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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ich sie so dastehen sah, das Frauenzimmer, das zu dem Unglück mitgeholfen hat, da war mir’s gerade, als gösse mir Jemand siedend Oel in’s Herz –“ sie brach ab, denn eben trat Lieschen in’s Zimmer.

„Die Gräfin Stontheim ist richtig gestorben,“ erzählte diese, „Nelly’s Mutter sagte es, als sie uns im Park begegnete. Army hat geschrieben, sie würde schon morgen beigesetzt, und nach dem Begräbniß will er seine Braut wieder hierher bringen; die Hochzeit soll gar nicht verschoben werden, es bleibt alles beim Alten. Sag ’mal, Muhme, war die Sanna, die ich erst am Waldweg traf, bis jetzt bei Dir?“

„Bis jetzt, mein Herzel; es war noch ein lustiges Gespräch, das wir zusammen hatten.“

Das junge Mädchen blickte fragend zu ihr hinüber und setzte sich dann an’s Fenster. Die Muhme und die Mutter verließen das Zimmer. Es war so still um das junge Mädchen mit der heimlichen hoffnungslosen Liebe im Herzen. Von den hohen Linden draußen schwebten langsam die gelben Blätter herunter, verblichenes, erstorbenes Frühlingsglück; ein Paar kleine Vögel flatterten zirpend von Ast zu Ast.

„Wenn er gestorben wäre?“ flüsterte sie halblaut. „Aber nein – nein – es ist besser so, lieber Gott, laß’ ihn noch glücklich werden – um seiner Mutter und um Nelly’s willen!“ – klang es zögernd nach. – –

Ein paar Tage waren vergangen; Lieschen hatte fleißig der Muhme zur Seite gestanden in der Wirthschaft, und häufiger als sonst in der letzten Zeit war auch ihr altes helles Lachen wieder erklungen. „Lach’ nur, mein Herzel!“ sagte die alte Frau einmal in vollem Glück darüber, „den Lacher hat Gott lieb.“ Sie wird wieder fröhlich, sie hat’s überwunden, dachte sie; das Kind war ja auch noch so jung, und das Leben lag vor ihm so weit und glückverheißend. Und dann trat unwillkürlich der hübsche, blonde, junge Mann vor ihre Seele, der so wenig Wesens von sich machte und doch mit seiner verständig freundlichen Art mehr und mehr Boden in der Lumpenmühle gewonnen hatte. „Es wäre ein Staatspärchen!“ flüsterte sie halblaut.

Heute früh hatte sie ihm eine Weile nachgeschaut, wie er mit dem Hausherrn in aller Frühe, das Gewehr über der Schulter, auf die Jagd gegangen war, und dabei gar wohl bemerkt, wie ein rascher Blick zurückzog zu den Fenstern, hinter denen das Lieschen noch fest schlummerte, und gedacht: „Wenn sie ihn jetzt so sehen könnte, schmucker kann Keiner sein.“ Aber Lieschen hatte kein Ohr gehabt, als sie ihn nachher gelobt, und nur lachend die Rede immer wieder auf etwas Anderes gebracht. Nun war es Mittag geworden; die Suppe dampfte schon auf dem Tische der Eßstube, und draußen sprang Lieschen dem zurückkehrenden Vater entgegen, ohne daran zu denken, wer mit ihm kam.

„Guten Morgen, Väterchen!“ rief sie fröhlich, „was bringst Du mit?“ Da wurde sie erst gewahr, daß hinter ihm Herr Selldorf stand, der den grünen Hut von dem lockigen Haar genommen, die Rechte in die des Vaters gelegt hatte und ihn mit einem flehenden Blick ansah.

„Bis auf heute Abend denn, lieber Selldorf,“ hörte sie den Vater sprechen, dann noch ein Händeschütteln, und der junge Mann war verschwunden, ohne sie angesehen zu haben. Der stattliche Vater begrüßte sein Töchterchen wie zerstreut und warf die Jagdtasche ab. „Wo ist die Mutter? Ich muß mit der Mutter reden,“ sagte er eilig.

„Aber Friedrich, die Suppe!“ rief die Muhme aus der Küche.

„Ja so – dann nachher!“ meinte er. Bei Tische aber da fuhr er oft mit der Hand über das Gesicht, und dann lächelte er, und plötzlich wurde er wieder ernst. Einmal sah er sein Lieschen so forschend und dabei so traurig an, daß diese die Gabel weglegte und fragte:

„Vater, was ist Dir nur passirt?“ und „Erving, hast Du etwas Unangenehmes gehabt?“ fragte auch die Hausfrau.

„Ei bewahre!“ erwiderte er lustig und zwang sich zur Unbefangenheit. Gleich nach rasch beendeter Mahlzeit folgte er seiner Frau in das Wohnzimmer. Lieschen spazierte im Garten auf und ab und schaute mitunter bange nach den Fenstern der Wohnstube; endlich ging sie wieder in’s Haus, aber da schritt eben die Muhme in die Stube und winkte ihr draußen zu bleiben.

