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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Weine nicht, Tante! Er schläft so ruhig; er sieht so glücklich aus.“ Dann wandte sie sich langsam zum Gehen.

Im Stübchen blieb sie stehen. „Onkel,“ sagte sie leise und legte die kleine Hand auf seinen Arm, „darf ich Dir wohl in dieser Stunde mit einer Frage kommen?“

„Zu jeder Zeit, auch jetzt, mein Lieschen! Ahne ich recht, wenn ich meine, es handelt sich um Dich und Army? Es ist mir heute etwas davon zu Ohren gekommen.“

„Ja, Onkel, und ich kann nicht so fortgehen, ohne daß Du mir gesagt hast, wie ich handeln muß.“ Sie setzte sich auf das kleine Sopha. „Der Vater verweigerte sein Jawort,“ fuhr sie fort, „und die Muhme sagte, die Verbindung mit Army sei mein Unglück, Onkel, weil er nicht an mich, weil er nur an mein Geld dabei denke, und der Vater rief meinen Mädchenstolz an. – Zuerst fügte ich mich ihm; es war ein so furchtbares Gefühl das zu erfahren, ich wollte auch stark sein, Onkel, aber dann – dann kam seine Mutter und jammerte, er wolle fort nach Amerika, und da, Onkel, da trieb es mich hin zu ihm, und ich bat ihn, nicht fortzugehen; ich war halb wahnsinnig vor Angst und Schmerz. Er sollte mich doch als guten Cameraden betrachten, habe ich ihm gesagt. Und dann hat der Vater eingewilligt, weil ich ihn so sehr bat; auf den Knieen habe ich gelegen, Onkel – ich wäre ja gestorben, hätte Army fortgemußt nach Amerika, und ich hätte nicht Alles versucht ihn zu retten; Army weiß nicht einmal, welche Kämpfe es gekostet hat. Und jetzt wird es mir so namenlos schwer, wenn ich neben ihm stehe; bei jedem Schritt an seiner Seite thut mir das Herz weh, und da regt sich der Stolz in mir, daß ich zwar seine Braut bin, aber die ungeliebte. Ach, Onkel, ich bin so unglücklich!“

Sie brach in Thränen aus und barg den Kopf in die Kissen des Sophas.

„Liebes Kind,“ sagte der geistliche Herr und streichelte ihr leise über das volle Haar, indem er sich neben sie setzte und ihre Hand ergriff, „mir fällt da ein Sprüchlein aus dem Stammbuch meiner Rosine ein; ihre alte Großmutter schrieb es ihr hinein, da sie, ein junges Mädchen, aus dem Vaterhause ging, um in der Fremde als Erzieherin ihren Lebensunterhalt zu erwerben. ‚Wenn Du einmal im Zwiespalt bist mit Deinen Gefühlen, mein geliebtes Kind, und Gekränktsein und verletzte Eitelkeit kämpfen mit der Neigung zum Verzeihen, zum Lieben, dann laß die Liebe triumphiren, selbst um den Preis gedemüthigt zu erscheinen! Das Herrlichste, das Schönste, was eine Frau zu thun vermag, ist zu lieben, immer zu lieben, ob ihr gleich weh geschah.‘ Habe Geduld, Kind!“ fügte er hinzu, als das Mädchen ihn mit thränenerfüllten Augen anblickte, „er hat erst eben eine bittere Enttäuschung erlebt, und das Bewußtsein einen Schritt zu thun, der von keiner Seite zu seinen Gunsten ausgelegt werden wird, mag Marterndes genug für ihn haben. Er wird das überwinden, Dir dankbar sein, daß Du ihn vor Schande und Noth gerettet hast, und eines Tages entdeckst Du ein Fünkchen von Liebe für Dich in seinem Herzen, das, mit Demuth und Schonung, mit nimmermüdem Freundlichsein gehegt und gepflegt, dereinst noch zur hellen Flamme auflodert. Aber hüte Dich, daß Du den schwachen Funken nicht erstickst durch Empfindlichkeit, gehe mit ihm um wie mit einem kranken Kinde!“

Lieschen war aufgestanden.

„Ich danke Dir, Onkel,“ sagte sie leise, „und nicht wahr, Du beruhigst auch die Eltern, daß ich noch glücklich werden kann, und die Muhme? Ich will freundlich zu Army sein und nachsichtig, und will meine Empfindlichkeit bekämpfen. Ach, wenn nur der Vater mir und dem Army nicht böse sein wollte! Er ist so finster und so trübe!“

„Es ist schwer für ihn, Kind, die Sorge fahren zu lassen; Du bist seine einzige Tochter, und Du trittst in so verwickelte Verhältnisse, in eine ganz andere Sphäre. Mach’ ihm keinen Vorwurf, wenn er die Stirn in Falten zieht, und ebenso wenig der Muhme! Die alte Frau hat Dich so lieb. Sie werden wieder heiter blicken, wenn sie Dich zufrieden sehen an Army’s Seite, und das liegt in Deiner Hand – Du liebst ihn, und Du weißt: die Liebe duldet Alles; sie erträgt Alles, und sie hoffet Alles –“

„Das ist das rechte Wort, Onkel,“ sagte sie mit aufleuchtendem Blick und reichte ihm die Hand; „ich will es wahr machen jetzt, Leb’ wohl, Onkel! Ich komme morgen wieder, und – – ach, lieber, lieber Onkel, dem Karl ist soviel Schmerz erspart geblieben!“

Draußen vor dem Wagenschlag stand Army; er half ihr einsteigen und nahm neben ihr Platz. Wieder fuhren sie schweigend in die Nacht hinaus.

