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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


O miserocordia!“ rief Sanna und schlug die Hände mit einer leidenschaftlichen Geberde des Zornes zusammen; „das hab’ ich davon, daß ich selbst hergelaufen bin; die Frau Baronin hat Recht gehabt, wenn sie es stets verbot, daß man sich mit dem plebaglio, dem miserabile einlassen sollte.“

„Was Eure Baronin sagt, ist mir ganz gleichgültig,“ erklärte die Muhme, „und Eure italienischen Schimpfwörter könnt Ihr sparen; die verstehe ich nicht, aber Eins muß ich Euch doch noch sagen, Jungfer Sanna, da es der Zufall will, daß wir zusammen kommen – ich habe mich lange darnach gesehnt, es zu thun: Ihr und Eure Baronin, Ihr tragt eine Sünde auf dem Gewissen, die himmelschreiend ist. Vielleicht habt Ihr gemerkt, es weiß Niemand darum, vielleicht habt Ihr auch richtig erkannt, daß es Eine giebt, die doch den Hergang kennt und weiß, wie es gekommen ist, daß ein junges blühendes Leben in’s Grab sinken mußte, ich sag’s Euch aber, und Ihr könnt’s der gnädigen Frau dort oben bestellen: Gott sieht eine Zeit lang durch die Finger, aber nicht ewig, und er läßt sich nicht spotten, und ich – ich, die alte Muhme aus der Papiermühle – ich bete noch jeden Abend zum lieben Gott, daß er mich einen Tag erleben läßt, wo ich es Eurer stolzen Frau in’s Gesicht sagen kann, daß sie eine –“

Cielo!“ kreischte die Italienerin und focht mit den Händen in der Luft, „welch eine verrückte Person! Ich wundere mich, daß Sie nicht sagen, wir haben das hochmüthige Ding gemordet.“

„Das könnte ich mit vollem Recht behaupten,“ beharrte die Muhme, „und wenn Keins hochmüthiger war als sie, so ständ’s wohl in der Welt.“

„Das soll ich mir sagen lassen?“ rief dunkelroth die alte Sanna, „wollen Sie vielleicht nicht auch behaupten, daß wir ihr Gift eingegeben oder sie erdrosselt haben? Wenn die Jungfer Lisett starb, so ist sie selbst schuld daran gewesen; was hat sie sich einzubilden, der Herr Baron würde sie heirathen! Was fängt sie Liebschaften an, die über ihren Stand gehen! So ein Herr hat hundert Augen und sieht mehr als ein schönes Mädchen.“

„So?“ rief jetzt die alte Frau und setzte hastig das Präsentirbrett mit den Tassen, welches sie eben hochgenommen, wieder hin – „wollt Ihr den Baron Fritz auch noch verleumden? Der ist besser gewesen als die ganze Sippschaft da droben“ – sie deutete nach dem Schlosse – „zusammengenommen, und wenn er ein leichtsinniger Bursch ward, so ist’s abermals Eure Schuld. Was nun das Einbilden anlangt, so hat sich die selige Lisett gar nichts eingebildet; sie ist des Barons Fritz ehrliche Braut gewesen und wäre, so wahr ich hier stehe, seine Frau geworden, wenn nicht falsche, elende Menschen, noch schlimmer als Räuber und Mörder, sie auseinander gerissen hätten.“

Sanna lachte rauh und höhnisch.

„Meinen Sie wirklich? Und ich sage: so wahr sie Lumpenmüllers Lisett war, so gewiß ist für dergleichen Art kein Platz dort oben.“

„Hoffahrt steckt immer den Schwanz über’s Nest,“ sagte die Muhme verächtlich, „unsere Art ist Gott sei Dank zu gut und zu brav und paßt nicht in solche Sündenwirthschaft, wie sie dazumal droben war. Die Derenberg’s waren immer Leute von altem Schrot und Korn; denen saß der Adel nicht nur im Geblüte, sondern auch im Gemüthe, und so war es recht, aber seitdem – na, Ihr wißt, was ich meine – im Grabe hätten sie sich umgedreht, alle mit einander in dem alten Erbgewölbe, hätten sie gewußt, wie weit es noch kommen thät mit ihrer stolzen Sippe.“

„Muhme! Muhme!“ rief die ängstliche Stimme der Hausfrau aus dem Fenster.

„Gleich, Minnachen!“ erwiderte sie und nahm das Präsentirbrett auf; „ich komme schon. Du weißt, wir Alten reden gern von altem Käs, besonders wenn man sich so lange nicht gesehen hat, wie die Jungfer Sanna und ich,“ und dann schritt sie über die Schwelle, ohne sich noch einmal umzuwenden.

„Aber Muhme, um Gott!“ sagte vorwurfsvoll die Frau Erving, als die alte Frau mit gerötetem Gesicht in’s Zimmer trat; „was machst Du für Geschichten! Ich hab’ mich gefürchtet, so böse sah die große finstere Person aus –“

„Ich nicht, Minnachen, ich nicht,“ erwiderte die alte Frau triumphirend, „es war eine Wohlthat für mich, daß ich einmal sprechen konnte. Jahrelang hab’ ich darauf gewartet; mitunter glaubt’ ich schon, ich müsse sterben, ohne daß ich es ihnen in’s Gesicht gesagt, was sie für eine große Sünde gethan haben, und nun heut – o, ich bin noch viel zu sanft gewesen, aber hätte ich das falsche Weibsbild nicht unter Gottes freiem Himmel gehabt, sondern in meiner Stube, da hättest Du hören sollen, Minnachen –“

„Muhme! Muhme! ‚Mein ist die Rache!‘ Was würde der Herr Pastor sagen wenn er Dich jetzt sähe!“

„Ich will mich nicht rächen,“ sagte die alte Frau leise, „denn auf Rach’ folgt allemal ein Ach! Aber glaube mir, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_769.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)