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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


häufig genug), und ebenso werden auch keine sogenannten „Geschenke“ verabreicht. Kein Wunder also, wenn alle möglichen und unmöglichen Krankheiten simulirt und alle nur denkbaren Vorwände fingirt werden, um die Bittenden als unterstützungsbedürftig und -würdig erscheinen zu lassen. Kein Wunder aber auch, wenn sich die Vereine mit allen Vorsichtsmaßregeln wappnen und, wo der Fall nicht augenscheinlich ist oder wo das confiscirte Aeußere einer Bassermann’schen Gestalt oder problematischen Existenz Zweifel an der Würdigkeit auftauchen lassen, etwas polizeilich verfahren, ehe sie in den Säckel greifen und die oft sauer verdienten Beiträge von Vereinsmitgliedern an einen stets durstigen Stromer wegwerfen.

Um dem täglich versuchten Mißbrauche der Vereinscassen nach Kräften vorzubeugen, tauschen die Vereine regelmäßig halbmonatlich ihre Unterstützungslisten gegen einander aus, worauf Name, Beruf, Heimath der Unterstützten, Art und Begründung der Unterstützung nebst allfälligen Randbemerkungen und Winken verzeichnet sind, und welche zugleich die Candidaten der schwarzen Liste, das heißt diejenigen Persönlichkeiten enthalten, welche aus irgend einem triftigen Grunde der Aufmerksamkeit der Vereine zur Abweisung empfohlen werden. In besonders dringenden Fällen warnen sich die Vereine gegenseitig expreß durch Correspondenzkarten oder selbst durch Telegramme vor cassengefährlichen Stromern. Jene schwarze Liste oder vielmehr jenes schwarze Buch (denn die Liste ist im Laufe der Jahre zu einem ziemlich umfangreichen Bande angewachsen), durch dessen Anlage sich namentlich der Nestor der Vereinsvorstände und die personificirte Vorsehung der Vereine, Dr. Nauwerck in Zürich, der alte Patriot von echtem Schrot und Korn, ein Verdienst erworben hat, ist eine köstliche Blumenlese von mehr als zwölfhundert Vertretern aller Länder und Ländchen Deutschlands und Oesterreichs, die aus irgend einem schwarzen Grunde sich ein Anrecht darauf erworben haben, auf dieser Ehrenliste zu paradiren. Da erscheinen in buntem Gemisch Handwerker und Gelehrte, Tagelöhner und Künstler, Kellner und Kaufleute, Civilisten und Militärpersonen, Leute mit und ohne Beruf; da figuriren Bummler und Lumpen, Gauner und Schwindler, Tagediebe und Hochstapler, Lügner und Betrüger aller Art, jung und alt, männlich und weiblich, bürgerlich und adelig; da stehen Professionsbettler und Fechtbrüder, alljährlich wiederkehrende Zugvögel auf fremde Kosten, zu Dutzenden; da kommen schockweise Betrüger an Vereinen, Meistern und Cameraden. Hier handelt Einer mit Bruchbändern, die er sich von den Hülfsvereinen hat schenken lassen, dort verkauft ein Anderer das Eisenbahnbillet, das er sich erlogen hat; Der reist mit doppelten und dreifachen Papieren, um auf zwei und drei Metiers fechten zu können; Jener läßt sich neue Schriften ausstellen, damit man die reiche Markensammlung von Vereinsstempeln in den alten nicht zu Gesicht bekomme; der Eine schwindelt mit Krankheiten, der Andere reist auf ein Bein, einen Arm oder ein Auge; ein Dritter oder Vierter macht in Wunden, die er bei Wörth oder Sedan empfangen habe. Ja, es giebt wahre Rattenkönige von Schwindlern, welche eine ganze Reihe von Namen und Geschäften in ihrer werthen Person vereinigen, und der Muth einzelner Stromer versteigt sich nicht nur zu impertinenten Schmähbriefen an die Vereinsvorstände, sondern sogar zu thätlichen Angriffen auf Comitémitglieder, welche ihrem trotzigen Begehren nicht nach Wunsch entsprechen. Zu den schwärzesten Blättern des schwarzen Buches gehören aber jene, welche die Namen von etwa hundert Schuften verzeichnen, welche Weib und Kind im Stiche ließen und dem Elende preisgaben. Selbst mit dem Heiligsten wird geschwindelt: Betschwestern und Märtyrer freier religiöser Ansichten und politischer Grundsätze hoffen auf Sympathie und beuten in schamlos heuchlerischer Weise die Vereine aus. Man sieht: Practica est multiplex, und die Herren Straubinger sind zum Theil nicht ängstlich und verlegen bei der Wahl der Mittel zu ihrem Fortkommen in der Welt.

Bewunderungswürdig ist die Schnelligkeit, mit welcher unter diesen Herren die Kunde sich verbreitet, an welchem Tage ein „grünes“ Comitémitglied das Bureau versieht. Die meisten neugewählten Vorstandsmitglieder pflegen nämlich vor lauter Patriotismus und Humanität allzu optimistisch den Aussagen



Moderner „Rattenfänger von Hameln“.
Von Hugo Kauffmann in München.
Aus dem Prachtwerk „Spießbürger und Vagabonden“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_833.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2019)