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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

wollte; das Auge konnte in der Dunkelheit keinen Gegenstand unterscheiden, so sehr ich mich auch anstrengte und das Gesicht an das Fenster preßte. Die Schloßuhr hatte schon Zehn geschlagen, und immer noch kehrte er nicht zurück. Herr, es war eine furchtbare Nacht! Auf einmal flog die Thür auf, und als ich mich umwandte, da sahen meine entsetzten Augen den Baron Fritz – er stand schon mitten im Zimmer, und zu seinen Füßen lag bleich und zerzaust die tolle Fränzel und hielt die Hände zu ihm empor in angstvollem Flehen.

‚Bitte meine Schwägerin, Heinrich,‘ sagte er mit tonloser Stimme, sie möge einen Augenblick sich herbemühen! Ich flog zur Thür, Herr Lieutenant, ich wußte, es war etwas Schreckliches geschehen, als ich die gebrochene Gestalt des Mädchens sah, und als ich die Thür aufriß, da stand die Frau Baronin – Ihre Frau Großmutter – draußen und wollte herein. Sie wich zurück, als sie ihren Schwager erblickte; einen Augenblick zuckte es wie jäher Schreck durch ihre Glieder, und sie verbarg rasch etwas in der Tasche ihres Kleides, aber dann schritt sie scheinbar ruhig in das Zimmer hinein.

Herr Lieutenant, eine schönere Frau hat’s wohl kaum gegeben, wie sie war, als sie so dastand in dem langen weißen Nachtkleide, die schwarzen Locken halb aufgelöst und mit ihren großen dunklen Augen in dem blauen Antlitze, wie ein Engel der Unschuld gegen das arme winselnde Geschöpf an der Erde.

Mio caro amico,‘ rief sie dem Baron zu, ‚was soll das?‘ und zeigte wie verwundert mit der Hand auf die Fränzel.

‚Kommen Sie herein, Frau Schwägerin!‘ erwiderte er rauh. ‚Geh’, Heinrich, und schließ’ die Thür!‘ – Jetzt erst wendete er mir das Gesicht zu – Herr, ich war damals ein strammer wilder Bursch, aber ich habe gezittert, so sah er aus – die Augen schienen eingesunken; das junge blühende Gesicht war alt und verfallen im wahnsinnigen Schmerze, und um den Mund zuckte es wild wie in furchtbarem Zorne. In meinem Leben vergesse ich nie den Anblick und die Todesangst, die ich empfand, als ich die Thür hinter der Baronin schloß; mir klapperten die Zähne vor Aufregung, und ich blieb wie gebannt auf dem Corridor stehen. Die Sanna schlich auch herzu, und so standen wir Beide da und wagten nicht zu athmen. Zuerst war es unverständlich, was sie da drinnen sprachen, man hörte nur die weiche Stimme der gnädigen Frau und dazwischen das Schluchzen der Fränzel, aber dann vernahmen wir die Donnerworte des Herrn Barons deutlich draußen; Mörderin nannte er die Baronin und verfluchte sie und sein Haus; ich stand stumm und starr, und dann flog die Thür plötzlich auf, und die Baronin stürzte hinaus und floh wie ein verfolgtes Wild den Corridor entlang und die Treppe hinab; schrecklich sah sie aus, und da unten schlang sie, wie nach einem Halt suchend, die Arme um die Säule und glitt bewußtlos zu Boden; ich sehe sie noch vor mir, die weiße zusammengesunkene Gestalt, und wie Sanna ihr schreiend folgte und sie auf ihren Armen davontrug. Und fast in demselben Momente wurde die Fränzel hinausgestoßen und der Herr Baron stand in der Thür: ‚Mein Pferd!‘ befahl er mit heiserer Stimme, und als ich hinunter eilte, lief eben die Fränzel aus der Halle, die Hände vor dem Gesichte, in die Nacht und das Sturmtoben hinaus. Ich führte dem Herrn Baron sein Pferd vor; er schwang sich hinauf mit seinem bleichen verzerrten Gesichte – das arme Thier; es bäumte sich hoch auf – so preßte er ihm die Sporen in die Seiten, dann sauste er davon, daß ich meinte, es müsse ein Unglück werden. Und da kam er plötzlich zurück; ich stand noch in Wind und Wetter auf den Stufen der Freitreppe und horchte, wie das Trappeln des Pferdes näher kam. Er warf mir ein Geldstück zu.

‚Höre, Heinrich,‘ sagte er, ‚geh’ Du zu meiner alten Mutter und ich lasse ihr Adieu sagen; mich sieht sie nimmer wieder –‘ Das Letzte verstand ich kaum noch; der Sturm verwehte es wohl, oder brach seine Stimme in Weinen, ich weiß es nicht; er gab mir die Hand, und dann war er fort, Herr, und ist nie mehr wiedergekommen. –

Die Fränzel aber, die sah ich noch einmal; sie lag dort drüben auf dem Platze unter den alten Bäumen auf den Knieen, und als sie ihn fortreiten sah in die finstere unheimliche Nacht, da schrie sie so gellend auf, daß ich hinüber lief. Und da, Herr, fand ich eben ein armes unglückliches Geschöpf, das sich in Reue und Leid verzehren wollte, und da merkte ich auch, daß sie nicht so schlecht war, und ich tröstete sie in ihrem Jammer – nun, damals hat sie mir erzählt, daß der Baron Fritz und die schöne Lisett hatten getrennt werden sollen und daß sie gestorben, weil sie hat glauben müssen, er sei ihr untreu, und – das ist Alles, was ich weiß.“

„Du meinst, Heinrich, daß meine Großmutter wirklich –“ Die Stimme des jungen Mannes klang gepreßt.

