Seite:Die Gartenlaube (1878) 760.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

auf die anständige Höhe von 600 Metern ausdehnen können. Herz, was begehrst Du mehr? Deinen alten Wunsch, einmal wie ein Vogel mit den Wolken dahin zu schweben, hier kannst Du ihn ohne Gefahr und Sorge, in kurzer Zeit und um ein Geringes erfüllen, zu Deinen Füßen die ganze Welt – denn in diesen Tagen vereinigt das moderne Babel alle Nationen – liegen sehen, und dabei so sanft fahren, daß es Dir keine Eisenbahn, kein Schlitten, ja kein Nachen in Zukunft mehr recht machen wird.

Solchen Leistungen entsprechend ist denn auch der Andrang zu diesen Luftschifffahrten sehr groß, und an guten Tagen benutzen 4 bis 500 Personen die Gelegenheit, sich einmal hoch über das Irdische zu erheben. Bis zum 6. October hatten 21,600 Fahrgäste sich an den bis dahin stattgehabten 748 Auffahrten betheiligt. Herr Heinrich Giffard, der Erbauer und Unternehmer, hätte viel Geld verdienen können, wenn das kolossale Werk nicht erst Ende Juli, sondern gleich im Anfange der Ausstellungszeit fertig gewesen wäre. Doch wird das diesen, durch die Erfindung seiner Dampfstrahlpumpe zum reichen und berühmten Manne gewordenen, Ingenieur wenig grämen; hat er doch die Genugthuung, alle seine Berechnungen und Luftpläne völlig bewährt zu sehen, und seiner Vaterstadt – er ist am 6. Februar 1825 in Paris geboren – ein Schauspiel zu gewähren, auf welches ganz Frankreich mit Stolz blickt und, wie wir hinzufügen müssen, nicht ohne Berechtigung. Denn der neue Ballon captif ist nach jeder Richtung hin ein Meisterwerk.

Bereits die Probefahrt, welche am 23. Juli stattfand, bewies dies und gewährte auch den Nichtbetheiligten ein in seiner Art höchst sehenswerthes Schauspiel. Inmitten des Tuilerienhofes, im Angesichte der geschwärzten Mauern der von der Commune geschaffenen Palast-Ruine, gar nicht weit von dem Platze, auf welchem Charles und Robert am 1. Dezember 1783 zum ersten Male einen Luftballon mit Wasserstoff füllten, erhob sich der aufgeblähte Riese wie eine mächtige weiße Domkuppel, die hohen Schloßmauern, die ihn umgaben, überragend. Wenn der Ballon nämlich so weit herniedergezogen ist, daß die Gondel dicht über der Erde schwebt, so erhebt sich die Wölbung der Kuppel 55 Meter über den Boden, den Raum manches großen hauptstädtischen vierstöckigen Hauses übertreffend, enthält dieser Ballon bei einem Durchmesser von 36 Metern nicht weniger als 25,000 Cubikmeter Gas. Die mit dem leichtesten Stoffe, der uns zur Verfügung steht, gefüllte Riesen-Gas-Blase kann ein Gewicht von 25,000 Kilogramm angehängt erhalten, ehe sie ebensoviel wiegt, wie die von ihr verdrängte Luftmasse; sie wiegt freilich, mit Allem was drum und dran hängt, schon selber ihre 14,000 Kilogramm. – Doch wir wollten ja von der Probefahrt erzählen.

Es war ein seltenes Vertrauensvotum für Herrn Gissard, zu welchem sich die ersten Notabilitäten der Pariser Wissenschaft und Presse eingefunden hatten; denn die amtliche Prüfung der Festigkeit des Kabels fand erst am folgenden Tage statt. Da sah man außer dem Polizeipräfecten und mehreren höheren Beamten den berühmten Zoologen Milne-Edwards, den Chemiker Baron Thénard, den Astronomen Taussen, den Geologen Daubrée und manchen anderen berühmten Mann die Gondel besteigen, und endlich folgte – rührend zu sehen – die greise Mutter Gaston Tiffandier’s, des vielgenannten Luftschiffers, der die Leitung der ersten Fahrt übernommen und den Bau mit überwacht hatte, zum besten Beweise, daß hier trotz der noch ausstehenden amtlichen Abnahme nichts zu riskiren war. Kurz nach fünf Uhr Nachmittags schwang sich dieser Vogel Rok der Wirklichkeit majestätisch mit seiner seltenen und ausgezeichneten Last empor, um sie eine halbe Stunde später, nach dem Genusse des unvergleichlichen Panoramas, welches Paris, zumal jetzt, darbietet, der Erde und der harrenden Menge wiederzugeben.

Am andern Tage fand dann vor der dazu ernannten amtlichen Commission die Kabelprobe statt, welche ergab, daß dieses gegen den Ballon zu immer stärker werdende Seil, selbst an seinem dünnsten, untersten Ende, einem Gewichte oder Zuge von 24,000 Kilo widersteht, sodaß ohne Bedenken die amtliche Erlaubniß zur alltäglichen öffentlichen Benutzung gegeben werden konnte, da dem Ballon ja durch das große zu tragende Gewicht genugsam Zügel angelegt sind, um ihn vor dem Gelüste, einmal durchzugehen, zu bewahren. Die große Widerstandsfähigkeit des Kabels ist auch nur in Anbetracht dort oben wehender Winde, die auf eine so große Masse trotz ihrer Rundung mit ziemlicher Gewalt wirken, vorgesehen worden; übrigens läßt man an windigen und regnichten Tagen den Ballon, der sonst seine 10 bis 16 Auffahrten an einem Tage ausführt, nicht aufssteigen. Durch Anwendung von Metalldraht hätte man ein noch widerstandsfähigeres Drahtseil bei geringerem Gewicht herstellen können, aber man fürchtete wohl nicht ohne Grund, daß man damit einen ungeheuren Blitzableiter herstellen würde, der unter Umständen eine Katastrophe herbeiführen könnte.

