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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Phantasie uns hinterlassen haben. Die Nachahmung, die Herstellung und Vervielfältigung derselben geschieht in unseren Tagen in solcher Vollkommenheit, daß das Nachgeahmte fast das Original übertrifft. Nicht Jedermann ist so reich, um sich in den Besitz von Originalen zu setzen, aber jeder Mensch, wenn auch nur in mittlerer Lebensstellung, kann sich vermöge eines gebildeten und geläuterten Kunstgeschmackes für seine Umgebung das Schönste auswählen, was das Menschenauge erschaut und die Menschenhand ausgeführt hat.

Kurz vor den letzten Weihnachtsfeiertagen war ich in Nürnberg. An einem Schaufenster fesselte mich eine Photographie, nach welcher beifolgender Holzschnitt gefertigt ist. Das Original ist ein Oelbild, welches der Hofrath Fr. C. Mayer, königlicher Professor an der Kunstgewerbeschule zu Nürnberg, im Jahre 1869 gemalt hat. Es stellt ein Nürnberger Patricier-Haus dar, aus der Zeit, wo die gothischen Formen mit der mittelalterlichen Welt bereits im Absterben begriffen waren und sich mit Formen der antiken Culturwelt mischten, welche bald genug die Alleinherrschaft errangen und den Stil des Humanismus – die Renaissance brachten. Für die Zeit, in der es entstanden, von 1533 bis 1544, war es ein Prachtbau, weil ganz in Sandstein ausgeführt, während im Mittelalter und selbst in dem prächtigen und reichen Nürnberg die Wohnhäuser zumeist aus Fachwerk gebaut waren. Die damaligen Häuser hatten nach außen, nach der Straße zu, wenig Fenster, diese klein mit runden, stark verbleiten Fensterscheiben, ein Chörlein mit reichem steinernem Bildwerk und bunten Glasfenstern und daneben ein schmales Pförtlein mit Spitzbogen. Nach außen lebte der Bürger des Mittelalters wenig; nach der Straße schloß er sich ab. Seine Behaglichkeit, seine bequeme Einrichtung, seinen anmuthenden Schmuck zeigte der deutsche Bürger im Innern seines Hauses. Wie sich hier sein ganzes Wesen aufthat, so auch sein Haus, in offenen Gängen und Treppen, in Höfen, über die ein alter Nußbaum sein dichtes Blätterdach spannte und Generation um Generation in seinem kühlen Schatten vor der Gluth des Sommers aufnahm.

Das Besitzthum war auf der Höhe gelegen, an der äußersten Grenze des Stadtbanns, wenn auch noch innerhalb desselben. Es gehörte einem aus den Nürnberger Geschlechtern, einem Tucher, und diente früher wohl für den Sommeraufenthalt der Familie. Denn hier oben auf demselben Höhenzuge, auf dem die Burg von Nürnberg liegt, war bessere Luft als unten in den engen Straßen der Stadt, namentlich auf der Sebalderseite, wo die Aristokratie wohnte. Wenn auch in jenen Zeiten Licht und Luft noch nicht zu der sanitären Würdigung gekommen waren, wie in der Gegenwart, so hat man sie gewiß nicht minder wohlthuend als heutzutage empfunden. Das Grundstück bot ganz nahe den Thoren der Stadt dem waidlustigen Eigenthümer den Vortheil, daß er gleich vor den Thoren derselben war, um mit seinem Troß und Jagdzeug im weiten Reichswalde rings umher der edlen Waidkunst obzuliegen.

Mit der Zeit ward ein Theil der alten Baulichkeiten aus Fachwerk, von denen unser Bild noch einen Theil erhalten hat, abgerissen und an Stelle desselben dieses neue Jagdschlößlein aus Stein erbaut, darin der Herr mit seiner Familie von der Zeit an, wo draußen im Wald das Laub gelb zu werden begann, Einlager hielt. Die Gasse, in der das Besitzthum lag, hieß, wie noch heute, die Herschelgasse.

Unser Bild zeigt uns einen Herbstabend. Die Lichter der untergehenden Sonne spielen auf den Fliesen des Hofes, durch das Thürlein von der Straße her dringt eine Fülle von goldigem Lichte, der Ton des Hifthorns hat der edlen Frau mit ihrem Knaben das Nahen des Gatten verkündet. Eiligen Fußes schreitet sie die Stufen hinab, den Gemahl, den Vater zu empfangen, der wohlbehalten mit seinem Gefolge von einer glücklichen Jagd zu den Seinen heimkehrt.

