Seite:Die Gartenlaube (1879) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wenn das Geräusch des Wagens sich hören ließ. Nie, auch im Scherze nicht, und selbst nicht, wenn die Männer allein waren, kam ein Wort über Lideman’s Lippen, welches auf seinen sittlichen Charakter irgend ein zweideutiges Licht hätte werfen können, oder das nicht mit seinem übrigen Verhalten im Einklange gewesen wäre.

So kannte ihn das Rechting’sche Paar, so kannte ihn die ganze Stadt, und so konnte die Intimität, in die er sich zu Rechting’s zu versetzen gewußt hatte, auch nicht auffallen.

Eines Abends war Doris mit dem Präsidenten allein, wie das sehr oft geschah. Der Assessor kam häufig spät Abends aus dem Bureau; heute mußte er im Auftrage des Ministers einer Abendsitzung in der Kammer beiwohnen und war bis zur Theestunde noch nicht zurück.

„Wo nur mein Mann bleibt?“ fragte die junge Frau.

„Vermissen Sie ihn so sehr, gnädigste Frau?“

„Welche Frage, verehrter Freund!“

Dabei ging ein fast vorwurfsvoller Blick nach Lideman hinüber, welcher diese Worte an die junge Frau gerichtet hatte. Es lag ein Ton wenn auch nur leichter Frivolität in diesen wenigen Worten. Doris empfand sie wohl, und früher hatte er sich Derartiges nie erlaubt. Dann schwiegen Beide, Giacomo, der Kakadu, rumorte in seinem messingenen Bauer. Die Bemerkung Doris’, daß diese Thiere gleich den Kindern am unartigsten sind, wenn fremde Leute da sind, brach das Schweigen.

„Ich habe heute einen unglücklichen Abend,“ bemerkte Lideman.

„Warum, Herr Präsident?“

„Weil ich sehen muß, daß ich Ihnen doch nur ein Fremder geblieben bin.“

„Wer sagt Ihnen das, Herr Präsident?“

„Ihre eigenen Worte, gnädigste Frau.“

„So war es nicht gemeint, mein Freund,“ versetzte Doris. Sie wollte ihm die Hand reichen mit einer Bewegung, die einer Abbitte gleich kam; sie führte diese jedoch nicht aus. Ein Lachkrampf hatte sie schier erfaßt. Giacomo hatte sich in die Conversation gemischt und gerufen: „Spitzbube!“

Lideman fuhr von seinem Sitzplatz erschrocken auf. Als er aber das Lachen der Frau von Rechting hörte, stimmte er mit ein.

„Giacomo, Du bist doch zu unartig!“ rief Doris.

„Ebenso wie ich ungeschickt war,“ suchte der Präsident das Gespräch wieder zurückzulenken. „Meine Frage von vorhin war doch sehr ungeschickt – vielleicht gedankenloser, als es scheinen mochte. Wie kann man, frage ich mich jetzt, ein solches Wort an eine junge Frau richten, der jeder Augenblick, der sie nicht mit dem Gatten vereint, wie aus ihrem Dasein gestohlen – verloren erscheint? Ich müßte nicht Zeuge Ihres Familienglückes geworden sein – nicht die tiefe Liebe ergründet haben, die Sie mit Ihrem Herrn Gemahl vereint. Und nun eine solche Rede! Werden Sie mir darum auch nicht gram sein – gnädigste Frau – wirklich nicht?“

Die großen dunklen Augen der jungen Frau sahen ihn darauf hin voll und freundlich an.

„Da Sie so hübsche Abbitte leisten, soll es Ihnen auch verziehen sein – von ganzem Herzen. Verhehlen kann ich Ihnen allerdings nicht, daß Ihre Frage mich ganz eigenthümlich berührt hat – um den gelindesten Ausdruck zu gebrauchen.“

„Eine Schonung, die ich nicht verdiene und die mich darüber doch das härteste Wort empfinden läßt, wenn Sie es auch nicht aussprechen,“ führte er die Rede weiter. „Wenn es aber die Geheimräthin gehört hätte! Morgen würde es durch die ganze Stadt schwirren.“

„Die gute Geheimräthin!“ versetzte lachend die junge Frau. „Was mag ihr diesen Abend begegnet sein, daß sie uns den Genuß ihrer Gegenwart entbehren läßt? Wo bleibt sie?“

„Sie wird ihrem Manne zu Hause behülflich sein müssen, das Pulver zu erfinden.“

„Sie sind ein boshafter Mensch. Jedenfalls sollten sie nicht vergessen, daß Wandelt’s ebenso gut unsere Freunde sind, wie Sie, und daß ich nicht gern Schlimmes über diese höre – auch wenn das nur im Scherze gemeint sein sollte. Eine derartige Malice ist viel gefährlicher, als eine ernste üble Nachrede. Diese kann man widerlegen, an jener erfreut man sich, mehr an der pikanten Form, als an dem Inhalt, der aber denn doch durch diese Form wirkt. Nun sollte ich Ihnen keinen Thee geben.“

Lideman legte beide Arme auf seine Brust, machte ein reumüthiges Gesicht und dazu eine Bewegung als ob er Buße thun wollte.