Die Umsicht, mit welcher das ganze Werk unternommen und vollendet wurde und welche das Vertrauen des Publicums völlig rechtfertigt, geht am besten aus der höchst interessanten Darstellung hervor, welche Herr Gaston Tissandier von den gesammten Herstellungsarbeiten in einem besonderen Buche,[1] dem wir die meisten Zahlen und Einzelnheiten entnehmen, gegeben hat. Dem Urheber der gigantischen Idee standen nicht nur die mit seinen beiden ersten Riesenballons gesammelten Erfahrungen und seine Beherrschung der sich darbietenden mathematischen und mechanischen Probleme zu Gebote, sondern auch als praktischer Luftschiffer wußte Giffard den sich darbietenden Schwierigkeiten im Voraus zu begegnen. Er gehört nämlich zu den ersten und erfolgreichsten Luftschiffern, welche die Lenkung und Steuerung eines Ballons mittelst Dampfkraft versucht haben, und mit Recht sagt Tissandier in der erwähnten Schrift: Wenn einem lebenden Ingenieur die Lösung dieses Problems beschieden sein sollte, so dürfte dies Giffard sein. Schon im Jahre 1852 versuchte er einen rachenförmigen Ballon mittelst einer Dampfflügelschraube dem Winde entgegenzuführen, und der wenigstens teilweise Erfolg verführte ihn, 1855 einen zweiten Versuch mit einem Ballon zu machen, der die Gestalt einer siebenzig Meter langen Cigarre darbot, indessen ebenfalls keinen genügenden Erfolg ergab, obwohl diese Form für einen von Dampfkraft getriebenen Ballon die richtigste sein dürfte.

Der gefesselte Ballon bietet natürlich ein von dem freifliegenden völlig verschiedenes mechanisches Problem dar, schon insofern, als er seine Gasfüllung nicht für eine einzige Auffahrt empfängt, sondern, um das Unternehmen lucrativ zu machen, mehrere Monate bewahren soll. Ein solcher Ballon muß also aus einem bedeutend stärkeren und dichteren Stoffe gefertigt werden, als ein gewöhnlicher. Demgemäß ist derselbe aus sieben über einander liegenden Schichten gefertigt, die, wenn wir von der Innenseite nach außen gehen, in nachstehender Reihe folgen: Auf ein innerstes Gewebe (Mousselin) folgt ein Kautschukblatt, darauf eine sehr feste Leinwandlage, hierauf ein zweites Kautschukblatt, eine zweite gleich starke Leinwandauflage, eine Schicht vulcanisirten Kautschuks und endlich wieder Mousselin. Letzterer ist mit Leinölfirniß und der ganze Ballon endlich mit einer weißen Farbe überstrichen, damit die Hülle sich in der Sonne so wenig wie möglich erwärme. Die Fabrikation der 4000 Quadratmeter dieses siebenfachen und dreifach mit Kautschuk gedichteten Stoffes hat fünf Monate gedauert, obwohl theilweise die Nächte zu Hülfe genommen wurden.

Man kann sich die Anfertigung des Ballons aus diesem Stoffe am besten wie die eines Erdglobus denken, der bekanntlich aus lauter von Pol zu Pol gehenden spindelförmigen Streifen zusammengesetzt wird. Aus dem vorher auf seine Festigkeit und sein Ausdehnungsvermögen geprüften Stoffe wurden nun 1456 Felder zugeschnitten, daraus 104 schiffchenförmige Streifen und aus diesen der Globus selbst zusammengenäht. Die mit der Nähmaschine gemachten Nähte, zu denen beiläufig 50,000 Meter Faden erforderlich waren, wurden innen und außen mit Mousselinstreifen beklebt, die mit flüssigem Kautschuk bestrichen waren, um so eine vollkommene Dichtigkeit zu erzielen. Diese Dichtungsstreifen nebst Kautschuk besitzen allein ein Gewicht von circa 6 Centnern, während der Ballon über 100 Centner wiegt.

Eine ganz besondere Fabrikationsmethode erforderte auch das Netzwerk, welches den Ballon mit 52,000 Maschen umspannt, um das beträchtliche Gewicht der Gondel und ihrer Gäste, des Kabels etc. gleichmäßig auf die gewaltige Oberfläche zu vertheilen. 26,000 Meter Seil von 11 Millimeter Dicke und hierzu von 110 Arbeitern in einer theatersaalartigen Werkstätte mit 3 über einander laufenden Rundbalconen zu diesem Netze, welches man wohl auch wie dasjenige gewisser Gefäßnetze im thierischen Körper

  1. Le grand ballon captif à vapeur de M. Henri Giffard. Avec de nombreuses illustrations. Paris. G. Masson. 1878.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_760.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)