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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Es ist hier nicht der Zweck noch der Ort, diese verschiedenen Verfahrungsarten zu beschreiben. Wir wollen hier nur von den neuesten staunens- und bewundernswerthen Leistungen der Heliographie oder Heliogravüre, das ist des Sonnenkupferstichs im Dienste der Geographie und Kartographie Nachricht geben, nämlich von der Herstellung der großen Generalstabskarte der österreichisch-ungarischen Monarchie, 715 Blätter im Maßstabe von 1:75.000.

Bei der Herstellung eines so umfangreichen Kartenwerks, das selbst die kleinsten Einzelheiten berücksichtigen muß, sind, ganz abgesehen von der Richtigkeit und der künstlerischen Ausführung der Aufnahme, der Zeichnung, des Stichs etc., zwei wesentliche Momente zu beachten: die Zeit und die Kosten. Schnelligkeit und Billigkeit sind Cardinalforderungen.

Was nützen Karten, welche erst nach zwanzig bis dreißig Jahren vollendet werden, während welcher Zeit sich Straßen und Wege, Oertlichkeiten, oft selbst Boden- und Terrainverhältnisse wesentlich geändert haben, sodaß die ersten Blätter veraltet sind, ehe die letzten vollendet worden? Was nützen Karten, wenn ihr hoher Preis die Beschaffung erschwert oder gar verhindert?

Aus militärischen Gründen werden freilich alle Staaten zu allen Zeiten einzelne Karten geheim halten. Friedrich der Große hatte die Erlaubniß zur Veröffentlichung der neuen Müller’schen Karte von Schlesien vierzehn Jahre lang verweigert und ertheilte sie zuletzt nur unter der erniedrigenden Bedingung, daß die zahlreichen Fehler der alten Stiche unverbessert blieben; – 1764 wurden die Platten einer neuen Karte der Burggrafschaft Nürnberg vernichtet und ihr Verfasser Knopf bestraft. Solche Maßnahmen fanden immer und überall statt. Um so erfreulicher sind die Rücksichten, welche die österreichische Regierung bei Herausgabe der großen Generalstabskarte auch für die leichte Beschaffung derselben beobachtet. Diese Rücksichten auf Billigkeit und Schnelligkeit bei Herstellung der genannten Karte ließen indeß den bisher üblichen Kupferstich nicht anwenden. Denn Ein Kupferstecher braucht durchschnittlich über vierthalb Jahre zum Stich einer Platte. Die siebenhundertfünfzehn Blätter oder Platten würden also hundert Kupferstecher durch wenigstens fünfundzwanzig Jahre in Anspruch genommen haben. Dabei wäre auch noch in Betracht zu ziehen, daß die Arbeiten an dieser Karte kaum die Hälfte der in Kupfer herzustellenden Arbeiten repräsentiren, diese Anzahl der Kupferstecher also eigentlich verdoppelt werden müßte. Wo aber fände sich eine solche Zahl gleichmäßig geschickter Kupferstecher, da, um auch nur einen regelmäßigen Kupferstecher auszubilden, wohl zehn Jahre erforderlich sind? Man entschloß sich daher nach dem Vorschlage und dem Plane des früheren Chefs des militärgeographischen Instituts in Wien, des Feldzeugmeisters und commandirenden Generals Baron von Kuhn, zur Herstellung der großen Generalstabskarte die Heliographie in photographisch- galvanoplastischer Methode ohne jede Beihülfe des Kupferstechers anzuwenden.

Die verschiedenen Methoden der Heliographie oder Heliogravüre sind unter Kunst- und Fachtechnikern längst bekannt. Ueberzieht man eine Metallplatte mit einer Auflösung von Asphalt und Lavendelöl, trocknet die Schicht und belichtet sie unter einer auf durchscheinendem Papier gefertigten Zeichnung, so lassen die schwarzen Striche der Zeichnung das Licht nicht durch und der Asphalt auf den darunter befindlichen Stellen bleibt daher löslich; unter den weißen Stellen der Zeichnung aber, die das Licht durchgelassen haben, ist der Asphalt unlöslich. Behandelt man nun die so belichtete Platte mit Lavendelöl, so nimmt dasselbe den löslichen Asphalt weg, während der unauflösliche zurück bleibt. Die Platte behält daher an allen Stellen, die nicht durch die Striche der Zeichnung gedeckt waren, ihren Asphaltbezug. Gießt man nun eine ätzende Säure auf die Platte, so frißt dieselbe an allen Stellen, von denen der Asphalt weggenommen wurde, die Metallplatte an, während die mit Asphalt bedeckte Fläche unverändert bleibt, und man erhält ein erhöhtes Bild auf der Platte, das einer Radirung der Zeichnung vollständig ähnlich ist. – Ein anderes Verfahren ist die Metallplatte mit einer Mischung von chromsaurem Kali und Leim zu überziehen. Dieser Ueberzug verliert bei der Belichtung seine Löslichkeit in warmem Wasser, wie Asphalt im Licht seine Löslichkeit in ätherischen Oelen verliert, während die unbelichteten Theile von dem Bezuge rein gewaschen und geätzt eine Radirung darbieten. – Ein ferneres Verfahren fertigt auf gewöhnlichem photographischem Wege mittelst Silberfalzen von der Zeichnung ein positives Bild auf Collodium. Dieses Bild ist ein schwaches Relief, welches, durch geschickte Verstärkung erhöht, dann galvanoplastisch niedergeschlagen, ebenfalls eine druckbare Metallplatte liefert. Diese Methoden sind zur Herstellung von Druckplatten nach Zeichnungen, die in Strichmanier ausgeführt sind, wie Landkarten, vorzugsweise geeignet und sind jetzt in der Kartographie zum ersten Male in ebenso großartiger wie erfolgreicher Weise durch das k. k. militär-geographische Institut in Wien zur Anwendung gebracht worden.

