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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

discret, zu horchen, wenn Familienangelegenheiten besprochen werden –“

„Ich habe nicht gehorcht, Herr Baron!“ rief sie stolz; „wäre ein anderer Ausgang aus dem Zimmer gewesen, ich hätte es gern verlassen, für mein Leben gern, denn –“

„Sie konnten durch das Wohnzimmer gehen –“

„Nein! Ihre Frau Mutter selbst hat mich gebeten, die Wege Ihrer Frau Großmutter nicht zu kreuzen, denn sie kann mich nicht leiden; ich bin ja eine Tochter des Hauses, in welchem man anständiger Weise nicht verkehren kann, Herr Lieutenant – Sie wissen es ja; ich war also gezwungen zu bleiben; ich wäre am liebsten aus dem Fenster gesprungen.“ Ein bitterer Zug lag um den kleinen Mund, als sie die Worte sprach.

„Nun, jedenfalls möchte ich Sie bitten nicht über das Gehörte zu sprechen. Das Opfer, diese pikanten Auseinandersetzungen nicht weiter zu berichten ist gewiß ein schweres – ich glaube es schon, unsere Familie bietet ja jeder Zeit Stoff der Unterhaltung in Fülle für die Kreise der Umgegend; aber ich denke, Sie werden dieses Opfer bringen, wenn ich Sie daran erinnere, daß wir früher getreue Freunde waren – nicht wahr, Lieschen?“ Er hielt ihr die Hand hin, aber das junge Mädchen wich zurück und verschränkte die Arme über die Brust.

„Eines Versprechens bedarf es wohl kaum,“ erwiderte sie tonlos, „übrigens würde ich jedenfalls geschwiegen haben, denn der Inhalt Ihrer Gespräche beleidigte ja teilweise meinen Vater – meinen Vater, in dessen Hause Sie so gern weilten zu eben jener Zeit, als wir noch die ‚getreuen Freunde‘ waren, wie Sie bemerkten.“

Er trat bestürzt zurück. „Wie? Ich habe kein Wort über Ihren Herrn Vater gesagt.“

„Aber angehört, als man ihn Parvenü nannte, – als man ihm nachsagte, er hasse den Adel und die Familie Derenberg besonders und er sinne auf Rache – und das ruhige Anhören einer Verleumdung, während man die Ueberzeugung von ihrer Unwahrheit in sich trägt, ist eine Bestätigung derselben. Ihr Zartgefühl scheint unter Umständen zu versagen, Herr Lieutenant!“

Ein Gefühl tiefster Bitterkeit, mit dem heißen Weh hoffnungsloser Liebe gemacht, quoll in ihr auf. Aber erst als sie, mit einer kühlen Wendung ihm den Rücken kehrend, ohne Umsehen hastig ein Stück der Allee hinabgeschritten war, brachen schwer und langsam die Thränen aus ihren Augen. Sie sah es nicht, wie er noch lange ihr nachblickte und erst, nachdem ihre schlanke Gestalt verschwunden war, mit finster gefalteter Stirn zögernd dem Schlosse zuschritt. – –

Als Army in das große Zimmer zu den Uebrigen trat, schien etwas Ruhe nach dem Sturme eingekehrt zu sein, wenigstens schwieg Jeder. Der Oberst hatte sich eine Cigarette angezündet und lehnte anscheinend in behaglichster Stimmung in einem der tiefen altmodischen Sessel, während die alte Baronin kerzengerade auf dem Sopha saß und in nervöser Hast mit ihren schlanken weißen Fingern spielte. Blanka aber stand in der tiefen Fensternische und schaute in den Park hinaus; die lange Schleppe ihres dunkelblauen Reitkleides lag unbeweglich auf dem alten Parquet, und sie verharrte auch noch regungslos, als ihr Bräutigam an ihre Seite getreten war. Er überhörte die unwillige Frage der alten Dame, die ihm zurief, wo seine Mutter sei und ob sie nicht bald komme. Er sah nur die reizende Gestalt neben sich, die in dem knappen Reitkleide noch zierlicher, noch kinderhafter erschien als sonst, und er nahm leise eine der schweren goldigen Haarsträhne, die losgelöst auf dem blauen Sammet lagen, und drückte seine Lippen darauf. Die junge Dame schüttelte, ohne sich umzusehen, heftig mit dem Kopfe, und die kleinen Hände griffen rasch nach dem Haare und zogen es über die Schulter.

„Blanka!“ sagte er vorwurfsvoll und bog sich vor, um in ihr Gesicht zu sehen. Sie wandte den Kopf ab und blickte, scheinbar mit Interesse, in den stillen grünen Garten hinaus.

„Habe ich Dich beleidigt, Blanka?“ fragte er leise. „Bist Du mir böse?“

Sie hielt sich mit einer hastigen Bewegung beide Hände vor die Ohren. „Nein, nein, um Gotteswillen, nein!“ rief sie leidenschaftlich, sich mit einem Rucke umwendend, „ich bitte Dich, Armand, frage nicht so lächerlich! Du siehst doch, ich habe augenblicklich keine Lust, Dein Liebesgeflüster und Deine Zärtlichkeiten mit anzuhören; jeder Andere würde es sofort begriffen haben, und Du fragst, ob ich böse bin, und Gott weiß, was für Unsinn noch!“ Sie trat ärgerlich mit dem Fuße auf.

