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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ein bekehrter Poet.

Im Schiller-Hofe zu Meran lebt seit mehreren Jahren im ausschließlichen Verkehre mit seiner Muse ein deutscher Dichter. Es gebricht ihm weder an äußeren Glücksgütern noch an innerer Sammlung; nur bisweilen gemahnt ihn ein tückisches Körperleiden an menschliche Unzulänglichkeit. Bevor ich ihn persönlich kannte, lebte er in meiner Vorstellung als ein blasser, blonder, schmalschulteriger Mann mit verschwimmenden blauen Augen und weich modellirtem Gesichte. Da begegnete ich ihm eines Tages, und ich traute meinen Blicken kaum, als man mir sagte, es sei Oscar von Redwitz, der Dichter der „Amaranth“, der da vor mir stehe. Groß und breischulterig, mit dunkel gefärbtem Antlitze, auf dem eine Schmarre glänzte, schwarzen Haares und dunkeläugig – schier wie ein Südländer war er anzuschauen. Unwillkürlich fragte ich mich im Stillen, was diese männliche Gestalt mit dem Walther in der „Amaranth“, mit süßlich-frommem Versgeklingel, mit tausend unnatürlichen Gefühlszierereien und dogmatischen Visionen zu schaffen habe, und herb überkam mich die Erinnerung an Hamlet’s grausames Wort: „Gott gab euch ein Gesicht, und ihr macht euch ein anderes.“ Aber schnell siegte in mir die Zuversicht, daß hier noch nicht das letzte Wort gesprochen sein könne, ja daß einst zur freudigen Ueberraschung Aller, welche von der „Amaranth“ sich mit Recht abgewendet hatten, aus dieser Mannesseele ein Bekenntniß hervordringen werde, tapfer und wahrhaftig, wie etwa David Friedrich Strauß ein solches zuletzt in seinem „Alten und neuen Glauben“ abgelegt hat.

Und ich habe mich nicht getäuscht, denn das jüngste Gedicht Oscar von Redwitz’, „Odilo“ mit Namen, ist eine befreiende That, befreiend nicht blos für ihn, sondern für Alle, welche es lesen. Versunken und zerronnen ist der Nebel dogmatischer Gläubigkeit, der über der „Amaranth“ lagerte, und was schon in dem „Lied vom neuen Reich“ aufklang wie jubelnder Sieg der vaterländischen Gesinnung über unheimliches Gespinnst einer fremden feindseligen Ascese, das ist diesmal zu einem Hohenliede der Menschlichkeit, schlechthin zu einem Hymnus auf die welterlösende Liebe geworden, die mehr bedeutet, als aller Buchstabenwust und despotische Formelkram.

Wie er war, zu weiland „Amaranth’s“ Zeiten, das weiß Redwitz vielleicht selbst nicht mehr. Darum sei ihm die Selbsttäuschung nicht angerechnet, welche in Gestalt eines poetischen Vorwortes seinen „Odilo“ einleitet. Da heißt es:

Als Zwanziger ich einst die „Amaranth“,
Den „Odilo“ ich jetzt als Fünfz’ger schrieb.
Und hab’ ich auch zu diesem zweiten Lied
Mein Harfenspiel wohl vielfach neu bespannt,
Bleibt doch mein erstes mir noch gleichfalls lieb.
Denn trotz der beiden Lieder Unterschied
Sind innerlich sie dennoch tief verwandt,
Und auch ich selbst mir darin treu verblieb,
Der ich in beiden, wie mein Herz mich trieb,
Mein inn’res Leben gleich getreu bekannt.

Verwandt? Nun ja, verwandt in der Form, die auch in jenem Liede vom römischen Dogma feinhörige Ohren schon entzückte. Aber im Geiste? O nein, denn verworfen wird hier, was dort gepriesen; im „Odilo“ siegt die Liebe über den Wahn; in der „Amaranth“ herrschte der Wahn über die Liebe.

Es ist wohlfeil, rückwärtsschauend zu enthüllen, was war und nicht mehr ist. Es waren die finsteren Tage der Umkehr, als Oscar von Redwitz mit seiner „Amaranth“ unter die Leute kam, der Umkehr in Wissenschaft, in Glauben, in Politik und Poesie. Und wie die anderen sie in Leitartikeln und gelehrten Büchern predigten, so verkündigte er sie in Rhythmus und Reim. Das löscht kein Vorwort aus, und wäre es noch so wohlgemeint. Weshalb hätten sie ihn sonst auch stracks nach Wien berufen, den kaum zum Manne Erwachsenen, auf daß er als Professor lehre, was er als Poet gesungen? Nach Wien, wo auch so mancher Andere eingefangen worden in die Netze tödtlicher religiöser Mystik, der wilde Zacharias Werner ebenso wie der arme weichgefügte Hippolyt Schauffert! Daß er den argen Vogelfängern entschlüpft ist und den Weg zum reinen Aether emporgefunden hat, daß er sich loswand von der Irrung, Roms Glorie auf Kosten seines deutschen Vaterlandes zu besingen, das ist es ja eben, was sein Verdienst verdoppelt, und wenn er es dennoch leugnen wollte, daß nicht mehr Thomas a Kempis, sondern Homer und Kant auf seinem Tische liegen, so würde das Motto seines eigenen Gedichtes gegen ihn zeugen, welches lautet: „Der Menschheit Höchstes ist die Liebe.“

