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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

zu folgen, die der rücksichtslose Gatte im Heiligthume zu rauchen sich erkühnt. Sie brauchen auch nicht die gespenstischen weißen Fahnen alle vier Wochen herunter zu nehmen, um sie zu waschen. Lange wird der Gatte sich so wie so hier nicht aufhalten, denn die Stube ist kalt; sie wird nur zu Weihnachten geheizt. Und mit welchem Ofen! Kaum ist auf irgend einem Gebiete die Anspruchslosigkeit und der Ungeschmack größer, als auf dem der Oefen. Schwarze, rußige Eisenhaufen, oder spindeldürre, jedes Zierrathes entbehrende Kachelsäulen vertreten, namentlich in Mittel- und Süddeutschland, die Stelle künstlerisch aufgebauter Apparate, wie man sie allenfalls noch im Rheinlande findet, wo dieselben seltsamer Weise einen Theil des transportabeln Hausrathes bilden. Auch die Lichtspender zeichnen sich meist durch kahle prosaische, ungefällige Formen aus. Und doch ist eine Lampe mit lebendigem Fuße, der eine ganze Figur aus Bronzeguß oder auf kräftigem Sockel eine Karyatide bilden mag, nicht viel theurer, als der ewig wiederkehrende weiße Glasstengel.

Selbstverständlich darf in einer Putzstube der Bilderschmuck nicht fehlen. Wenn nur eine Spur von Kunstgeschmack in einem Hause ist, an diesem Punkte müßte sie sich doch zeigen. Aber wie unverantwortlich wird hier gesündigt! Es ist eine unbedingte Geschmacklosigkeit, Oeldruckbilder neben Oelgemälde, Kupferstiche und Photographie durch einander aufzuhängen. Photographien gehören überhaupt nicht an die Wände, sondern in die Mappen, um vorkommenden Falls hervorgeholt und betrachtet zu werden. Es ist ein nichtswürdiger Anblick, die ganze Familie, vom Großvater bis zum jüngsten Enkel, in unnatürlich gespreizten Stellungen photographirt, gruppenweise über dem Staatssopha aufgehängt zu sehen. Und dabei nimmt man es gar nicht übel, runde, ovale und viereckige Rahmen dicht neben einander abwechseln zu lassen. Daß die Gegenstände der bildlichen Darstellungen in einem und demselben Raume nicht völlig verschiedenartige sein dürfen, sollte kaum zu erwähnen nöthig sein. Ein Christuskopf von Guido Reni und die geschmückte Braut des Herrn Sohnes als Pendants sind ein Unding. Ich habe im Staatszimmer eines Gutsbesitzers erstens das Conterfei der Großmutter in Daguerrotypausführung, zweitens ein Preisdiplom auf den stärksten Zuchtstier einer Viehausstellung unter Glas mit Goldpapierborde, drittens eine büßende Magdalena, Stahlstich in braunpolirtem Rahmen, friedlich neben einander prangen sehen.

Aber unsere Predigt über die „Kunst im Hause“ kann nicht umhin, noch einen Schritt über die Einrichtung hinaus zu thun. Ich rechne zu meinem Thema die Kleidung, ich rechne dazu die geistige Beschäftigung mit der Kunst im Familienkreise.

Gewiß ist es richtig, die Bedeutung und den Werth eines Menschen nicht nach seiner äußeren Erscheinung, sondern nach seiner Gesinnung und sittlichen Beschaffenheit zu beurtheilen. Allein das Gewand steht doch für das Gefühl in einem gewissen, fast möchte ich sagen organischen Zusammenhange mit der Person, die es trägt. Wenn von Kleidern die Rede ist, lassen wir billiger Weise jenem Geschlecht den Vortritt, dem mit der Anmuth und Schönheit zugleich die Gabe und Aufgabe zuertheilt worden, die Reize der körperliche Erscheinung zu verhüllen oder durch Schmuck zu vermehrter Geltung zu bringen. Da ist nun ein großer Unterschied zwischen den Frauen im Hause und den Frauen außerhalb des Hauses. Die Frauen im Hause sind, um von gut bürgerlichen Verhältnissen zu reden, nicht selten Muster von Einfachheit und Anspruchslosigkeit, um nicht zu sagen von Nachlässigkeit und Nonchalance. Altmodische, vertragene Kleider, dicke formlose Tücher, massive Jacken, vertrackte Hauben, die von der Nachtmütze nur den Namen verleugnen, darunter ungeordnetes Haar, mit naiver Beiseitelassung der nur für die fremden Augen bestimmten Extra-Flechten und -Zöpfe, – in diesem Aufzuge bewegen sich vielfach die lieben Frauen den größten Theil des Vormittags im Hause umher. Für wen sollten sie sich auch schmücken, da sie doch Niemand zu Gesicht bekommt als – der Mann und die Kinder? Ihr irrt euch, ihr liebe Frauen, wenn ihr glaubt, für das Haus sei das Schlechteste eben gut genug. Wollt ihr stets anziehend sein, so müßt ihr auch stets angezogen sein, nämlich sorgfältig und gut angezogen, ohne Prunk, aber mit Geschmack, ohne Ballast, aber mit dem nothwendigen Schmuck. Doch wir schweigen schon, denn ihr vertröstet uns auf den Abend: „wir werden Gäste bei uns sehen“, und ihr werdet, wie die übrigen Damen, im allermodernsten Gesellschaftsanzuge euch präsentiren.

