blum’s Concept im Original vor. Die Stellen, welche die „entscheidende Wendung“ herbeiführten, waren jedenfalls die folgenden:

„Nach dem Reichsgesetze vom 30. September dieses Jahres, welches von der deutschen Nationalversammlung (in der auch Oesterreich vertreten ist) beschlossen, von der in Oesterreich anerkannten Deutschen Centralgewalt promulgirt, von Sr. Kais. Hoheit dem Erzherzog Johann, Reichsverweser, unterzeichnet, und im Reichsgesetzblatt Nr. 2 ordnungsmäßig bekannt gemacht ist – darf kein Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung verhaftet oder in Untersuchung gezogen werden, ohne Zustimmung der Versammlung selbst. Die Unterzeichneten sind nun gegen das angezogene Reichsgesetz seit fünf Tagen verhaftet.“ Folgt die Aufzählung der Schritte, die sie bis dahin zur Erlangung ihrer Freiheit gethan. „Unter diesen Umständen, auf Grund des Reichsgesetzes vom 30. September, auf Grund der von Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich seinen Staaten vielfach garantirten constitutionellen Einrichtungen, und auf Grund des fürstlichen Wortes des Herrn Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz Durchlaucht, die constitutionellen Einrichtungen nicht schmälern zu wollen, erfüllen die Unterzeichneten hiermit gegen das Deutsche Volk, gegen das Gesetz und gegen die Nationalversammlung eine heilige Pflicht, indem sie einen

feierlichen Protest

erheben gegen ihre Verhaftung sowohl, wie gegen das Verfahren seit dieser Verhaftung, und die Verantwortlichkeit für die Nichtachtung des Gesetzes auf die Urheber desselben wälzend (hier folgte die von Fröbel beseitigte Drohung: „und behalten sich vor, gegen dieselben alle gesetzlichen Mittel in Anwendung zu bringen, sobald sie dazu im Stande sein werden“), sehen wir uns genöthigt, den anliegenden Protest gehorsamst zu überreichen.“ Schließlich wird gebeten diesen Protest auch „an die Deutsche Nationalversammlung und unsere Wähler gelangen zu lassen, damit dieselben erkennen, daß mir das Gesetz, zu dessen Erlassung und Erhaltung man uns gewählt hat, nach unsern Kräften selbst im Kerker wahren.“

In seinem Berichte vor dem Frankfurter Parlamente über die letzten Lebenstage Blum’s führt Fröbel auch aus, daß man einen Agent provocateur am 8. November mit ihnen zusammengesteckt habe, der Blum in auffallender Weise alle Belastungsmomente abgefragt und ihn zu einem möglichst energischen Proteste angefeuert habe. „Er legte es Blum dringend an’s Herz,“ sagt Fröbel, „daß wir einen Fehler begangen, indem wir nicht energisch genug protestirt und unsere Eigenschaft als Deputirte nicht genug in den Vordergrund gestellt hätten. ‚Sie kennen,‘ sagte er, ‚die österreichischen Behörden nicht. Wenn Sie energisch auftreten, werden Sie sehen, daß Sie morgen frei sind.‘“ Es darf leider das Doppelte hiernach nicht bezweifelt werden: einmal, daß die „hohe Centraluntersuchungscommission“ zu diesem jämmerlichen Mittel griff, um ihr dürftiges Anklagematerial gegen Blum zu verstärken und namentlich den Zorn des Fürsten aufzuregen durch den ungebeugten Mannesmuth und den Glauben an die eigene Unverletzlichkeit, welchen jener Mann besaß und auch offen in jeder Eingabe an die Behörden aussprach. Und zweitens: daß Blum so unbefangen war, in der plumpen Falle des Spitzels sich fangen zu lassen. Nordstern in seiner Geschichte der Octoberrevolution nennt den Namen desselben. Der Genannte lebte 1873 noch und hat damals brieflich mich förmlich beschworen, den ungerechten Verdacht durch eine öffentliche Erklärung meinerseits von ihm zu nehmen. Ich verschweige daher den Namen, den Nordstern nennt. Nun folgte unmittelbar das Verhängniß. „Um vier hatten wir den Protest übergeben,“ sagt Fröbel, „um sechs Uhr wurde Blum zum Verhör gerufen. Die Zeit von zwei Stunden ist ungefähr das, was nothwendig war, um den Protest nach Hetzendorf zum Fürsten Windischgrätz zu bringen und einen Befehl als Antwort zu erhalten. Um acht Uhr war das Verhör aus.“

Zwei Briefe liegen mir vor, welche ein eigenes Urtheil des Fürsten Windischgrätz über das mannhafte, furchtlose Verhalten Robert Blum’s, seine rückhaltlose Wahrheitsliebe vor seinen Richtern und seinen tapfern Todesmuth am folgenden Morgen bekunden. Der einer dieser Briefe ist von dem ehemaligen sächsischen Märzminister Braun, der andere von dem noch lebenden hochconservativen Mitgliede der ersten sächsischen Kammer, dem Klostervoigt von Posern. Beide Briefe sind aus dem Jahre 1867 an mich gerichtet. Beide bestätigen, daß Herrn von Posern gegenüber Fürst Windischgrätz (1859 oder 1860) sich rühmlich über Robert Blum’s Haltung vor dem Kriegsgerichte und bei seiner Hinrichtung ausgesprochen haben soll. Nach einer glaubhaften Version soll der Fürst damals sogar eine Art von Reue darüber ausgesprochen haben, daß er Blum habe erschießen lassen, natürlich nur in so weit, als bei dem Fürsten überhaupt von Reue die Rede sein konnte. Auch das Protokoll über das Verhör mit Blum, das Helfert im Anhange des dritten Bandes seiner „Oesterreichischen Geschichte“ mittheilt, läßt trotz seiner geflissentlichen Kürze und Farblosigkeit und trotz der Gewißheit, die es bietet, daß Blum in einem so grauenhaften Deutsch, wie es ihm hier in den Mund gelegt wird, nicht gesprochen haben kann, die muthige Haltung Blum’s und den unerschütterten Glauben an seine Unverletzlichkeit erkennen.

Dieses Protokoll über das Verhör Blum’s vor dem Kriegsgericht bildet die einzige actenmäßige Grundlage für seine Verurtheilung, und gerade deshalb läßt es uns mit Schauern die ganze Tiefe des Abgrundes von Rechtlosigkeit und Willkür

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_745.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)