Warum er seinen Helden „Odilo“ getauft hat, das freilich ist mir unerfindlich, denn die Geschichte, die er erzählt, ist durch und durch modern. So nennt ein deutscher Arzt von heute doch schwerlich seinen einzigen Sohn, wenn er nicht etwa durch ein Testament oder Gelübde dazu gezwungen ist. Der Vater Odilo’s aber ist ein deutscher Arzt katholischen Bekenntnisses, der mit seinem Weibe Walburg, einer strengen Protestantin, in gemischter Ehe lebt. Er stirbt an der Schwindsucht, noch ehe sein Sohn zum Jüngling herangereift ist, und sein Mund flüstert, ehe er auf immer verstummt, gleichsam als Vermächtniß das schöne Wort: „Der Menschheit Höchstes ist die Liebe.“ Unweit von Odilo’s väterlichem Hause steht das Kloster Mariagnaden; dorthin wandelt täglich der Knabe, um sich für’s Leben seinen Schulsack zu füllen. Der Abt Johannes ist ein duldsamer, wohlgemuther Mann, einer von dem Schlage der Benedictiner, in denen allezeit der Geist menschlicher und nationaler Gesinnung sich aufgebäumt hat gegen die klirrende Kette düsteren Pfaffensinnes. In einem solchen Augenblicke inneren Zwiespaltes braust er auf:

Was, diese windigen Romanen,
Nur schlau in Formen und Chicanen,
Die von dem deutschen Geist soviel
Als wie der Hund vom Flötenspiel
In ihren seichten Köpfen ahnen,
Die uns Exempel sein? Ha, nie!
Doch dreimal eher umgekehrt!
In unsern Kirchen lernen sie,
Wie man voll Andacht Gott verehrt.
Und glaub’ ich auch ganz sicherlich,
Daß jeder deutsche Priester sich –
Sofern er noch ein Deutscher ist –
An innerlichem Christensinn
Mit Menschenlieb’ und Wahrheit drin,
Doch keiner Spur von Pfaffenlist,
Mit jedem dieser Wälschen mißt.
Dies ist einmal ein deutsches Kloster.
Und ist es auch römisch-katholisch,
Wie Petri Stuhl echt apostolisch,
Ich dennoch nicht begreifen kann,
Warum ich als ein deutscher Mann
Mich über Rom nicht ärgern darf,
Wo’s irgend unserm Volk nur Steine
In seines Wachsthums Wege warf.
Und denk’ ich nur an dieses Eine:
Wie’s unsern Mahnruf einst verlachte,
Im Glauben uns zerrissen machte,
Den dreißigjähr’gen Krieg uns brachte
Und all den spätern Glaubenshader –
Herrgott, wenn da mit deutscher Ader
Und nur ein bischen Menschenliebe
Das Herz davon ganz ruhig bliebe!

Der Verkehr mit einem solchen Priester mag unschwer in der Seele eines phantastischen Knaben den Wunsch rege machen, sich ebenfalls in den kühlen Klosterfrieden zu flüchten. Frau Walburg bebt, als sie ihr Kind auf diesem Wege sieht, aber sie läßt es gewähren. Nur leider sind die Tage des Abtes Johannes gezählt; der finstere Eiferer Innocenz tritt an dessen Stelle, und nun beginnt ein fürchterliches Bekehrungswerk, zuerst an dem Sohne, dem noch zu hell der Jugendmuth aus den Augen leuchtet, und dann durch ihn an der armen Mutter, der, als sie widerstrebt, ihr eigenes Kind die ewige Verdammniß ankündigt. Es ist eine grauenhafte Stunde, da Frau Walburg aus dem Kloster hinweggewiesen wird, als Ketzerin, deren Herz nicht schlagen dürfe in der Nähe dessen, den sie geboren hat. Aber es kommt auch eine erlösende Stunde, mit Feuer und Flammen im Gefolge. Da flackert es aus dem Dache des Klosters, und die Funken lecken an dem wunderthätigen Marienbilde, bis sie es verzehren, und Abt Innocenz schreit seinen Mönchen umsonst zu, daß sie es retten, indessen diese, von menschlicherem Gefühl getrieben, es vorziehen, die kranken Klostergenossen aus Rauch und Brand zu schleppen.

Das Kloster Mariagnaden ist zerstört; Abt Innocenz hat sich ein anderes tiefer im Walde gezimmert. Aber nicht Alle, die ihm sonst gehorchten, sind ihm in die neue Zufluchtsstätte gefolgt; auch Odilo ist fortgeblieben, um fortan in weltlicher Wissenschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 845. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_845.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2019)