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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

heißt: an dem Alleinseligmachenden. Und hier sagt er nicht: der christlichen Religion, sondern „der Religion“ schlechtweg. Nur mit Bezug auf diese große Tendenz konnte auch ein Lessing, der so bescheiden von seinem poetischen Genie dachte, mit Stolz jene eben angeführten Worte schreiben. „Heil und Glück der Stadt“ etc.. In diesem Sinne ist das Werk das kostbarste Vermächtniß, das ein Dichter der deutschen Nation hinterließ, nicht nur der Nation, sondern der Menschheit; denn es ist das Evangelium der Toleranz, das Hohelied der Menschenliebe.

Die Vorgeschichte des Lessing’schen Dramas ist bekannt, aber wir müssen hier diejenigen Momente derselben berühren, die mit dem Kern der Dichtung im innigsten Zusammenhange stehen.

In den Jahren 1774 und 1777 gab Lessing, damals Bibliothekar an der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, die sogenannten „Fragmente eines Ungenannten“ heraus. Lessing hatte in seinem Vorbericht zu dem ersten Fragment die Meinung über den wahren Autor mit großer Vorsicht und aus triftigen Gründen irre zu leiten gesucht. Man hielt deshalb anfänglich Lessing selbst für den Autor. Erst später wurde es bekannt, daß der eigentliche Verfasser der im Jahre 1768 in Hamburg verstorbene Professor Hermann Samuel Reimarus war, ein entschiedener Anhänger der Wolf’schen Philosophie. In dem Manuscripte ist sein Werk betitelt: „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes.“ Lessing, der eine Abschrift dieses Manuscriptes von der Familie des Verstorbenen erhalten hatte, gab vor, dasselbe in der Wolfenbütteler Bibliothek gefunden zu haben. Er wollte dabei weder über den Autor etwas wissen, noch auch darüber, wie das Manuscript in die Bibliothek gekommen, ob es Fragmente eines Werkes seien etc..

Die Vorsicht bei der Veröffentlichung war durch die Rücksicht auf die Familie Reimarus, wie durch den Willen des Verfassers geboten, der eine so zeitige Veröffentlichung seines Manuskriptes nicht gewollt. Kühn genug war es, daß Lessing überhaupt von dem Manuscript etwas veröffentlichte. Denn da der Inhalt eine freimüthige Kritik der historischen Grundlagen des Christenthums war, und da in dieser Kritik die Auferstehung, die Wunder etc.. entschieden bestritten wurden, so konnte der Herausgeber erwarten, daß die Theologen in Eifer und Zorn gerathen würden. Lessing begleitete die Fragmente mit Bemerkungen, in denen er seinen eigenen Standpunkt durchaus wahrte; er deutete selbst an, was gegen die Einwendungen des ungenannten Autors zum Schutze der Bibel sich allenfalls sagen ließe. „Ja,“ fügte er hinzu, „selbst wenn nichts Entscheidendes sich dagegen sagen ließe, so wäre man darum noch keineswegs genöthigt, dem Ungenannten Alles zuzugeben, was er daraus zum Nachtheile der christlichen Religion folgerte.“ Noch bestimmter wahrte Lessing seinen eigenen Standpunkt in dem großen Satze: „Der Buchstabe ist nicht der Geist, und die Bibel ist nicht die Religion. Folglich sind Einwürfe gegen die Bibel nicht eben auch Einwürfe gegen die Religion.

Trotz alledem machten die orthodoxen Theologen, an ihrer Spitze Pastor Melchior Göze in Hamburg, Lessing selbst für den Inhalt der Fragmente verantwortlich. Welche Streitigkeiten daraus sich entwickelten, ist bekannt. Die gegen Lessing gerichteten Angriffe des Pastor Göze riefen eine ganze Reihe von Schriften hervor, welche für seine unvergleichliche Meisterschaft in der Polemik Zeugniß geben. Aber die vernichtende Satire in der Form von Streitschriften, von denen die meisten unter dem Titel „Anti-Göze“ erschienen, ist es nicht allein, welche denselben Reiz und Werth verleiht. Der hamburgische Hauptpastor hatte ziemlich unverhohlen Lessing’s Christenthum selbst in Zweifel gezogen, und dagegen hatte sich Lessing mit dem höchsten sittlichen Ernste verwahrt. In seinem „Anti-Göze“ Nr. 7 bekennt er, daß der Verfasser der Fragmente, laut dem Vorbericht zu seinem Manuskripte, eine so baldige Veröffentlichung nicht gewünscht hatte, daß er die Gedanken nur zu seiner eigenen Gemüthsberuhigung niederschrieb. Sein Ungenannter habe geglaubt, daß die Zeiten sich erst mehr aufklären müßten, ehe man das, was er für Wahrheit hielt, öffentlich predigen könne. „Ich aber,“ setzt Lessing dem entgegen, „ich glaube, daß die Zeiten nicht aufgeklärter werden können, um vorläufig zu untersuchen, ob das, was er für Wahrheit gehalten, es auch wirklich ist.“ Und in einer späteren Schrift, die erst ist seinem Nachlasse sich vorfand, sagt er in Bezug auf die Fragmente und ihren ungenannten Verfasser: er habe denselben deshalb in die Welt gezogen, weil er nicht länger mit ihm allein habe unter einem Dache wohnen wollen „Ich bekenne, daß ich seinen Zuraunungen nicht immer so viel entgegen zu setzen wußte, als ich gewünscht hätte. Uns, dachte ich, muß ein Dritter entweder näher zusammen oder weiter auseinander bringen, und dieser Dritte kann Niemand anders als das Publicum sein.“ Solche Dinge sprach ein Lessing nicht, um sein Verfahren zu beschönigen, sondern weil dies seine wahrste, innerste Meinung war. Gleichwohl hatte der Lärm, welchen Pastor Göze gegen den Ungenannten und gegen Lessing selbst schlug, endlich doch zur Folge, daß im Juni 1778 die Waisenhausbuchhandlung von der braunschweigischen Regierung den Befehl erhielt, nicht das Geringste mehr von Lessing zum Druck anzunehmen, falls nicht die Handschrift zuvor einem fürstlichen Ministerium eingesandt und von demselben gebilligt wäre.