Das Gesicht Army’s war dunkelroth geworden. „Verzeihe,“ sagte er und schritt zu dem Pianino. Er schlug den Deckel auf und that ein paar Griffe.

„Bitte, spiele nicht!“ rief Blanka, indem sie wieder die Hände zu den Ohren führte.

Er stand auf. „Dann bitte, spiele Du!“ bat er, „ich möchte gern ein wenig Musik hören; sie hat für mich so etwas Beruhigendes, Versöhnendes.“

„Ja, bitte, spiele, mein Schätzchen!“ rief auch der Oberst, der von der ganzen kleinen Scene nur dieses Letzte gehört hatte und dem es angenehm zu sein schien, die peinliche Stimmung zwischen ihm und der alten Dame auf diese Weise vertuschen zu können.

„Auf dem Instrumente dort?“ fragte sie. „Nein, darauf kann ich nicht spielen; nicht einmal hören mag ich die klimprigen Töne. Uebrigens bin ich auch zu fatiguirt von dem weiten Ritt,“ setzte sie hinzu.

Einen Moment blitzte es in Army’s Augen zornig auf; dann ging er zu dem alten geschmähten Instrumente, schloß den Deckel und trat wieder zu seiner Braut; sie hatte die kleine Reitpeitsche zur Hand genommen und spielte mit deren silbernem Griff, während die alte Dame sich erhob und das Zimmer verließ.

„Ich nehme an, Du bist wirklich angegriffen, sonst wäre es mehr als bloße Laune, wenn Du Dich auf meine Bitte geweigert hättest, zu spielen,“ bemerkte er mit erzwungener Ruhe.

„Nimm es an, lieber Junge, nimm es an!“ sagte lachend der alte Herr und schlug ihn auf die Schulter, „man kommt ja so am weitesten; ich sehe, Du wirst vortrefflich mit ihr fertig werden.“

Army biß sich auf die Lippen.

„Darf ich Dich nach Deinem Zimmer führen?“ fragte er dann zu seiner Braut gewandt, „ich schlage Dir vor, Du legst Dich ein wenig und ruhest, vielleicht bekomme ich nach Tische noch etwas von Dir zu hören, nicht wahr?“

„Ich glaube nicht,“ erwiderte sie, „denn ich habe Kopfweh und werde heute in meinem Zimmer bleiben.“

Der Oberst lachte. „Na, gute Nacht denn, und gute Besserung,“ und damit schritt er, noch lächelnd und dem Neffen zunickend, aus dem Zimmer. Blanka nahm die Schleppe ihres Reitkleides über den Arm und folgte ihm; sie ging, ohne ein Wort zu sprechen, an ihrem Bräutigam vorüber.

„Blanka!“ sagte er leise und vertrat ihr den Weg, „willst Du mir nicht Gute Nacht sagen?“

„Du behandelst mich wie ein unartiges Kind,“ rief sie leidenschaftlich und trat zurück, „ich wundere mich, daß Du nicht verlangst, ich solle Abbitte thun; es ist Dir ganz gleich, ob ich Kopfschmerzen habe oder nicht –“

„Weder das Eine noch das Andere. Ich verlange weder Abbitte, noch verweigere ich Dir mein Bedauern, daß Du Kopfschmerzen hast, aber mir ist es unmöglich, so ohne ‚Gute Nacht‘ von Dir zu gehen. Nicht wahr, das ist im Grunde auch nicht angenehm, Blanka? Wenn zwei Menschen sich so lieb haben, wie wir, dann ist das Verlangen nach einer Verständigung, nach einem Aussprechen so natürlich.“

Er war bei diesen Worten näher zu ihr getreten und wollte sie an sich ziehen, aber sie wich ihm aus mit einer ungeduldigen Bewegung, und um ihren Mund legte sich einen Moment ein spöttischer Zug.

„Wenn Du mich wirklich lieb hättest,“ entgegnete sie schroff, „so würdest Du mir nicht solche alberne Moralpredigten halten wollen, da Du doch weißt, daß ich angegriffen bin. – Es ist schrecklich,“ fügte sie hinzu, „was Du für eine Auffassung von unserer gegenseitigen Stellung zu haben scheinst; dieses ewige Rücksichtnehmen, dieses Anlehnen des Einen an den Andern, ohne einen freien Willen äußern zu dürfen, dieses Aufgehen in einander – eine drückende, entsetzliche Kette ist es, aber kein Glück. Ich will frei sein – hörst Du? frei sein!“ wiederholte sie noch einmal, und gleich darauf fiel der schwere Thürflügel dröhnend zu hinter der zierlichen Gestalt.

Er stand wie betäubt und starrte auf die Thür, die sie seinen Blicken entzogen hatte. Es war still geworden in dem großen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_754.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2016)