Es mag trivial erscheinen, wenn Männer über die Mode räsonniren, von der sie nach dem einstimmigen Beschlusse aller Frauen nichts verstehen. Es mag richtig sein, daß der männliche Anzug gleichfalls Angriffspunkte genug bietet – ich bin kein Vertheidiger des Fracks und des Cylinders, und der Mann thut am Ende auch nichts weiter im Interesse eines geschmackvollen Anzugs, als daß er dem Schneider „einen modernen Schnitt“ empfiehlt. Aber die stabile Form unserer Anzüge läßt kaum eine Wahl, um den Geschmack walten zu lassen, während die Veränderlichkeit des weiblichen Anzugs eine persönliche Verantwortlichkeit für den Ungeschmack mit sich führt. Und das behaupte ich, allen Pariser Modistinnen und allen Berliner Modezeitungen zum Trotz: die Kunst hat bei dem jüngsten Kinde der Mode nicht Gevatter gestanden. Den unkleidsamen, dreisten, stoffvergeudenden Reifrock sind wir glücklich los geworden, aber dafür sind wir aus dem Regen in die Traufe gekommen. Da thut man, als wolle man vor allen Dingen Stoff ersparen, und schneidet den abgeschrägten Rock so buchstäblich auf den Leib zu, daß derselbe mit unübertrefflicher Plastik dasteht, was man aber auf diese Weise erübrigt hat, das hängt man in Falbeln und Fetzen, in Falten und Streifen, in Frisuren und allerlei Schnickschnack dem eingeengten Kleide auf. Zu einer freien Bewegung, zu einem elastischen Gange, zu einem schönen Faltenwurf des Gewandes läßt die Fußangel, welche die Mode den armen Geschöpfen anlegt, es kaum noch kommen. Aber geduldig macht es die Eine der Andern nach, denn so will es die Mode. Ihr blindlings zu gehorchen, ist die erste Pflicht des Weibes – was fragt sie nach Schönheit und Kunst? Haltet euren Frauen ernsthafte Vorlesungen über die Häßlichkeit und Unnatur dieser Watschelei, verspottet sie durch Caricatur in Bild und Wort, sie werden lächeln oder zürnen und – fortfahren, sich mit sclavischer Selbsterniedrigung zu kleiden, wie die Mode es ihnen vorschreibt.

Dürfen wir nach dem unerschrockenen Aussprechen dieser Ketzereien noch wagen, Zeugen der geselligen Unterhaltung der Hausbewohner und ihrer Gäste zu sein? Nur noch ein Wort – eben über diese Unterhaltung! Die Kunst, behaupten wir, pflegt an ihr einen mehr als bescheidenen Antheil zu nehmen. Wehe, wenn die unvermeidlichen Photographie-Albums vorgezeigt und von kundigem Munde erklärt werden! Wer kennt die braven Tanten, und wen interessiren die pausbäckigen Neffen? Und doch – wie viel Gelegenheit bietet sich bei dem freundschaftlichen Verkehr mit den bekannteren Gästen des Hauses, auch die Kleinodien der Kunst mit prüfendem und beglücktem Auge zu betrachten! Gerade die Photographie ermöglicht es, Darstellungen aller Sehenswürdigkeiten der Welt bequem von Hand zu Hand gehen zu lassen, um sie in der Mappe bis zur nächsten Veranlassung aufzubewahren. Wir haben eine Schweizreise gemacht, und es gewährt uns ein eigentümliches Vergnügen, die Ufer des Vierwaldstädter Sees, das schneebedeckte Haupt der Jungfrau, den Rhonegletscher im Bilde abermals zu begrüßen. Wir wollen nach Italien reisen – wie dürften wir wagen, den geweihten Boden zu betreten, ohne vorher gewisse vorbereitende Studien gemacht zu haben? Glücklicher Weise haben wir in dieser Beziehung einen höchst erfreulichen Fortschritt in der Vervielfältigung der Kunstwerke zu verzeichnen. Unsere besseren illustrirten Zeitschriften überbieten sich in der Wiedergabe von Bauwerken, Sculpturen und Gemälden. Die Lust, unsere große Dichter zu lesen, Goethe, Schiller, Shakespeare zu täglichen Gästen unseres Hauses zu machen, hat durch die illustrirten Ausgaben der letzten Jahre einen neuen Antrieb erhalten. Wie kann die Kunst im Hause leichter und nutzbringender gepflegt werden, als durch „Reinecke Fuchs“, „Hermann und Dorothea“, Shakespeare’s Dramen u. s. f. in lebendigen Gestalten?

Aber wird denn wirklich die Kunst im Hause ganz und gar vernachlässigt? Eine Kunst wenigstens läßt sich fast in jedem Hause vernehmen, sie findet überall bereite Hände und offene Ohren: die Musik. Aber was für Musik? In neunundneunzig von hundert Fällen geht dieselbe nicht über Clavierspiel und etwas Gesang der Töchter hinaus. Wie mangelhaft die Durchschnittsleistungen derselben und wie zweifelhaft das Vergnügen sei, sie anhören zu müssen, ist ein öffentliches Geheimniß. Diese Stümperei und Klimperei – die auch zu den Ungezogenheiten der Mode gehört – ist eine Calamität ersten Ranges für unser gesellschaftliches Leben geworden. Kaum ist es gelungen, eine leidlich vernünftige Unterhaltung am Familientische zu Stande zu bringen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_019.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)