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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ein „Wundernetz“ nennen kann, verknotet worden. Doch ich drücke mich falsch aus, Knoten durfte man bei der Dicke des Seiles nicht machen, weil diese, mindestens hühnereidick, zu sehr auf den Ballonstoff gedrückt und gerieben haben würden; es wurde also eine Kreuzungsmethode erfunden, welche den Knoten ersetzt, ohne dicke reibende Quasten zu erzeugen. Von diesem Netz hängen 64 Tragseile herab, die je zu zweien eine Schlinge bilden, welche einen Rollenzug trägt. Von den 32 Rollen gehen wieder ebenso viele stärkere Seile aus, in deren Schlingen 16 Rollen hängen, von denen dann 16 Seile ausgehen; diese tragen den starken Ring aus Eisen und Holz, an welchem mittelst eines zweiten Ringes einerseits die Gondel, andererseits das Kabel befestigt ist.

Die Gondel besteht aus einer ringförmigen Gallerie aus Nußbaumholz mit Eisensteifung von im Ganzen 6 Meter Durchmesser. Der Rundgang, den sie bietet, um von ihr zwischen den Tragseilen hindurch die Vogelschau und das Wolkenpanorama zu genießen, ist überall 1 Meter breit, sodaß sich 2 Personen bequem ausweichen können; der doppelte Boden enthält Ballast und sonstiges Material. Innerhalb dieses ringförmigen Balcons, der also einen 4 Meter im Durchmesser haltenden offene Raum umschließt, geht das Kabel hinab, aber es ist nicht unmittelbar an dem Ballon, sondern an einer sinnreich construirten stählernen Federwage aufgehängt, die durch vier nach den vier Weltgegenden gerichtete Zifferblätter den Luftreisenden jeden Augenblick kund thut, wie groß die aufsteigende Kraft des Ballons und die Kraft des Windes ist. In Betreff des Kabels brauchen wir nach dem schon Angeführten nur hinzuzufügen, daß es 660 Meter lang und an dem oberen Ende 0,085, an dem unteren 0,065 Meter stark ist.

Um mittelst dieses Kabels den aufgestiegenen Ballon immer wieder herabzuziehen, dienen zwei etwa hundert Meter abseits aufgestellte Dampfmaschinen von dreihundert Pferdekraft, welche eine eiserne Winde von siebenzehn Decimeter Durchmesser und zehn Meter Länge in Bewegung setzen; in die eingegrabenen hundertacht Schraubengänge derselben legt sich das Kabel beim Herunterwinden ein. Dabei sind einige Nebenapparate in Thätigkeit, die das große Erfindungsgenie des Mannes bewundern lassen, der dieses Titanenwerk erdacht und ausgeführt hat. Von der Dampfwinde läuft das Kabel nämlich durch einen nicht ganz fünfzig Meter langen unterirdischen Tunnel bis in den weiten, wie ein Amphitheater mit gemauerten Stufenreifen umfaßten Erdkessel, über welchem der Ballon schwebt und in seiner Ruhezeit von acht oder sechszehn Seilen gehalten wird, die an ebenso vielen in einem Kreise um diese Vertiefung aufgeführte Mauerpfosten befestigt sind. Das Kabel nun läuft hier zunächst über ein großes eisernes Rad, welches, wie jene alten Oellampen, aus denen man nichts verschütten konnte, oder wie ein Erdglobus, so aufgehängt ist, daß es bei aller nothwendigen Festigkeit seiner Stellung jeder beliebigen Wendung folgen kann, die der Wind vermittelst des Ballons, der ihm ungefähr tausend Quadratmeter Angriffsfläche bietet, dem Kabel geben will. Das zweite Paar Zeugen für das besondere Ingenium ihres Ingenieurs sind zwei Luftbremsen, die von der Kraft des aufsteigenden Ballons selbst in Thätigkeit gesetzt werden und die es verhindern, daß der Luftwagen sein Ziel wie die meisten irdischen Fahrzeuge mit einem Ruck erreicht, der da oben Schrecken- und Angstgefühl veranlassen könnte, und die es andererseits ermöglichen, auch an jedem Punkte unterwegs ohne Ruck anzuhalten.

Wir haben zunächst nur noch einige Worte über die Füllung des Riesenballons zu sagen, die also nicht wie gewöhnlich mit Leuchtgas, sondern mit dem leichteren Wasserstoffgas geschah, welches bei der Auflösung von Eisen in verdünnter Schwefelsäure gewonnen wird. Auch der hierzu dienende Entwickelungsapparat, der in der Stunde zweitausend Cubikmeter Wasserstoffgas liefern kann, enthält sehr sinnreiche Einrichtungen, auf die hier freilich ebenso wenig wie auf die übrigen Einzelheiten eingegangen werden kann. Das Gas wird gewaschen, getrocknet und abgekühlt, ehe es in den Gasometer und von da in den Ballon tritt. Zur Erzeugung der zur Füllung des Ballons erforderlichen Gasmenge - wir haben sie oben angegeben - wurde nicht weniger als 190,000 Kilogramm Schwefelsäure und 80,000 Kilogramm Eisenspähne verbraucht.