„O Herr, mir kommt es nicht zu, etwas Böses von meiner Herrschaft zu glauben; ich habe ja keine Beweise, daß Baron Fritz ein Recht hatte zu den schrecklichen Flüchen, aber das weiß ich genau, daß die Frau Baronin mit ihm schon längere Zeit nicht gut stand, weil – nun, er hatte sich einmal in ihre Angelegenheiten gemischt; dann war sie auch grausam stolz; sie hätt’ um keinen Preis des Lumpenmüllers Lisett als Schwägerin anerkannt, und darum – Herr Lieutenant – nichts für ungut! Ich darf es ja wohl sagen; ich habe Sie ja in der Wiege liegen und Sie heranwachsen sehen. Nehmen Sie es mir nicht übel – die Lieschen –“

„Ist meine Braut, Heinrich –“

„Herr, ich weiß es, und hab’ mich gefreut, als ich Sie Beide sah, wie ich nicht geglaubt hab’, daß ich mich noch einmal freuen würde – ach, Herr, halten Sie Ihre Braut hoch und lassen Sie sie nicht aus den Augen! Es kann Einem angst werden um so ein junges Menschenkind hier oben im Schlosse; verzeihen Sie mir, Herr Baron! Es hat mir beinah’ das Herz abgedrückt, Ihnen dies zu sagen; sie hat so viel Aehnlichkeit mit der Lisett, besonders ganz dieselben Augen, just so blau und tief und klar, und ganz denselben Ausdruck darin. Solche Augen, die vergißt man nicht. Gott schenk’ ihnen nur Freudenthränen!“

Die Stimme des Alten war bewegt, als er nun hinausschritt, und das „Gute Nacht“ klang nur noch undeutlich in die Ohren Army’s; er achtete auch nicht darauf – vor seiner Seele standen sie eben auch, diese blauen Kinderaugen, aber so schmerzlich, so bang und unsagbar traurig, wie er sie heute Abend gesehen.

„Dieselben Augen,“ wiederholte er halblaut, „derselbe Ausdruck!“ aber er sah zu dem Bilde der schönen Agnese Mechthilde hinüber. Das Licht war tief herabgebrannt; es flackerte nur dann und wann noch unsicher auf und die rothen üppigen Haare verschwammen undeutlich in der matten Beleuchtung, die zwei dunklen traurigen Augen indeß schauten aus dem blassen Gesichte unverwandt zu dem jungen Manne herüber, so leidversunken, so bang, als suchten sie ein verlorenes Glück. Das waren sie ja, die Augen, an welche er vorhin beim Aussteigen aus dem Wagen hatte denken müssen – die Augen der schönen Agnese Mechthilde!



18.

Am folgenden Morgen ging Army nach der Mühle; sein Schwiegervater hatte eine Unterredung mit ihm gewünscht. Lieschen sah er nicht, die Muhme, die aus der Küche kam und ihm die Thür zu des Hausherrn Zimmer öffnete, antwortete ihm auf seine Fragen, daß das junge Mädchen noch schlafe, und ein Bischen Ruhe würde wohl nöthig sein und gut thun, wenn Eins so die ganze Nacht geweint habe.

Ueber seinem Gesicht lag ein tiefer Schatten, als er in das Zimmer seines Schwiegervaters trat; er hatte sich gesehnt nach Lieschen’s Anblick seit dem gestrigen Abend, und der Gedanke, daß sie die ganze Nacht geweint, fiel ihm schwer auf’s Herz. Er mußte einige Augenblicke warten. Herr Erving war drüben im Comptoir, und unwillkürlich flogen seine Blicke durch den Raum; es war ein behagliches Gemach mit seinen dunklen Tapeten, den grünen Möbeln und Vorhängen; auf einem massiven Schreibtische stand ein Portrait; es war eine Photographie Lieschen’s aus der Kinderzeit; das liebliche Gesichtchen blickte so naiv schelmisch in das Leben hinaus. Er nahm das Bild empor, um es genauer zu besehen, und hielt es noch in der Hand, als jetzt Herr Erving eintrat.

In dem Gesichte des stattlichen Mannes lag ein Ausdruck, den es sonst nicht bot, von Sorge und Abgespanntheit; er mochte kaum geschlafen haben diese Nacht. „Verzeihen Sie, daß ich Sie warten ließ!“ begann er das Gespräch, dem jungen Manne die Hand reichend. „Nehmen Sie Platz!“ bat er, „und lassen Sie

uns gleich zu unserer Angelegenheit übergehen! – Ich werde nicht viel unnütze Worte machen,“ fuhr er dann fort und schob sich einen Sessel an den Tisch. „Zuvörderst denke ich, wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_854.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)