Lessing wollte die Confiscation des neuen Fragments gern geschehen lassen daß man aber seine eigenen Schriften ebenfalls confisciren wollte, mochte er nicht ruhig hinnehmen. Seinem Bruder Karl schrieb er deshalb im Juli 1778: „Darüber beiße ich mich auch noch gewaltig herum, fest entschlossen, die Sache auf’s Aeußerste ankommen zu lassen und eher meinen Abschied zu nehmen, als mich dieser vermeintlichen Demüthigung zu unterwerfen.“

Lessing hatte Ende 1777 und Anfang des folgenden Jahres furchtbar harte Schicksalsschläge zu erdulden, die seine kurze Vaterfreude und sein kurzes eheliches Glück vernichteten. Auch die theologischen Streitigkeiten mußten ihm, trotz der noch ungebrochen sein Wesen erfüllenden Kampfeslust, endlich herzlich überdrüssig werden, gerade weil er es redlicher mit der Sache meinte, als irgend Einer. Nach allem Erlebten war es begreiflich, daß er aus den theils widerwärtigen, theils rauhen Berührungen mit dem wirklichen Leben wieder einmal Zuflucht in der dichterischen Thätigkeit suchte. Den Ausschlag aber gab wohl sein Handel mit der braunschweigischen Regierung. Im August 1778 schrieb er seinem Bruder hierüber: um auf Alles dabei gefaßt sein zu können, müsse er Geld haben, und da sei ihm in der vergangenen Nacht ein „närrischer Einfall“ gekommen. Schon „vor vielen Jahren“ hätte er ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine Art von Analogie mit seinen gegenwärtigen Streitigkeiten habe. Er verweist hierbei seinen Bruder auf die dritte Novelle in Boccaccio’s „Decameron“, zu welcher er „eine interessante Episode“ erfunden habe, und er schickte ihm zugleich eine Ankündigung des Stückes zu, um damit eine Subscription auf dasselbe zu veranstalten.

Es ist rührend und schmerzlich, zu sehen, wie die heimliche Geldnoth den stolzen Mann antrieb, die Dichtung sobald wie möglich zu vollenden, und wie später, als durch seines Bruders Vermittelung ihm von einem seiner Verehrer, dem selber nicht wohlhabenden jüdischen Kaufmanne Wessely, eine Summe vorgeschossen wurde, die stete Sorge an ihm nagte, daß die Subscription vielleicht jene Schuld nicht decken könnte.

Noch ehe er im Besitze des Geldes war, schrieb er (den 20. October) an Karl G. Lessing: „Ich besorge schon, daß auch auf diesem Wege (dem der Subscription), auf welchem so Viele etwas gemacht haben, ich nichts machen werde, wenn meine Freunde für mich nicht thätiger sind, als ich selbst. Aber wenn sie es auch sind, so ist vielleicht das Pferd verhungert, ehe der Hafer reif geworden.“ Zwei Wochen später plagt er sich wieder mit dem Gedanken, daß die Sorge, Geld zu schaffen ihn in seiner Arbeit sehr stören werde. Und nochmals, im Mai 1779, schreibt er bezüglich der Subscription an seinen Bruder: „Ich weiß weder, wie viel Subscribenten Du, noch wie viel Voß hat. Am Ende kann ja Voß nicht einmal so viel haben, daß nur die dreihundert Thaler an M. W. in Leipzig davon bezahlt werden können. Alsdann käme ich gut an! Denn ich habe an M. W. einen Wechsel darüber auf vier Monate ausgestellt, der mir sodann auf den Häls käme, ohne daß ich die geringste Anstalt deshalb gemacht hätte. Du glaubst nicht, wie mich das bekümmert, und es wäre ein Wunder, wenn man es meiner Arbeit nicht anmerkte, unter welcher Unruhe ich sie zusammenschreibe.“

Von den ungeheuren Schätzen, dem ägyptischen Tribute, womit er im letzten Acte des Stückes seinen geldbedürftigen Saladin bereicherte, konnte Lessing sich selbst nichts andichten. Das Geschäft übernahmen dann spätere Andere, welche ihm in verleumderischer Absicht tausend Ducaten andichteten, die er für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_006.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)