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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 2.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.


2.

Wenn man in der Stadt von einem angenehmen Hause, von liebenswürdigen Wirthen, wenn man von einem glücklichen Ehepaare sprechen wollte, dann nannte man den Assessor von Rechting und seine Frau. Die gesellschaftliche Stellung des jungen Paares ward durch die Versetzung des Assessors in das Ministerium des Aeußeren gehoben. Es war keinerlei Gunst dabei maßgebend gewesen, nur das Verdienst des jungen Beamten, seine eminente Befähigung, die verwickeltsten Fälle durch seinen Scharfsinn klar zu legen. Er hatte umfassende Studien im Bereiche der Rechtsverhältnisse anderer Nationen gemacht, und diese wußte man an maßgebender Stelle für internationale Beziehungen gebührendermaßen zu verwerthen. Er wurde zu den wichtigsten Berathungen gezogen. Seine Bedeutung auf diesem Gebiete war eine solche, daß sie selbst von seinen Collegen neidlos anerkannt wurde. Sein unerschütterliches Rechtsbewußtsein machte das Urtheil unschlüssig, ob er seinen Beruf nach seinem Namen gewählt hatte, oder ob dieser Name die Richtung seines Geistes von Jugend auf mit vollem Bewußtsein bestimmt hatte, sodaß er zum geistigen Gepräge der Persönlichkeit geworden war. Er galt unter seinen Collegen für Einen, der Carrière machen würde.

Der Neid pflegt den Schritten solcher von der Natur Bevorzugten gerade nicht ferne zu bleiben. Man macht ihnen von Seite der minder günstig Situirten in der cordialsten Weise den Hof; man schüttelt ihnen biedermännisch die Hand: man ißt bei ihren Diners und trinkt ihre Weine; man macht ihren Frauen, wenn sie das erlauben, die Cour; man amüsirt sich bei ihnen vortrefflich, wäre jedoch gar nicht so tief unglücklich, wenn man des andern Morgens erführe, daß der Diener in dem Schlafzimmer der lieben Freunde die Ofenklappe zu unrechter Zeit geschlossen, und daß der gastfreie College im Bette entseelt gefunden worden ist. Rechting gegenüber wurden derartige fromme Wünsche wahrhaftig nicht laut. Seine glückliche Natur oder, wenn wir es noch gerechter bezeichnen wollen, sein offenes und warmes Herz, seine innere Wahrhaftigkeit, seine Bescheidenheit und sein tiefes Wohlwollen für Jedermann, endlich die fast kindliche Unbefangenheit seines Gemüths, die er trotz seiner reichen und nicht immer sehr frohen Amtserfahrungen zu bewahren so glücklich war, entwaffneten selbst den grinsenden Gesellen, der an jedes wahre Verdienst seine giftgrüne Patina anzusetzen versucht. Rechting’s ältere wie jüngere Collegen waren ihm gleichermaßen zugethan. Er selbst besaß kein Vermögen; ein kleines Grundstück in einer der Vorstädte konnte man kaum unter den Begriff eines solchen fassen. Mit dem Reichthum seiner Frau, welche sehr lebhafte gesellige Neigungen besaß, war es ihm möglich, den hohen gesellschaftlichen Ansprüchen einer großen Stadt gerecht zu werden, das junge Ehepaar hatte sein Haus zu einem Sammelpunkt für einen weiten geselligen Kreis geschaffen. Die älteren Geheimräthe und deren Frauen und Töchter, auf knappe Besoldungen angewiesen, wünschten nichts Sehnlicheres, als daß mehrere solcher Rechting’s in’s Ministerium berufen würden. Bei Rechting’s war jede Woche „etwas los“, Diner oder Ball oder eine Theegesellschaft; man musicirte; man spielte Theater, und stets war es die Frau vom Hause, die als das bewegende Element der Gesellschaften erschien. Nichts fehlte dem jungen Ehepaare, nichts zum vollkommenen Glücke.

Eines Tages stand Erich niedergebeugt an einer Wiege und belauschte mit pochendem Herzen die Athemzüge eines jungen Wesens, das da im ersten Erdenschlummer vor ihm lag. Es athmete und athmete wieder – es lebte, es war der leibgewordene Schlag seines Herzens – es war sein Kind. Und dann zog er die blauseidene Gardine des Bettchens wieder zu und schlich sich auf den Fußspitzen an ein anderes Lager im dunkel verhangenen Zimmer und lauschte auch hier wieder. „Sie schläft,“ sagte er für sich. Aber dann bewegten sich zwei Arme in weißen Hüllen und schlangen sich um ihn. Nun ein Laut, als ob Lippe auf Lippe sich drückte – „Doris!” – „Erich!“ ging es wie warmer Athem dahin.

„Bist Du zufrieden?“ fragte eine leise Stimme.

„Nein,“ antwortete er, „denn ich kann dich vor diesen dunklen Vorhängen nicht sehen, und jetzt wüßte ich, daß ich die allerschönste Frau habe; daß es die allerbeste sei, das wußte ich längst.“

„Du hättest wohl lieber einen Jungen gewünscht als ein Mädchen?“

„Still, still, mein Lieb! An Gottesgaben mäkelt man nicht; die nimmt man dankbar hin.“

„Sieht es Dir oder mir ähnlich, Erich?“

„Ich möchte, daß es Dein Ebenbild wäre, Doris.“

„Nein, nein, Deines, Herzensmann!“ entgegnete Doris.

„Aber sprich nicht mehr, mein Herz! Du strengst Dich zu sehr an; ich verbiete Dir jetzt zu sprechen.“

„Ja, Erich – aber nur noch eine einzige Frage: hast Du mich lieb?“

Keine Antwort, aber wieder ein Laut wie von Küssen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_021.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)