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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Schluß.)


17.

„Und Du sagst, Heinrich, meine Großmutter habe die Beiden zusammen gesehen?“

„Die Fränzel hat es mir anvertraut, Herr Lieutenant, den Abend ehe sie verschwand.“

Der junge Officier saß in einem der großen Lehnstühle seines Zimmers und sah forschend und mit regem Interesse zu dem alten Mann hinüber, der in ehrerbietiger Haltung nicht weit von ihm stand und in dessen Zügen eine leichte Verlegenheit sich kennzeichnete. Army hatte ihn noch zu später Stunde rufen lassen; er wollte wissen, welche Motive seine Großmutter leiteten und worin der Haß wurzelte, der sich auch heute wieder in der geringschätzigen Behandlung seiner Braut offenbarte; aus unparteiischem Munde wollte er hören, worauf die Andeutungen seines künftigen Schwiegervaters zielten. Er war endlich darauf verfallen, es mit Heinrich zu versuchen, und der alte Mann hatte in der That auf seine Fragen stockend und verlegen zu erzählen begonnen von dem Baron Fritz, der die schöne Lisett dort unten in der Mühle so gar lieb gehabt.

„Zu jener Zeit,“ fuhr der Alte fort, „da kam eines Abends der Baron Fritz geritten, so recht lustig; ich nahm ihm seinen Paletot ab, denn es war kalt, und dann schloß ich ihm das Thurmstübchen auf und machte Feuer im Kamin an –“

„Das Thurmstübchen?“ unterbrach der junge Officier den Erzähler hastig.

„Jawohl, Herr Lieutenant. Der Baron Fritz wohnte dort immer, ich weiß auch warum; er konnte von dort oben die Fenster seiner Liebsten sehen – also ich machte Feuer an, holte ihm eine Flasche Madeira und half ihm die Kleider wechseln. Und da fragt er nun nach Allem, was passirt, und ob sein Bruder schon wieder zu Haus wär’, und ich antworte ihm auf Alles und sage ihm, daß der Herr in drei Tagen zurückerwartet würde, na, und dann was die Frau Mutter macht und die Frau Schwägerin und so weiter, und dabei kramte er immer in den Schubladen des Schreibtisches herum, und endlich fragt er ganz ängstlich: ‚Heinrich, hast Du hier aufgeräumt, als ich neulich so eilig abgereist bin?‘ ‚Jawohl, Herr Baron, sag’ ich. Hast Du nicht ein kleines goldenes Herz gefunden?‘ ‚Nein!‘ und er fuhr fort zu suchen, und ich suchte mit, aber es fand sich nichts; endlich gab er sich zufrieden, aber er sah sehr traurig aus. ‚Weißt Du, Heinrich,‘ meinte er dann, ‚das ist mir ein recht harter Verlust; fünfzig Thaler gebe ich Dir, schaffst Du mir das Herz wieder,‘ und dann nahm er Hut und Stock, denn er trug immer Civil, wenn er hier war, und sagte, er habe noch einen Gang vor in den Park, ehe er den Damen seine Aufwartung mache; na, ich wußte ja schon, wo er hin wollte.

Mir gingen nun die fünfzig Thaler im Kopf herum, Herr Lieutenant, und so fing ich denn wieder an zu suchen und zu suchen, aber es war nichts, und dann nahm ich das Licht und ging in die anstoßende Schlafstube, und wie ich drinnen bin, da ist’s mir, als ob ich nebenan die Thüre gehen höre, so leise und sacht, wie nur möglich, und wie ich rasch wieder hineintrete in die Wohnstube, da pralle ich zurück, denn da steht die Sanna drinnen und schrickt zusammen.

Wissen Sie, Herr Lieutenant, ich bin jetzt alt geworden und ruhiger, aber damals konnte ich das hagere Weibsbild mit den kalten grauen Augen, dem schwarzen Haar und der gelben Gesichtsfarbe nicht ausstehen; es war immer ein falsches Geschöpf, und darum fuhr ich sie in drei Teufels Namen an und fragte, was sie hier zu suchen habe. ‚Die gnädige Frau wollen wissen,‘ sagte sie, ‚wann Baron Fritz zurückkehrt?‘ Sie nannte mich immer Enrico dazumal; denn sie war stolz auf ihre italienische Abkunft. ‚Wo ist der Herr Baron?‘ forschte sie noch einmal. ‚Scheeren Sie sich zum Kukuk!‘ schrie ich sie an, ‚und spioniren Sie nicht! Ich weiß nicht, wo er ist,‘ und damit wollte ich sie hinausschieben. ‚Horch!‘ sagte sie, und wie ich still bin, da hören wir vom Dorfe drunten die Glocken läuten, daß wer gestorben ist; sie fing an sich zu bekreuzigen und ein Ave Maria zu sprechen, ich schob sie aber doch hinaus: ‚Machen Sie das draußen ab! Verstehen Sie?‘ und da drehte sie sich vor der Thür um und sagte: ‚Wissen Sie, Enrico, wer da gestorben? Des Lumpenmüllers Lisett ist’s.‘

Lumpenmüllers Lisett! Ich erschrak, daß ich zitterte; heiliger Jesus, was wird Baron Fritz sagen? war mein erster Gedanke; er ging so lustig, so glücklich zu ihr – und nun todt, das schmucke junge Blut! Es war eine Pracht, Herr, wenn man das Mädel sah; ob Sie jetzt des Lumpenmüllers Lieschen, wollt’ sagen des Herrn Barons Braut ansehen oder ihre Großtante, es ist fast dasselbe; wie aus den Augen geschnitten ist Lieschen ihr. Und wie ich noch so dastand, zog ein Sturm heran, daß sich die Bäume bogen, und um die alten Mauern krachte es und heulte es in allen Tonarten. Baron Fritz kam nicht und kam nicht, und mittlerweile wurde das Wetter immer schlimmer und schlimmer, und es war gerad’, als ob der Orkan den Thurm umreißen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_853.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)