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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

sie wollen das Mädel auf Händen tragen – ist das nicht Alles, was sie überhaupt verlangen kann? Aber es steckt etwas dahinter – das lasse ich mir nicht ausreden.“

„Aber ich bitte Dich, Erving, was sollte das wohl sein?“

„Und dann, ich kenne das Mädchen nicht wieder – sie, die sonst so schmiegsam und biegsam ist, wie sie dastand mit dem blassen Gesicht und ‚Nein‘ sagte, weiter nichts als ‚Nein!‘ Gott steh’ mir bei, wer hätte das gedacht?“

„Sie ist ja Deine Tochter, Alterchen,“ bat Frau Erving aufstehend und zu ihrem Gatten tretend. „Du weißt doch,“ fuhr sie mit einem Versuch zu lächeln fort, „wie Dein Vater gewünscht hatte, Du solltest die Agnes heirathen, da hast Du ebenfalls ‚Nein‘ gesagt und weiter nichts.“

„Na, das war denn doch etwas Anderes, damals kannte ich Dich schon und hatte Dich lieb, aber hier – sie hat ja kaum die Nase aus dem Nest gesteckt. Gott weiß, so sauer ist mir bald nichts vorgekommen, als dem Jungen heut Abend solchen Bescheid zu bringen.“

Er blieb am Fenster stehen und blickte unmuthig durch die Scheiben. Er wendete sich auch nicht um, als jetzt leise die Thür aufging und die Muhme eintrat.

Sie blieb einen Augenblick stehen. „Nu, nu, Minnachen,“ sagte sie dann, „Du weinst ja – es ist doch Keins gestorben und solche Eile hat’s doch auch nicht mit dem Freien! Es giebt ja nicht eine Hand voll, es giebt ein ganzes Land voll Männer – der Rechte kommt schon noch –“

Der Müller am Fenster machte eine heftige Bewegung, als wollte er scharf antworten; dann sagte er ruhig: „Du redest, wie Du es verstehst, Muhme.“

„Ei, ich sollte meinen, in solchen Dingen bin ich auch gerade nicht auf den Kopf gefallen, und hab’ ein Stückel Leben mehr gesehen wie Du. Die Liesel ist siebenzehn Jahr gewesen – das ist doch kaum aus den Kinderschuhen heraus; es werden noch hundert Freier nach der Mühle kommen; was soll sie gleich den Ersten nehmen? Er ist ein schmucker Bursche, der Selldorf, ja, aber der Geschmack ist halt verschieden, und Lieb’ ohne Gegenlieb’ ist ’ne Frage ohne Antwort und giebt ein Unglück. Und nun laß gut sein, Friedrich, und mach ihr kein böses Gesicht, sie ist ja Dein einziges Bissel, was willst Du sie denn zwingen! Es nutzt Dich aller Aerger nichts, und ein Machtwort kannst Du in dieser Angelegenheit nicht sprechen; darum gieb Friede, und freue Dich, daß Du das Kind noch behältst! Wenn sie erst einen Mann hat, dann ist sie nimmermehr Euer.“

„Schon gut, schon gut!“ erwiderte er ungeduldig und fing die Wanderung durch’s Zimmer von Neuem an. Die alte Frau fügte kein Wort mehr hinzu; sie wußte, daß sie ihren Zweck erreicht hatte, und so nahm sie ihren Strickstrumpf und setzte sich auf ihren Platz.

„Hast Du sie denn gesprochen?“ fragte nach einer ganzen langen Pause die Mutter.

„Freilich! Sie kam zu mir und hat mir’s gesagt, wie es steht, und zuletzt da hat sie geweint und mich gebeten, ich solle ihr den Vater wieder gut machen helfen.“

„Wo ist sie denn?“ fragte er.

„Sie ist in ihr Stübchen hinaufgegangen.“

„So?“ erwiderte er und schritt wieder auf und ab, dann aber näherte er sich der Thür und ging hinaus.

„Ich weiß schon, wo er hingeht,“ nickte die alte Frau und lächelte. „Er war wohl recht böse?“

„Es ging schon noch, Muhme, aber ich kenne ihn ja gar nicht ärgerlich – es hat mich erschreckt.“

„Nein, guck einmal, Minnachen,“ sagte sie und wies in den Garten hinaus, und als sie nun hinschauten, da ging eben der Müller langsam den Weg hinauf, die Arme um sein Töchterchen geschlungen, und sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und sah zu ihm auf’, er sprach mit ihr, und sie lächelte ihm zu.

„Mein guter Mann, mein liebes Kind!“ sagte leise die Frau am Fenster.



10.

Im Schlosse war die Nachricht von dem Tode der Gräfin Stontheim keineswegs sehr traurig aufgenommen worden; die junge Baronin und Nelly hatten die Verstorbene gar nicht gekannt. Nelly hatte Kränze gewunden und sie mit theilnehmenden Zeilen an Blanka abgesendet, und dann hatten die drei Damen Trauerkleider angelegt, um auch dieser äußerlichen Form zu genügen, hauptsächlich wohl Blanka’s wegen, welche auf das Schreiben Army’s hin zu längerem Aufenthalte in Derenberg erwartet wurde. Army und ihr Vater wollten sie begleiten.