Das ist ein Bild von damals. Das Haus aber steht heute noch, als Zielpunkt für die meisten Nürnbergreisenden: in gewisser Beziehung ist ihm auch sein Charakter als Jagdschloß verblieben, das heißt für die Kunstliebhaber, die hierher auf Ausbeute gehen. Es hat in seinen Räumen die C. W. Fleischmann’sche Hofkunstanstalt aufgenommen, deren Erzeugnisse über ganz Europa verbreitet sind. Worin diese Erzeugnisse bestehen? fragt der Leser. Sehen ist besser als berichten, und so wollen wir dem Hause einen Besuch machen. Wir läuten. Schon der Glockenzug an dem alten Hause erregt unsere Aufmerksamkeit. Er besteht aus einem in Eisen getriebenen Blumengewinde und hing, wenn ich nicht irre, einstens an der Pforte eines süddeutschen alten Klosters. Auf dem Hofe, in den wir durch das geöffnete Pförtlein eingetreten sind, hängen noch viele derartige Exemplare nebst ganzen Glockenstühlen, stehen eiserne kunstvoll gearbeitete Gestelle, die einst zur Aufnahme für Kohlenbecken bestimmt waren; heutzutage stellt man kostbare Gefäße mit Palmen darauf. Es sind Nachahmungen von Schmiedearbeiten des sechszehnten Jahrhunderts. Wir treten durch ein italienisches Bogenportal in einen weiten Raum des Erdgeschosses. Früher diente derselbe jedenfalls den Jagdtreibern und dem Gesinde des Tucher’schen Hauses zum Aufenthaltsort. In dem offenen hohen Kamin lagen mächtige Holzkloben, und der niedere Jagdtroß mag hier um das behagliche Feuer nicht minder abenteuerliche Jagdgeschichten erzählt haben, als oben im Saale der Herr unter seiner Jagdgesellschaft.

Der Kamin ist verschwunden, ebenso wie die Menschen, aber dafür steht eine Reihe Modelle von Thonöfen da, wie sie der deutsche Kunstfleiß, dem Wärmebedürfnisse unseres Klimas entsprechend, vom Mittelalter an bis zum Zeitalter des Rococo in das deutsche Haus hineingesetzt hat. Von der Nachbildung des einfachen grünen Kachelofens fing der Gründer der Anstalt, Herr Fleischmann, an, und stieg in immer größerer Vervollkommnung bis zur Nachahmung der prächtigsten Modelle, die sich in Nürnberg in alten Patricierhäusern, auf der Burg, im bairischen Nationalmuseum, in süddeutschen Schlössern und Klöstern befinden. Es gelang ihm, die einfache grüne, glasirte Thonkachel zu einem mit Reliefs und Figuren in Majolica-Schmelzfarben buntstaffirten Kunstwerke zu machen. Der alte deutsche Kachelofen hat allen modernen Heizvorrichtungen zum Trotz doch sein altes, gutes Recht bewahrt. Der bekannte Pariser Chemiker Dr. Deville schrieb in Bezug auf die deutschen Kachelöfen an Fleischmann in Nürnberg: „Ich kenne keine bessere Art der Erwärmung, als die Oefen aus Thon, deren man sich in Deutschland bedient.“

Bekannt ist es, daß sich auch Liebig kurz vor seinem Ableben auf eine Anfrage über Heizung und Ventilation, die von Nürnberg an ihn erging, in gleichem Sinne ausgesprochen hat und dazu noch bemerkt, daß auf seinen Rath eiserne Centralheizöfen unter der Regierung des Königs Max des Zweiten aus der königlichen Residenz in München entfernt und diese durch Zimmeröfen ersetzt wurden. Dem Besitzer der Anstalt ist es gelungen, den deutschen Ofen, entsprechend dem gesteigerten Bedürfnisse nach reichen und originellen Formen, zu einem Kunstwerke zu gestalten. Die Burg Hohenzollern, die Residenz in München, das königliche Schloß zu Hohenschwangau, Schloß Trausnitz, das Jagdschloß zu Bebenhausen bei Tübingen, ja selbst das Winterpalais in Petersburg werden mit den Fleischmann’schen Nachahmungen geheizt. In ihnen ist die alte deutsche Töpferkunst wieder zu Ehren gekommen. Die glücklichen Versuche, die hier mit der gröbsten Fayenceart, nämlich der Ofenkachel, gemacht werden, ließen C. W. Fleischmann einen Schritt weiter auf ein mehr künstlerisches Gebiet thun.

In allen Sammlungen von Erzeugnissen alter Töpferkunst wird man niedrigen, runden, breiten Krügen begegnen, die an der Außenseite in nischenartigen Vertiefungen, in eingebrannten Schmelzfarben, die Figuren der deutschen Kaiser, der Kurfürsten des heiligen römischen Reiches oder die Apostel zeigen. Diese Krüge, Apostelkrüge oder auch von dem Orte, wo sie hauptsächlich erzeugt wurden, nämlich in Kreußen bei Bayreuth, Kreußener Krüge genannt, stehen wegen ihrer Seltenheit bei den Sammlern in hohem Werthe. Theils ist es die künstlerische Ausführung dieser Erzeugnisse der Töpferkunst, die ihnen die Werthschätzung der Kenner verschafft, theils auch die Mode und das gesteigerte Luxusbedürfniß unserer Tage.

Noch vor fünfundzwanzig Jahren besaß nur ein geringer Bruchtheil der deutschen Familien – ich meine damit nur die wohlhabenderen Classen – einen Raum in ihrer Wohnung, der lediglich für die Abhaltung der täglichen Mahlzeiten bestimmt war. Seit den letzten zwölf Jahren hat sich jede nur einigermaßen gut situirte Familie ihr Speisezimmer eingerichtet. Man wendet heutzutage alle irgend verfügbaren Mittel auf die Ausschmückung dieses Raumes, von dessen Schwelle man die Sorgen des Tages und der Geschäfte hinwegscheuchen möchte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_046.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)