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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Zeugen, vornehmlich aber der Gondolier, der Messer Pietro gefahren, aussagten, daß er nur widerwillig in Vertheidigung seines Lebens zum Schwerte gegriffen und daß sein Gegner bei seinem Sprunge verunglückt sei; freilich konnte er sich nicht ebenso gut von der andern Anklage reinigen, die Tochter eines Patriciers gegen den Willen des Vaters geheirathet zu haben. Der hohe Rath verurtheilte ihn deshalb zu einer fünfjährigen Verbannung aus Venedig; Donna Violanta ward mit der Zustimmung ihres betrübten Vaters ihrem Gatten übergeben, und Beiden wurde die Stadt Treviso zum Aufenthalt angewiesen. Die Donna Contarini erhielt von dem Vorsitzenden des Raths eine strenge Verwarnung, die sie um so empfindlicher kränkte, da dieselbe bald genug bekannt und zum Stadtgespräch wurde. Donna Emilia verzieh man ihrer Jugend wegen. Am schlimmsten, wie er es denn auch verdient hatte, kam Fra Ambrogio bei dem Handel davon. Der Rath übergab ihn dem geistlichen Gericht zur Bestrafung, und der Patriarch ließ ihn für den Rest seines Lebens in die Pönitenz eines Klosters in Padua sperren.

Messer Francesco Venier tröstete sich nach der langen Kerkerhaft – denn der Proceß hatte mehrere Monate gedauert – in dem schönen Treviso mit seiner jungen Frau, um so mehr, als sie ihm nach Jahresfrist einen Sohn schenkte, der jetzt, Messer Gianpaolo Venier, mein gnädiger Herr und Gönner ist und im Rath und Kriegswesen dieser hochherrlichen Republik an hervorragender Stelle steht, wo ihn Gott nach lange erhalten möge. Sein Vater, den ich noch als ehrwürdigen Greis gekannt und verehrt, hat mir oft, besser und ausführlicher, als ich es hier gethan, die Geschichte seiner Liebe zu der Donna Violanta erzählt; so ist denn jedes Wort, das ich hier niedergeschrieben, der Wahrheit gemäß. Nun ruht er seit mehreren Jahren neben seiner geliebten Gattin, die ihm im Tode vorangegangen, unter den Marmorplatten der Rosenkranzcapelle in San Giovanni und Paolo.




Ein Wort am Grabe Karl Gutzkow’s.
Von Rudolf von Gottschall.


Karl Gutzkow ist gestorben. Das Gefühl dieses unersetzlichen Verlustes wird der deutschen Nation am lebhaftesten in’s Gedächtniß zurückrufen, was der Todte für sie gewirkt und geschaffen hat. Die deutsche Nation wird sich ernstlicher als je fragen müssen, ob sie schon bei Lebzeiten des Dichters die Ehrenschuld an ihn abgetragen hat, die er zu fordern berechtigt war. Mag immerhin der Gutzkow-Fonds, der 1864 nach dem Selbstmordversuch des Dichters gesammelt wurde, ein Beweis dafür sein, daß Gutzkow nicht zu den Vergessenen gehörte. Aber stand der Antheil, den die Nation ihm schenkte, entfernt in dem rechten Verhältniß zu seinem Verdienst?

Keineswegs! Wir leben in einer Zeit der literarischen Moden. Gutzkow ist nie Mode gewesen, wie die kleinen artigen Talente, die man jetzt zu Classikern aufzubauschen sucht; immer rüstig voran im Kampfgewühle der Literatur, immer den alten Schlendrian, den Rückfall in die Romantik, die geistlose Lyrik der Miniaturpoeten, die akademischen Studien der Formtalente ohne jede Tiefe und Eigenart der Weltanschauung, den ästhetischen Schwulst der Krafttitanen bekämpfend, hat er mit seinen Kritiken eine Drachensaat ausgestreut, aus der ihm geharnischte Gegner erwuchsen.

Seit jenen Zeiten, wo Wolfgang Menzel ihn dem Bundestage denuncirte und das moralische Verdammungsurtheil über ihn aussprach, bis zur gehässigen und oft boshaften „Grenzboten“-Kritik und den fortwährenden Angriffen der literarischen Gothaner, bis zu den Injurien, mit denen die Hebbelianer ihn überhäuften: welch eine Reihe der böswilligsten kritischen Angriffe, Herabsetzungen, Beleidigungen! Und dafür entschädigte ihn keine Huldigung, wie sie oft geringen Talenten zu Theil wurde, es giebt immer ein großes Publicum in Deutschland, welches mit Behagen zusieht, wenn ein Pustkuchen an Goethe’s Lorbeer zerrt, und welches gelegentlich den literarischen Gamins und Lotterbuben zujauchzt, wenn sie mit schnöden Geberden ein echtes und bewährtes Talent verhöhnen.