Wenn bisher zur Herstellung einer Karte Zeichner und Kupferstecher nöthig waren und der Kupferstecher je nach der Menge und Schwierigkeit des Terrains zum Stich derselben vierthalb bis fünf Jahre brauchte, so macht die Heliogravüre den Kupferstecher ganz entbehrlich. Nach dem Zeichner tritt die Sonne an die Arbeit und mit Hülfe von etwas Scheidewasser giebt sie die Zeichnung in wenigen Wochen so vollendet genau wieder, wie sie der beste Kupferstecher nur in gleich vielen Jahren herzustellen vermag, und zwar ohne die Mühen und Sorgen, ohne den Kummer und Aerger, wie sie der Kupferstecher oft in höherem Maße verursacht, als die ursprüngliche geistige Arbeit der Zeichnung.

Die Zeichnung freilich erfordert für die Heliographie bei weitem mehr Sorgfalt, doppelt so viel Zeit und doppelt so viel Kosten wie für den Kupferstich. Sie muß so vollendet sein, daß auch nicht ein Pünktchen, ein Ton, auch nicht die geringste Nüancirung in einem mikroskopischen Theilchen zu verändern ist. Sie erfordert wissenschaftlich und künstlerisch gebildete Männer. Wo aber fände man solche methodisch gleichmäßig gebildete Männer in solcher Anzahl, wie sie für die k. k. Generalstabskarte unumgänglich nothwendig sind? –

Es war daher zunächst die Aufgabe, tüchtige topographische Zeichner für die Originalzeichnung auszubilden, welche für die heliographische Reproduction nicht blos, wie für den Kupferstecher, richtig, sondern auch schon im definitiven Charakter der Karte, möglichst präcis und scharf hergestellt werden muß. Hierzu wurde eine entsprechende Anzahl von Truppen-Officieren und Unterofficieren in das geographische Institut einberufen und ihre einheitliche Schulung für diese Aufgabe eingeleitet.

Diese Schulung der Zeichner begann im Herbste 1872, und in der zweiten Hälfte des Jahres 1873 konnte bereits mit der Zeichnung begonnen werden. Bis Ende 1874 wurden durch Heliographie achtundvierzig Blätter, im Jahre 1875 schon dreiundsiebenzig, 1876 gar dreiundachtzig und 1877 wieder siebenundsechszig Blätter, zusammen bis Ende 1877 zweihunderteinundsiebenzig Blätter, vollendet. Um diese zweihunderteinundsiebenzig Blätter in derselben Zeit in Kupfer zu stechen, in der sie heliographirt worden sind, würden etwa dreihundert Kupferstecher erforderlich gewesen sein.

Vergleichen wir die Leistungen der Heliogravüre und des Kupferstichs nach dem Aufwand von Zeit und Kosten für ein und dasselbe Blatt, so ergiebt sich: Zur Herstellung einer Karte im Maßstabe 1 : 75.000 braucht je nach dem Inhalt, namentlich dem Terrain des Blattes,

die Heliogravüre:   der Kupferstich:
Zeichnung 7,5 Monate   Zeichnung 3,7 Monate
heliogr. Proceß,
Retouche
1,5 Monate   Stich 42 Monate
  9 Monate.     45,7 Monate.

Die mittleren Kosten bei der Herstellung einer Druckplatte für ein Blatt 1 : 75.000 betragen bei Anwendung

der Heliogravüre:   des Kupferstichs:
Zeichnung 1000 Gulden   Zeichnung 500 Gulden
heliogr. Platten 45 Gulden   Stich 3500 Gulden
Retouche 50 Gulden   Kupferplatte 140 Gulden
  1095 Gulden.     4140 Gulden.

Eine anerkannte und vollberechtigte Autorität in der Beurtheilung der geographischen Kartographie, Professor August Petermann, sagte gelegentlich einer Besprechung dieser neuen österreichischen Generalstabskarte „Die Heliographie der Gegenwart verhält sich zu der altmodischen Arbeit des Grabstichels wie etwa ein Hinterlader zur Armbrust, wie der Dampfer zum Galeerenboot, wie die Locomotive zur Droschkenkarre oder zum Tragsessel,“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_835.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)