Sie setzte sich voll banger Ahnungen auf die Steinbank unter dem Fenster. Drinnen wurde eifrig gesprochen, und endlich hörte sie die Stimme der Muhme: „Nein, Friedrich, das Eine mußt Du mir versprechen, wenn sie nicht will, dann redet ihr nicht zu, denn gezwungene Eh’ ist ein ewiges Weh!“

„Selbstverständlich!“ erwiderte der Vater, „aber man kann ihr doch alle Vortheile und Nachtheile vorstellen.“

Das junge Mädchen dort auf der alten Steinbank war plötzlich bleich geworden wie der Tod. Mit einem Schlage war ihr eine Klarheit über das gekommen, was drinnen verhandelt wurde; hatte sie denn in einem Traume gelebt? Ihre Eltern, ihr lieber guter Vater – könnten sie es fertig bringen, sie von sich zu geben? Sie sollte fort müssen von der alten lieben Mühle mit einem fremden Manne? Fort von der Mutter, der Muhme und Allem, was ihr lieb und vertraut war? Sie sollte nicht mehr in ihrem Stübchen wohnen, nicht mehr die Thürme des alten Schlosses da drüben sehen? Sie preßte die Hände gegen die Brust, und es war ihr, als hörte das Herz auf zu schlagen bei dieser Vorstellung.

„Lieschen, komm einmal herein!“ tönte jetzt die Stimme ihres Vaters. Mechanisch erhob sie sich und folgte der Weisung.

Da stand sie nun in der Wohnstube; auf dem Sopha saß ihre Mutter, am Fenster die Muhme, und Beide schauten sie so besonders – so innig an, ja, es war, als ob die Mutter geweint habe.

Die alte Frau am Fenster erhob sich und schritt hinaus; sie wollte nicht stören bei dem, was jetzt die Eltern dem Kinde zu sagen hatten; sie ging still in ihre Stube und nahm die Bibel von ihrer Kommode; dann setzte sie sich auf den alten Lehnstuhl und faltete die Hände über dem Buche. „Gott weiß allein was Recht ist,“ flüsterte sie; „er mag ihr Herz lenken, und so wird es wohl werden.“ Draußen lagen die Strahlen der Herbstsonne auf dem bunten Asternflor, und lange weiße Fäden hatten sich wie silberne Schleier um die halbentlaubten Stachelbeersträucher gehängt. „Wenn es wieder Frühjahr wird, wie mag es dann hier im Hause stehn?“ Sie dachte an ihren Liebling, der da drüben so plötzlich vor die wichtigste Entscheidung im Leben gestellt worden – wie wird Lieschen die Eröffnung aufnehmen? Ob sie wirklich nicht bemerkt hatte, wie lieb sie dem jungen Manne geworden? Und ob sie ihn nicht ein klein wenig – „Ach nein!“ Die alte Frau schüttelte den Kopf, sie wußte, wie es in dem jungen Herzen aussah – „Nein, sie liebt ihn nicht, und wenn sie ihm dennoch ihr Jawort gäbe, sich zwänge, weil es die Eltern wünschten – würde sie dann glücklich werden? Ach, gezwungene Lieb’ und gemalte Wangen, die dauern nicht. Das arme Kind!“ flüsterte sie vor sich hin. „Wenn sie ihr nur nicht so zureden! Minnachen, die thut’s nicht, aber der Friedrich, der Friedrich, der hat einen Narren an dem Jungen gefressen.“

Sie schlug das alte Buch auf und blickte auf die vergilbten Blätter, aber sie vermochte nicht zu lesen; die Buchstaben flimmerten ihr vor den Augen, und die Hände zitterten ihr, – und nun faßte es leise auf die Thürklinke – wird jetzt das Gesicht einer fröhlichen jungen Braut hereinschauen, mit dunkler Gluth übergossen? Die alte Frau hielt dea Athem an; da öffnete sich langsam die Thür, und das junge Mädchen stand auf der Schwelle; war sie denn gewachsen seit vorhin? Sie trat ruhig herein; auf dem bleichen Gesicht lag tiefer Ernst.

„Muhme,“ sagte sie leise, „ich habe nein gesagt.“

Die Muhme antwortete nicht; sie nickte nur wie zustimmend mit dem Kopfe. „Du bist ihm nicht gut, Kind?“ fragte sie dann. „Sieh, es sind eben eigene Sachen um solche Heirathsgeschichten.“

„Ich kann Keinen lieb haben, Muhme,“ tönte es nah an dem Ohr der alten Frau; zwei weiche Arme schlangen sich um ihren Hals, und ein blasses Gesicht verbarg sich an ihrer Brust. So lag sie auf den Knieen neben der Alten, und diese strich mit der Hand über die braunen Flechten.

„Gott segne Dich, mein Liesel!“ flüsterte sie, „Du hast das Rechte gethan.“ – –

Drüben im Wohnzimmer schritt der Hausherr aufgeregt hin und wieder. Frau Erving hatte roth geweinte Augen und bat:

„Wenn sie ihn aber doch nicht lieb hat, Erving!“

„Minna, es ist gar zu schwer mit einer Frau über solchen Punkt vernünftig zu sprechen,“ sagte er vor ihr stehen bleibend, „sieh Dir den Jungen an! Er ist hübsch, ist ehrenwerth; er hat sie lieb, ist aus guter Familie; sein Vater schreibt mir,

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