Außer dem Festessen, mit welchem Leipzigs Schiller-Verein im Bunde mit der deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Componisten im Jahre 1875 den Dichter ehrte, ist ihm seit langen Jahrzehnten keine öffentliche Huldigung zu Theil geworden. In dieser Zeit der Preisvertheilungen, in welcher die poëtae laureati dutzendweise herumlaufen, ist ihm von keiner Instanz in München, Berlin oder Wien jemals ein Preis zugekommen: er hatte es sich freilich verbeten in jenem glänzenden Artikel, in dem er die Alfred Timpe der Zukunft verherrlichte. Nicht einmal das Capitel des baierischen Maximilian-Ordens, das in den verlorensten Winkeln des Vaterlandes nach einem „tragfähigen“ Lyriker suchte, hat ihn dieser Auszeichnung würdig gefunden; man hat ihn bei Seite geschoben bei jeder Gelegenheit, wo öffentlicher Ruhm von Staatswegen oder durch akademische Commissionen ertheilt wurde; seine literarischen Gegner, einflußreich nicht durch ihre Leistungen, aber durch ihre Stellungen, haben auf der ganzen Linie triumphirt.

Und jetzt, wo er zum Abschluß seines Wirkens seine „Gesammelten Werke“ erscheinen ließ, jetzt, wo der Nation Gelegenheit geboten wurde, sich einer alten Schuld zu erinnern, es einem hervorragenden Autor am häuslichen Herde heimisch zu machen, jetzt verhielt sich unser Publicum zuwartend und ablehnend; wie dunkle Gerüchte gehen, hatte diese fleißig durchgearbeitete Ausgabe bisher keinen buchhändlerischen Erfolg. Noch ist es ist Deutschland nicht Ehrensache, die Werke der hervorragenden Schriftsteller in der Hausbibliothek zu besitzen – und doch sollte man meinen, daß ein Volk, welches auf seine Literatur etwas hält, sie nicht aus der Leihbibliothek bezieht und mindestens die Gesammtausgaben, das abgeschlossene Facit der Schöpfungen seiner großen Geister, als Privateigenthum zu besitzen den Ehrgeiz hat. Doch nein, wer nicht Mode war und noch nicht classisch ist, hat kein Recht auf solche Auszeichnung. Die Modeschriftsteller, auch wenn sie längst mit dem Pinsel Ming’s schreiben, wenn ihnen der Gott längst seine Mitwirkung entzogen und nur noch den erworbenen Ruhm gelassen hat, muß jede Dame auf ihrem Toilettentisch haben, mag die Mode auch noch so grausam sein und die schmerzlichste Langeweile über ihre zur Lectüre der Tagesgötzen verurtheilten Opfer verhängen; die Classiker, die bereits glücklich in den Hafen des Nachruhms eingelaufen sind, dürfen in den Privatbibliotheken nicht fehlen, aber die werdenden Classiker der Zukunft sind die Stiefkinder der Gegenwart.

Zu so trüben Betrachtungen und schweren Anklagen giebt gerade Gutzkow’s Tod besondere Veranlassung, denn gegen keinen Autor ist so ungerecht und undankbar vorgegangen worden, wie gegen ihn. Darf man sich da wundern über die krankhafte Gereiztheit des Dichters, von der selbst viele seiner Schriften angekränkelt waren, über die Geistesverwirrung, in die er einmal verfiel, sodaß er Hand an sich selbst legte, über den Verfolgungswahnsinn, der ihn längere Zeit erfaßt hatte? War er nicht ein Verfolgter? Bellte nicht hinter ihm eine literarische Meute, die den verschiedensten Racen und Mischgattungen angehörte, von dem zähnefletschenden Wolfshund bis zum kläffenden Bologneserhündchen? Darf man sich wundern, wenn er in seiner letzten Schrift: „Dionysius Longinus“, auf’s Höchste gereizt sich zur Wehr setzt und seinen Feind den Wolken zuschleudert, wenn er die glänzendsten Aperçus, die treffendste Kritik der Verirrungen unserer neuen Literatur in Manier und Schwulst durch die Heftigkeit beeinträchtigt, mit der er sich gegen seine literarischen Gegner wendet?

Es war eine innere Unruhe, die ihn von Stadt zu Stadt getrieben sein Leben lang; so war er auch zuletzt von Berlin nach Bregenz, von Bregenz nach dem Schlosse Waiblingen bei Heidelberg, von hier nach Sachsenhausen gezogen. Er selbst konnte nirgends Ruhe finden; er mußte ja daran zweifeln, daß ihm im Herzen seines Volkes eine sichere Stätte bereitet sei.

Und am Ufer des Mains, wo er seine ersten journalistischen Sporen sich verdiente, sollte die Unglücksnacht des 16. December ihn unserm Volke rauben – eine Unglücksnacht! Denn Gerüchte, daß er das Opfer eines schweren Unfalls geworden und im Rauch erstickt sei in seinem Krankenzimmer, gehen durch die Spalten der Zeitungen. Deutschland ist um einen großen Dichter ärmer geworden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_015.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)