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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Die ersten Untersuchungen, durch die er sich der Welt bekannt machte, waren sozusagen die Abkömmlinge jenes kühnen Luftrittes, als ihm noch der Himmel über seinem Dache voll Aepfel hing; es waren Luftreisen, die mit einer kaum heute übertroffenen Kühnheit zu rein wissenschaftlichen Zwecken unternommen wurden. In den Jahren 1803 und 1804 hatte nämlich der Physiker Robertson die ersten wissenschaftlichen Luftreisen unternommen, und wollte dabei unter Anderem beobachtet haben, daß die Kraft der Magnetnadel in den höhern Regionen reißend schnell abnähme. Laplace schlug daher im Jahre 1804 der Pariser Akademie die Unterstützung einer physikalischen und chemischen Erforschung der Atmosphäre mittelst des Luftballons vor. Gay-Lussac und der später berühmt gewordene Physiker Biot wurden mit der Ausführung betraut und stiegen am 24. August 1804 zu einer Höhe von 3000 Fuß auf, aber die beständig kreisende Bewegung des Ballons verhindere sichere Beobachtungen. Daher wiederholte Gay-Lussac seine Versuche mit unerhörter Kühnheit drei Wochen später und stieg am 16. September, mit allen möglichen wissenschaftlichen Apparaten ausgerüstet, allein empor. Fortwährend die Magnetnadel, Barometer, Thermometer und Hygrometer (einen Apparat zum Messen der Luftfeuchtigkeit) beobachtend, erreichte er die bis dahin noch nie besuchte und ein halbes Jahrhundert lang nach ihm vergeblich angestrebte Höhe von 7016 Meter über dem Meere, weshalb wir seinen Luftballon auf älteren Bergkarten gewöhnlich über dem Gipfel des Montblanc schwebend abgebildet finden. Obwohl ihm die Athmung bereits erschwert und die Kehle sehr trocken war, beschloß der muthige Forscher seine Entdeckungsreisen noch weiter empor auszudehnen und warf das letzte entbehrliche Ballaststück, einen alten Stuhl, aus der Gondel, um immer noch höher zu steigen. Es half aber nicht viel, er merkte, daß er den Gipfelpunkt seines Ausflugs erreicht hatte, und verstopfte eilig seine Ballons, in denen er Luft aus diesen Regionen hinabbrachte, wie die Pilger sonst Jordanwasser mit in ihre Heimath trugen. Nach einer sechsstündigen Luftfahrt, während welcher er einen Temperaturwechsel von 37 Grad durchgemacht hatte, landete er wohlbehalten bei einem Dorfe zwischen Rouen und Dieppe, vierzig Meilen von Paris.

Er glaubte gefunden zu haben, daß die Magnetnadel sich dort oben ebenso verhält wie auf der Erdoberfläche, ein Ergebniß, das nicht mehr für völlig genau gehalten wird, wichtiger war sein Nachweis, daß die Luft in einer Höhe von 20,000 Fuß genau ebenso zusammengesetzt ist, wie an der Erdoberfläche, und durchaus keine Beimischung von Wasserstoffgas enthält, wie man vermuthet hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung mußte er später erfahren, daß sein Stuhl zu einem langen frommen Streite darüber Anlaß gegeben habe, ob man denselben für einen „Stuhl aus dem Paradiese“ halten müsse oder nicht. Derselbe war nämlich bei ruhiger Luft unmittelbar vor den Augen einer Schäferin aus den Wolken gefallen, und da man derartige Stühle auf den Altarbildern zuweilen auf Wolken ruhend sieht, so war diese Deutung nicht so leicht von der Hand zu weisen. Die Gläubigen hätten den schlechten Stuhl am liebsten gleich in ihre Dorfkirche zur Anbetung gestellt, aber die Ungläubigen hatten darauf hingewiesen, daß die Arbeit sehr ungeschickt sei und daß man da oben wohl geschicktere Tischler voraussetzen müßte. Der Streit dauerte eine geraume Zeit in den Localblättern der Gegend, aber der Bericht Gay-Lussac’s über seine Reise bereitete der Freude der Wundergläubigen bald ein tragikomisches Ende.

Um diese Zeit und an eben diese Luftuntersuchungen knüpfte sich die lebenslängliche Freundschaft mit Alexander von Humboldt an. Gay-Lussac war demselben vor einer Reihe von Jahren gewissermaßen feindlich entgegengetreten[WS 1]. Vor Beginn seiner großen Reise nach Amerika hatte Humboldt nämlich unter seinen eiligen Vorbereitungsstudien eine allerdings nicht sehr vollendete Arbeit über Luftuntersuchungen veröffentlicht, und diese Arbeit war von dem damals noch sehr jungen Gay-Lussac nicht ohne Grund scharf kritisirt worden. Als darauf Humboldt zurückgekehrt war, sah er eines Tages im Hause Berthollet’s zu Arcueil bei Paris den jungen schlanken Mann, dem man nachrühmte, es trotz seiner Jugend weitaus am höchsten gebracht zu haben. „Ah, der Verfasser jener bitteren Kritik,“ sagte Humboldt leise, näherte sich Gay-Lussac und bat ihn um seine Freundschaft.