„Die Geheimräthin!“ wiederholte Doris wie in Gedanken für sich. Es lag ihr daran, ihres Gesellschafters Aufmerksamkeit auf deren Person zu fixiren. „Ich wollte eigentlich mit Ihnen schon längst über dieses Thema sprechen, Herr Präsident, und da wir gerade allein sind – ahnen Sie wohl, warum Frau von Wandelt uns seit neuester Zeit so oft mit ihrer Anwesenheit beehrt, namentlich in der Stunde, wo sie weiß, daß Sie hier zu treffen sind?“

Lideman spielte den Unbefangenen.

„Wie sollte ich? Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich zu Ihren Andeutungen sagen soll, gnädigste Frau.“

„Ach, Sie blöder Jüngling! Sie –“ spöttelte Doris. „Ich an Ihrer Stelle hätte wenigstens vorsichtiger gehandelt –“

„Sie sprechen mir in Räthseln, gnädigste Frau.“

„Verstellen Sie sich doch nur nicht! Sie wissen ebenso gut wie ich, daß Sie uns – verstehen Sie mich aber diesmal recht! – daß Sie uns sehr angenehm sind, und ich und mein Mann, wir freuen uns Ihrer Gesellschaft – aber die Geheimräthin –“

Doris stockte und um ihre Verlegenheit zu verbergen, fragte sie Lideman, ob er noch Thee habe.

„O, ich danke. Aber ich möchte Sie bitten – ich begreife nicht, was Sie mit der Geheimräthin sagen wollen.“

„Ich wollte sagen, sie hat Sie bei uns eingeführt. Sie hat damit gewissermaßen Rechte auf Sie erworben, und statt ihr dafür dankbar zu sein, vernachlässigen Sie das Haus des Geheimraths in einer Weise, die in ihren Folgen auf uns zurückwirken muß. Und wenn man davon zu sprechen anfinge –“ Doris vollendete nicht; sie ließ das Andere errathen.

Lideman hatte sich rasch erhoben; seine dunklen Augen blitzten plötzlich auf. Wie tiefes Athemholen ging es durch sein ganzes Wesen, und unter dem gelben Teint sah man den Blutstrom. Er schien an dem Ziele, auf das er seit lange losgesteuert hatte, und da die junge Frau selbst das Thema berührt hatte –

Schnell beugte sie sich jetzt nach der Spirituslampe, um die Flamme auszublasen.

„Diese Flamme – sie wollte plötzlich auflodern und hätte hier Alles überströmt,“ bemerkte sie zu Lideman, „wenn ich nicht mit kurzem Entschusse sie so schnell erstickt hätte.“ „Nicht alle lassen sich so leicht löschen wie diese. Und sehen Sie – sie lodert nur um so jäher und höher auf.“

Es war auch so. Der ganze Theetisch war eine Flamme. Lideman half der jungen Frau löschen. Dann nahm die Unterhaltung wieder einen ruhigeren Charakter an.

„Warum haben Sie auch ein so reizendes Daheim, gnädige Frau, daß man sich hier so wohl wie an keinem andern Orte der Welt fühlen muß!“

„Nun habe ich Sie, wo ich Sie haben wollte,“ versetzte lachend die junge Frau. „Da ein Daheim so großen Reiz auf Sie übt, warum machen Sie nicht die respectabelste aller Gründungen und gründen sich einen eigenen Herd? Sie wissen, nach jenem französischen Worte ist das Leben eines Junggesellen ein glänzendes Dejeuner, ein passables Diner und ein erbärmliches Souper. Die Zeit zum Souper, Herr Präsident, rückt heran.“

„Wirklich schon? Das ist eine schmerzliche Wahrnehmung, namentlich, wenn sie Einem von einer schönen Frau beigebracht wird, der gegenüber man sich immer noch in der Illusion befindet, daß man beim glänzenden Dejeuner säße.“

„Mag man uns Frauen noch so sehr tadeln und hinter die Männer zurücksetzen – ein Gutes haben wir vor diesen weit voraus, daß wir, wenn wir selbst durch eine Ehe glücklich geworden sind, von dem lebhaften Drange beseelt sind, auch Andere dieses Glückes theilhaftig werden zu lassen. Das thun die Männer niemals.“

„Glauben Sie?“

„Nein, nein! Sie thun gerade das Gegentheil, sie warnen einander vor der Ehe, wenn sie durch diese auch noch so glücklich geworden sind. Es entspringt das aus einer ganz groben Eitelkeit, weil sie wähnen, nur ihrer eigenen Vollkommenheit sei der glückliche Erfolg zu danken; als ob ihre unübertreffliche Persönlichkeit kein zweites Mal in der Welt vorhanden sein könne, um in gleichem Falle bei einem andern Menschenpaare in der Ehe ein ähnliches Resultat hervorzubringen. Aber ich schweife von meinem Ziele ab. Ich wollte Ihnen sagen, daß ich eine Partie für Sie wüßte.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_023.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)