Und nun war der Tag gekommen, an welchem der Besuch eintreffen sollte. In Blanka’s Zimmer waren die Fenster weit geöffnet, und die frische Herbstluft zog in die üppig traulichen Räume; die Sonnenstrahlen glänzten auf den blaß-grünen gleißenden Atlasfalten der Wände und den schwellenden Polstern von gleichem Stoff; überall prangten frische Herbstblumen in Vasen und Körbchen und Nelly blickte sich sorglich um, ob das verwöhnte Kind auch nichts zu vermissen brauche. In dem einfachen schwarzen Wollkleide sah sie in diesem strahlenden Boudoir beinahe wie eine arme verwunschene Prinzessin aus, die durch Zufall oder einen guten Geist wieder in die prächtige Umgebung versetzt worden war, die ihr eigentlich gebührte. Das ovale Gesicht mit dem zart rosigen Teint hob sich reizend von dem tiefen Schwarz ihres Kleides, und die weißen Hände, die aus den Kreppmanschetten des Aermels hervorsahen, waren fast zu klein für ein erwachsenes Mädchen.

„Es ist doch reizend, dieses Zimmer, Großmama,“ sagte sie, und schaute zu der alten Baronin hinüber, die eben in dem Rahmen der Thür erschien.

„Gewiß! Aber für Dich, mio cuore, würde ich es hübscher in Blau finden.“

„O, für mich!“ lachte sie auf, „Großmamachen, ich und so ein Zimmer aus Seide und Spitzen! Ich würde mich unglücklich fühlen in diesem Duft und Schimmer.“

„Du wirst es lernen, mein Kind, darin glücklich zu sein.“

Das junge Mädchen blickte rasch auf, das klang so ernsthaft.

„Wenn meine kleine Nelly recht lieb ist,“ fuhr die alte Dame fort und trat näher zu dem erstaunten Mädchen, „und sich Mühe giebt, ihr wildes Wesen abzulegen, dann schenke ich ihr vielleicht so ein strahlendes Zimmerchen zu Weihnacht.“

„Großmama, Du?“ rief die Kleine ungläubig. „Ach nein, ich möchte lieber so eine Einrichtung, wie Lieschen sie hat, mit blau und weiß beblümtem Kattun – das sieht doch reizend aus.“

Die alte Baronin zuckte die Schultern und wandte sich um, denn ihre Schwiegertochter trat ein.

„Da bekomme ich eben ein ganzes Paket Kleiderstoffe und Proben zugesandt,“ fragte diese, „haben Sie das bestellt? Ich meine, es muß ein Irrthum sein; es sind seidene Möbelstoffe dabei und allerhand Sachen, die wir doch unmöglich gebrauchen können.“

„Ich habe die Bestellung gemacht, Cornelie,“ erklärte die Angeredete ungeduldig, „laß die Sachen auf mein Zimmer legen!“

Nelly zog davon, um es zu besorgen, und die beiden Frauen standen sich stumm gegenüber.

„Aber,“ sagte endlich die Jüngere, „wozu das?“

„Hast Du Dich schon einmal in dem Spiegel gesehen, Cornelie?“ klang es scharf zurück, „in dem Fähnchen da kannst Du Dich doch kaum noch vor unseren Leuten blicken lassen, geschweige denn bei einer Hochzeit.“ Sie lachte.

„Ich hatte schon eingekauft, Mamachen, für Nelly ein weißes Kleid und für mich einen schwarzen Seidenstoff.“

„Leichteste Qualität, recht dünnen Taffet, Kunstreiterseide, wie man sagt, ich kenne das,“ erwiderte die alte Dame höhnisch. „Genug, es bleibt dabei, ich kaufe, was ich für nöthig halte –“

„Aber Mamachen!“

„Du willst vielleicht fragen: woher nimmt sie das Geld? Nun denn, Cornelie, das Geschäft hat früher Tausende von mir verdient, und es wird auch wohl jetzt noch der Baronin Derenberg Credit gewähren – das ist vorläufig genug, für das Weitere laß mich sorgen. Oder willst Du vielleicht, daß Dein Sohn in einem völlig leeren Salon getraut werde, wo die Vorhänge kaum noch an der Stange hängen bleiben, weil sie von den Motten zerfressen sind, die Möbelüberzüge Löcher haben, so groß wie jene Schale dort? Deine Schwiegertochter würde empfindlich die Nase rümpfen, meinst Du nicht auch?“

„O, daran dacht’ ich nicht,“ erwiderte die blasse Frau leise, und schloß die Thür, da ein kühler Luftzug die seidenen Vorhänge weit in’s Zimmer wehte. „Ich meinte nur,“ setzte sie zurückkehrend hinzu und an dem prachtvollen Stutzflügel stehen bleibend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_771.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)