Sie weihten dieselbe mit einer gemeinschaftlichen Arbeit über die Zusammensetzung der Luft und des Wassers ein, welche am 1. Januar 1805 der Akademie der Wissenschaften vorgelegt wurde und der später zahlreiche gemeinschaftliche Arbeiten der Beiden gefolgt sind. Es war dies dieselbe Arbeit, in welcher Gay-Lussac seine für die Chemie folgenschwere Entdeckung, daß die Gase sich in einfachen Maßverhältnissen verbinden, zuerst andeutete. Auf Humboldt’s Andrängen nahm Gay-Lussac im März desselben Jahres einen Jahresurlaub, um mit seinem Freunde einen großen Theil Europas zu bereisen. Mit ausgezeichneten Instrumenten für meteorologische und magnetische Beobachtungen versehen, reisten sie durch einen Theil Frankreichs und dann über den Mont Cenis nach Italien, wo sie in dem Hause Wilhelm von Humboldt’s, der damals preußischer Geschäftsträger am päpstlichen Hofe war, einige Zeit verweilten und sich des anregenden Umgangs mit Rauch und Thorwaldsen erfreuen durften. Aber selbst dort konnte der Chemiker das Arbeiten nicht lassen, und hier war es, wo er die Flußsäure als einen regelmäßigen Bestandtheil der Knochen und Zähne erkannte.

Von Rom gingen sie, nachdem sich ihnen Leopold von Buch angeschlossen, nach Neapel, woselbst der Vesuv, der sich bis dahin sehr ruhig verhalten, zur Begrüßung der drei berühmten Naturforscher ein großartiges Feuerwerk veranstaltete: Lavaströme, Aschenregen, vulcanische Gewitter begleiteten die Eruption, und damit nichts fehle, hatten die Reisenden – wie einer derselben sich ausdrückte – das „Glück“, eines der schrecklichsten Erdbeben, das Neapel je erlebt hat, mitzumachen. Auf diesen Besuch namentlich bezogen sich die von dem Forscherkleeblatt ausgegangenen Theorien über den Vulcanismus, die einen bedeutenden Nachhall fanden, aber durch die neuere Forschung, namentlich was die angenommenen Bergerhebungen durch vulcanisches Feuer anbetrifft, beträchtlich eingeschränkt worden sind.

Nach einem nochmaligen Aufenthalt in Rom, Florenz, Bologna und Mailand, wobei unablässig Beobachtungen und Entdeckungen gemacht wurden, kehrten die Reisenden über den Gotthard nach Deutschland zurück, woselbst Gay-Lussac den mehrmonatlichen Rest seines Urlaubs zu Berlin im Humboldt’schen Hause verbrachte. Es war ein reiches Jahr, dessen namentlich den Erdmagnetismus betreffende gemeinschaftliche Untersuchungen im ersten Bande der Schriften einer von Berthollet neu gestifteten wissenschaftlichen Vereinigung, der „Gesellschaft von Arcueil“, veröffentlicht wurden. Der zweite Band derselben Zeitschrift brachte aus den Jahren 1806 und 1807 die weiter ausgeführten Untersuchungen über die Ausdehnung, Verbindung in einfachen Verhältnissen und dabei stattfindende Verdichtung der Gase, welche den Ruhm des jungen Chemikers begründeten und deren Ergebnisse unter dem Namen der „Gay-Lussac’schen Gesetze“ zu dem eigentlichen Fundamente der physikalischen und theoretischen Chemie geworden sind. Wir können diese Entdeckungen, wie auch die späteren, hier nur kurz andeuten; sie füllen lange Capitel in der Geschichte der Chemie, Physik und Technik.

Jetzt endlich hatte nun die französische Regierung sich überzeugt, daß der junge Naturforscher der Anstellung im Staatsdienste würdig sei; er wurde 1808 zum Professor der Physik an der Sorbonne ernannt, erhielt 1809 den Lehrstuhl für Chemie an der Polytechnischen Schule und wurde zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften etc. erwählt. Obwohl er auch im Lehrfache Ausgezeichnetes geleistet hat, so erschien ihm dasselbe doch eher als ein Hemmschuh für seinen Forschungstrieb; seine wahre Befriedigung fand er stets nur darin, der Natur neue Geheimnisse abzulauschen und sie zum Besten der Menschheit zu verwerthen. Zunächst bereicherte er die Chemie durch die Erkenntniß einer Reihe neuer Elementarstoffe, deren Darstellung durch den englischen Chemiker Davy in dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts mit dem größten Erfolge begonnen worden war. In Gemeinschaft mit dem Chemiker Thénard stellte er zuerst 1809 aus dem Borax ein der Kohle ähnliches Element dar: das Bor, beschrieb 1811 zuerst die Eigenschaften des Jod, eines von ihm benannten Stoffes, den ein französischer Fabrikant in seinen Kesseln durch Zufall erhalten hatte, und enträthselte zuerst die Natur des Chlors und Fluors und ihrer Verbindungen.

Aber viel folgenschwerer für die Wissenschaft wurde seine Entdeckung von Stoffen, die man „zusammengesetzte Elemente“ zu nennen versucht ist. Im Jahre 1815 machte er sich trotz der vorangegangenen und noch andauernden Kriege mit Preußen an die Untersuchung eines bekannten Farbstoffes, den sein bloßer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: entgegentreten
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_808.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)