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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

mit dem Augenblicke entflieht, ihm aber in der Erinnerung seiner Zeitgenossen treu geblieben ist. Er spielte nur jugendlich komische Rollen – auch nicht gerade ein sogenanntes erstes Fach, aber jede Rolle wurde durch seine Verkörperung gehoben; seine Persönlichkeit war erstes Fach. So ist die Figur des Benedix’schen Doctor Wespe durch ihn für alle Nachspieler ein Typus geworden, und mehr oder weniger spielen diese in der nur durch Schneider’s Auffassung wirksamen Gestalt eigentlich alle wie Louis Schneider.

Bei einer derartig veranlagten Künstlernatur konnte das Interesse an seiner früheren Thätigkeit niemals völlig erlöschen, obgleich er im Aeußern dem Theatertreiben abgewandt blieb. Im intimeren Kreise pflegte er gern Erlebnisse aus seinem früheren Berufe zu erzählen, Urtheile über künstlerische Persönlichkeiten seiner Zeit zu geben, Ansichten über Theaterstücke und Bühnendichter auszutauschen. Und welche reiche Erfahrung stand ihm hierbei zu Gebote – nicht nur aus Deutschland, aus London, Paris, Petersburg, in welchen Städten er den Bühnen ein aufmerksames Studium zugewandt hatte! Vielleicht sah er manche Meisterwerke der deutschen und fremden Bühnenliteratur mit zu realistischem Auge an, ich meine zu sehr vom Standpunkte des praktischen Regisseurs. Delius, Ulrici oder Professor Werder würden gegenüber dem Schneider’schen Urtheil in Betreff des berühmten Hamlet-Monologs „Sein oder nicht sein“, von dem er die Ansicht hatte, daß ihn der Dichter nur aus Rücksicht für die Rolle des Schauspielers geschrieben habe, daß an dieser Stelle gerade nach dem Gang der Handlung gar keine innere Nöthigung zu einem Monologe, das heißt zu einer im Gedanken vorbereiteten Handlung vorliegt – dieser Ansicht Schneider’s gegenüber würde die Gemeinde der Shakespeare-Weisen ihn in Acht und Aberacht erklärt haben, und Professor Leo in Berlin hätte sich bereit erklärt, ihm das Document darüber in Potsdam an das Thor zu heften.

Sein Interesse für die Bühne bethätigte Schneider in der Bemühung für das Zustandekommen einer Altersversorgungsanstalt für Bühnenangehörige; er trat für dieselbe mit aller Kraft seines schneidigen Wortes ein; sie war sein Werk; er hatte sie auf die Eigenschaft getauft, deren Name in großen goldnen Buchstaben über seiner Bibliothek stand: Perseverance“; damit hatte er seinen Weg gemacht; damit wäre auch die Anstalt gediehen, hätten nicht Unverstand und Böswillen das Werk im Keime zerstört. Und wenn kein Hülfesuchender ohne eine Gabe von ihm ging, so bedachte er „einen Collegen“ wenigstens doppelt.

Der Komiker mit der sprudelnden Laune war im Leben ein sehr ernsthafter Mann, auch da er noch der Bühne angehörte. Er war ein Mann strenger Zucht und Ordnung, für sich wie für Andere – in Geld-, in Vertrauenssachen, im Wandel, in Allem. Wie er mit dem Gelde hauszuhalten verstand, so mit der Zeit. Er war kein Mann deutscher Bierseligkeit; er trank auch fast niemals Wein. „Vom Trinken,“ pflegte er zu sagen, „kommt aller Streit, aller Unfrieden, die Mehrzahl des Ungemachs, und die größten gesungenen Lügen sind die Trinklieder.“ Ebenso wenig war er ein Freund der Salons und der zwischen Fauteuils sich hinziehenden Langeweile. Es war sehr schwer, seiner einmal zu einem Diner habhaft zu werden. Sein Arbeitszimmer war ihm Alles – er war ein Fanatiker der Arbeit.

Sein Schreibzimmer war ein saalartiger Raum, dessen Wände mit rings von Büchern gefüllten Repositorien bedeckt waren. Gar viele Bände waren seine eigenen Geistesproducte. Höher an den Wänden hingen die Bilder von hohen Personen, Geschenke von ihnen selbst oder von Solchen, die mit ihm einen Theil seines Lebensweges gegangen waren oder mit ihm gewirkt hatten. Alle Tische waren mit Büchern bedeckt; überall die neuesten und interessantesten Erscheinungen der deutschen Literatur und der aller Culturnationen. In einem Wandschranke standen geordnet die Manuscripte, welche er zum Erscheinen nach seinem Tode bestimmt hatte. In einem größeren Folianten stak eine Adlerfeder, mit welcher sich Jeder einzeichnen mußte, der ein Buch von ihm entlieh; anders gab er keines weg. Sein mit grünem Tuch überzogener Schreibtisch war ein Reliquienort von Erinnerungen an berühmte oder ihm nahestehende Persönlichkeiten. Die Bronzebüste des Kaisers, ein Geschenk dessen, den es darstellte, nahm den Ehrenplatz ein. Von diesem Schreibtische aus hatte er den Blick hinunter in den Garten, einen der bestgepflegten in ganz Potsdam, was viel besagen will; hier jätete, grub, band, beschnitt er mit der Liebe und Zärtlichkeit, mit der eine Mutter ihr Kind pflegt. Wenn man ihn an seinem Schreibtische im Schlafrocke sitzend fand, so war das kein gutes Zeichen für seine Gesundheit. Es geschah auch selten. Er pflegte stets in weißer Binde und schwarzem Anzuge bei der Arbeit zu sitzen, und wenn man eintrat und wegen der Störung um Entschuldigung bat, so war seine Antwort: „Eine Störung sind Sie immer, aber eine angenehme.“