„Army,“ sagte sie plötzlich und legte ihre Hand auf seine Schulter, „ich war wohl verstimmt und unfreundlich? Verzeihe mir – ich komme eben aus einem Sterbehause –“

Er nahm ihre Hand in die seine und wandte sich zu ihr.

„Ich habe eine Bitte an Dich,“ fuhr sie fort, ehe er antworten konnte, „Du weißt, mein Vater gab nur schweren Herzens die Einwilligung zu unserer Verbindung. Verzeih’ ihm, Army! Ich bin ja sein einziges Kind – hilf mir die Wolken von seiner Stirn verscheuchen! Thu’ ein wenig, als ob Du mich lieb hättest, und laß ihn glauben, daß Du glücklich wärst! Ich will es auch – ich bin es ja auch,“ setzte sie leise hinzu.

Er antwortete nicht.

„Willst Du, Army?“ fragte sie zögernd.

Schon rollte der Wagen über die Mühlenbrücke und an dem Geschäftshause vorbei; er fuhr um die kahlen Linden und hielt jetzt vor der Hausthür. Army hielt den Kopf abgewandt und blickte zum Fenster hinaus. Die Dörte mit der Laterne kam eben aus der Thür und riß den Wagenschlag auf; er sprang hinaus und bot Lieschen die Hand zum Aussteigen; es lag ein Zug tiefster Rührung auf seinem Gesichte. – So thun sollte er, als ob er sie liebte! Und wenn er ihr jetzt sagte: „Mein Herz schlägt Dir wirklich in warmer Neigung entgegen, Dir, Du Anmuthige mit dem reinen Gemüthe; ich fühle ein Wehen des Friedens in Deiner Nähe, das mir die Wunden einer unruhigen und unseligen Leidenschaft mit sanftem Hauche kühlt,“ – würde sie es glauben? Das war ja eben das Elend – er hatte ihr Vertrauen verloren –

Er sah zu ihr auf – er wollte ihr antworten: was? Ja, das wußte er im Augenblicke nicht zu sagen, und da bog sich schon in dem schaukelnden Lichte der Laterne ein reizender Kopf aus dem Wagen; die kleine Pelzmütze saß etwas schief gerückt auf den üppigen braunen Flechten, das feine Gesicht war noch geröthet vom Weinen, doch lag ein leises verschämtes Lächeln um den blühenden Mund, das zwei reizende Grübchen in den Wangen vertiefte; die Augen aber sahen, wie um Antwort bittend, in die seinen und ließen ihn fast betroffen zurückweichen. Wo hatte er doch solche Augen gesehen? So leidversunken schauten sie ihn an, als suchten sie ein verlorenes Glück. Beinahe stürmisch zog er sie an sich und blickte tief in die trüben Sterne, die immer strahlender wurden –

Der Wagen war fortgefahren, und Dörte lief aus dem Sturme in die schützende Hausflur; es war dunkel um die beiden jungen Menschen da draußen; wieder wollte er sprechen und wieder schlossen sich die Lippen. „Sie würde Dir doch nicht glauben,“ sagte er sich.

Und sie wagte nicht noch einmal zu fragen, als er ihre Hände langsam aus den seinen ließ. „Er will nicht lügen,“ dachte sie und trat über die alte Schwelle; „er will Nichts versprechen, was er nicht halten kann – er liebt mich ja nicht.“ Und das Licht in den strahlenden Augen erlosch wieder, und sie preßte beide Hände auf’s Herz. „Ach, er liebt mich ja nicht!“

(Schluß folgt.)




Weihnachtsfeier in Bethlehem.

Derjenige, welcher schon einmal ein Weihnachtsfest im Auslande, fern von den Seinigen, verlebt hat, wird ermessen können, welche Gedanken und Gefühle mich bewegten, als ich an einem 24. December die Straße zwischen Jerusalem und Bethlehem entlang ritt. Erinnerte doch so gar Nichts an die Heimath, als

der unendliche Contrast: zu Hause Schnee und Eis – hier ein wolkenloser blauer Himmel, eine auch in dieser Jahreszeit sengende Sonne; zu Hause Tannenwälder, welche mit ihrem dunklen Grün im Winter erst recht zur Geltung kommen – hier die Höhen unbewaldet, nur einigermaßen von dünn stehenden Olivenbäumen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_843.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)