Nachdem wir uns so eine Idee von der Solidität und Sicherheit, ja der Eleganz dieser Lösung des Problems eines modernen „Drachenwagens mit regelmäßigem Betrieb“ überzeugt haben, werden wir der Versuchung nicht widerstehen können, es einmal den Göttern Griechenlands, die sich bekanntlich stets des Drachenwagens bedienten, gleichzuthun. Wir betreten die Gondel wie einen Dampfer vermittelt einer kleinen Landungsbrücke, die vom Rande des Erdkessels angelegt und nachher weggezogen wird. Sechszehn Personen lösen die Haltseile, und der Ballon, der sich wie ein ungeduldiger Vogel vor dem Auffluge hin- und herwiegt, steigt leicht wie eine Lerche mit seinen vierzig Passagieren auf. Zwei Mitglieder der auch in Deutschland wohlbekannten Luftschifferfamilie Godard pflegen die Fahrt zu leiten. Ohne Stoß zieht es uns nach oben; „die Erde flieht zurück“; das Panorama von Paris mit seinem Gold und seinem Elend entfaltet sich immer weiter; wir durchschneiden eine Nebelschicht, welche die Menge unten „Wolke“ nennt, und genießen, nachdem sie sich zertheilt hat, ein Kreis-Panorama von hundert Kilometern Durchmesser. Niemand, der den Rath der Führer befolgt, nicht auf das Kabel, sondern immer in die Ferne zu sehen, ist schwindlig geworden; wie eine starre Säule steht bei ruhiger Luft das Kabel senkrecht, und wir glauben unter uns das Volk der Zwerge mit seinen spielzeugartigen Palastbauten und Kirchen zu sehen. Vielleicht beginnt ein leiser Wind im Tauwerk zu säuseln, oder wir werden, einem stärkeren Hauche preisgegeben, weit in seiner Richtung fortgeführt, vielleicht bis über das andere Ufer der Seine oder bis über das Palais Royal oder sonst wohin, drei- bis vierhundert Meter im Umkreise.

Die Fahrt ist so angenehm, daß sich bei dem mäßigen Preise von ungefähr sechszehn Mark schon Gewohnheitsgäste gefunden haben, welche die Fahrt bei schönem Wetter alle Tage mitmachen. Namentlich geschieht dies von Seiten der beliebten Schauspielerin Fräulein Sarah Bernhardt, die anfangs die Fahrt nur aus Neugierde mitmachte, neuerdings aber als Cur gebraucht. Gleich bei der ersten Ausfahrt bemerkte sie nämlich, daß ihre Athmungsbeschwerden in der höheren und reineren Atmosphäre vollkommen verschwunden und seitdem ist sie ein fast regelmäßiger Gast des gefesselten Ballons geworden. Am 3. October hat, wie die Pariser Zeitungen meldeten, ein kleiner munterer Engländer einige hundert Meter über Paris das Licht der Welt erblickt, gewiß ein bisher nicht dagewesenes Beispiel eines hochgeborenen Herrn.

Bei einer vor Kurzem vorgenommenen genauen Untersuchung des Ballons, seines Kabels und seiner Maschinen hat sich alles im besten Zustande gezeigt, insbesondere auch die Dichtigkeit des Ballons gegenüber dem ungemein leicht durch die feinsten Poren entschlüpfende Gase. Ohne Zweifel werden die großen Annehmlichkeiten einer solchen Luftfahrt, nachdem einmal das System sich vollkommen ausgebildet und bewährt hat, in einer nicht zu fernen Zukunft dazu führen, daß jede Großstadt ihren gefesselten Ballon während der Sommermonate unterhält. Im vorigen Monat ist auch bereits der Berliner Luftschiffer Damm bei dem dortigen Magistrate um eine Concession zur Anlage eines gefesselten Ballons eingekommen, doch ist seine absonderliche Idee, denselben vom Rathhausthurme steigen zu lassen aus Verkehrsrücksichten abschlägig beschieden worden.

Die Wissenschaft würde dabei nicht leer ausgehen. Der große Pariser Ballon ist bereits im letzten Sommer, mit allen nothwendigen Instrumenten versehen, als regelmäßiges meteorologisches Observatorium für die höheren Regionen benutzt worden und man darf von der Ausbildung dieser Methode vielleicht die besten Hoffnungen für Aufhellung gewisser meteorologischer Fragen, als Luftströmungen, Luftelektricität, Ozongehalt etc. der höheren Regionen hegen, da sie thatsächlich ganz andere Verhältnisse darbietet als z. B. ein Berg-Observatorium, welches doch immer der Erdoberfläche angehört. Auch in anderer Beziehung hat man einige merkwürdige Wahrnehmungen machen können, z. B. über die Hörbarkeit von Concerten, welche man in hundert Meter Höhe veranstaltete, wobei manchmal ein sehr schönes Echo von den Ruinen der Tuilerien vernehmbar ward. Man konnte ganz wohl gemeinschaftlich mit einem unten verbliebenen Orchester operiren und die himmlischen Klänge an bestimmten Stellen der Composition pünktlich einfallen und herniederschweben lassen. Die Himmelsmusik der alten Heiligenbilder war zur Wirklichkeit geworden.

Jedem Luftreisenden drängt sich unvermeidlich unterwegs die Frage auf: „Was würde geschehen, wenn das Kabel nun doch einmal risse?“ So wenig wahrscheinlich das ist, muß man die Möglichkeit natürlich zugeben, und sie ist auch wirklich in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_761.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)