Die Hülfswissenschaften zur Geschichte des brandenburgisch-preußischen Hauses und der preußischen Armee waren seine Specialität – und der künftige Geschichtsschreiber wird ihm manche Arbeit danken. In dem traulichen Eckchen seines Arbeitszimmers machte er in alten Acten und Fascikeln seine Archivstudien; von hier aus war er bemüht, für die Vereine für die Geschichte Potsdams und Berlins, deren Gründer er war, immer neues Material zu schaffen; von hier aus redigirte er das populäre Blatt für die Armee: „Der Soldatenfreund“, von dem bereits die stattliche Zahl von sechsundvierzig Bänden auf einem der Bücherregale stand; hier betrieb er eine emsige journalistische Thätigkeit und namentlich eine weit verbreitete Correspondenz, die sogar bis in’s Winterpalais in St. Petersburg, in das Cabinet Alexander’s des Zweiten, ging. Die Correspondenz mit dem Kaiser aller Reußen geschah mit Vorwissen Kaiser Wilhelm’s. Wenn Schneider in dieser seiner Stellung je einen politischen Einfluß geübt hat, so war diesem zu einem gewissen Theile die Aufrechthaltung der guten Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg zu danken. Mehr darüber zu sagen, würde seinem discreten Wesen widersprechen. Er war in Petersburg im Cabinet des Kaisers nicht weniger gern gesehen und mit Vertrauen beehrt, als im Palais zu Berlin, und er begnügte sich vollständig mit dieser Stellung, die, je unscheinbarer nach außen, vielleicht um so einflußreicher war. Er wollte kein Amt, keinen Rang, er wollte aber auch keines Andern Untergebener sein, als seines Kaisers.

Eines Tages zeigte ihm Kaiser Nicolaus in einem Exercirhause zu St. Petersburg ein Regiment seiner Garden und forderte ihn, der die russische Armee so gut kannte wie die preußische, zuletzt auf, mit ihm die Front desselben hinabzugehen. Schneider weigerte sich; der Monarch forderte ihn noch einmal auf – mit demselben Resultat, sodaß Nicolaus den Grund seiner Weigerung zu wissen verlangte. Mit dem ihm eigenen Freimuth erklärte Schneider dem Kaiser, daß, so auszeichnend diese Aufforderung für ihn sei, sie doch seinem inneren Gefühle widerspreche, und gegen dieses könne und würde er niemals etwas thun. Mit andern Worten wollte er dem Kaiser sagen: „Das schickt sich für einen Mann meiner Stellung nicht.“ Die Weigerung hat ihm in der Schätzung des Kaisers vielleicht mehr genützt, als es die Erfüllung des Verlangens gethan haben würde, das in einem Augenblicke guter Laune gestellt und später vielleicht von dem Kaiser selbst für unstatthaft erkannt wurde. So fein, so maßvoll wußte der Mann seine Stellung aufzufassen.

Die Memoiren, die Schneider hinterlassen hat, werden uns die interessantesten Dinge erzählen, namentlich von dem Tage an, wo er in die Nähe des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten gezogen wurde. „Mein College Schneider“ pflegte Alexander von Humboldt zu sagen; damit wollte er andeuten, daß sie Beide die gewohnte Umgebung des Königs Abends in den Gemächern von Sanssouci bildeten. Schneider las, und Alexander von Humboldt sprach. Dieses Verhältniß zum Könige dauerte zehn Jahre. Jeden Abend trat der Lector mit seiner Mappe, in der sich die neuesten Erscheinungen der Literatur befanden, in die Appartements von Sanssouci oder des Schlosses von Berlin. Der König zeichnete, die Königin machte Handarbeiten. Was der Lector von seinem bescheidenen Tischchen aus da Alles gesehen, gehört, beobachtet und erfahren, das werden wir in seinen Memoiren vielleicht nicht Alles verzeichnet finden – eines Vertrauensbruches wäre Schneider in der Treue seines Herzens und Charakters niemals fähig gewesen –, aber was wir von ihm aus dieser Zeit hören werden, das wird wahr sein, das wird Material für die Geschichtsschreibung sein.

Die Abende von Sanssouci verwandelten sich unter dem jetzigen Könige und Kaiser in die Morgen der Sonnabende im Berliner Palais oder auf Babelsberg. Schneider hat den König auf seinen Feldzügen 1866 und 1870 bis 1871 begleitet; er war auch oft auf Reisen mit ihm, und während des Aufenthaltes des Kaisers in Wiesbaden war er in dessen Nähe. Seinen letzten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_029.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)