Seite:Die Gartenlaube (1879) 059.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ein recht seltsamer Abzug der Gesellschaft heute, nicht wie sonst – so heiter und lustig.“

„Vielleicht hat es auch seinen Grund“ – war Erich’s Bemerkung.

„Was willst Du damit sagen, Schatz?“

Statt aller Antwort schlang er seinen Arm um die Taille seiner Frau und zog sie mit nach dem Boudoir, in welches wir vorhin Else und einem Unbekannten gefolgt waren. Er zog sie mit sich nieder – durch die Portièren sahen Beide, wie die Diener die Lichter auslöschten.

Erich schien nach einem Worte zu suchen, und Doris sah ihren Mann fragend an.

„Die Lichter werden heute diese Zimmer zum letzten Male beleuchtet haben,“ nahm er plötzlich das Wort.

Doris schien das nicht zu verstehen.

„Wie kommst Du darauf? Und hier? Das war doch nie Deine Gewohnheit, nach einem Balle in der durch Licht und Menschen gerade nicht besser gewordenen Luft noch zu verweilen –“

„Aber hier möchte gerade der rechte Ort sein, um Dir eine Eröffnung zu machen. Ich war sie Dir im Grunde schon längere Zeit schuldig, aber ich fand das rechte Wort, den rechten Augenblick nicht, auch nicht den Muth, weil ich Dir keinen Schmerz bereiten wollte. Lieber trug ich’s allein, so schwer es mir auch wurde und so räthselhaft Dir mein Benehmen auch manchmal vorgekommen sein mag. Ich sah alle die Folgen voraus – ich wußte, welche einschneidende Consequenz es für unsere gesammten Verhältnisse haben würde.“

„Du folterst mich, Erich – sprich, was ist es? Gerade heraus!“

„Du warst reich, Doris; Du bist es nicht mehr.“

Die nähere Erklärung war einfach: ihr Vermögen, das bis auf einen ganz geringen Theil bei einer Bergwerksgesellschaft von ihrem verstorbenen Vater angelegt war, sei durch den Zusammenbruch derselben ohne Rettung verloren.

Doris starrte ihren Mann regungslos an. Mit der Schnelligkeit der Inspiration legten die Folgen dieser Eröffnung sich ihrer Urtheilskraft klar vor. Ihr Gesicht war bleich geworden und unterschied sich in der Farbe kaum von dem Atlasgewande, das sie trug.

„Ich wußte, welchen Eindruck es auf Dich machen würde, und darum zögerte ich so lange.“

„Und, Erich, es ist nicht ein bloßer Scherz von Dir – nein, nein? Und auch kein Vorgeben, mit dem Du verhüten willst, daß ich zu viel Aufwand mache?“

„Dann würde ich andere Mittel gesucht haben, liebe Doris, als Dich um ein Nichts zu erschrecken.“

„Ich – ohne Vermögen! Das ist zu furchtbar. Das ertrage ich nicht.“

„Wir müssen, Doris, und es wird auch gehen, wenn uns nur nicht der rechte Wille und die Kraft fehlen, es auszuführen. Mir freilich wird es weniger schwer werden als Dir, die von Jugend an im Genusse des Reichthums gelebt hat. Und – wenn ich es Dir offen sagen soll – ich für meinen Theil beklage den Verlust gar nicht so sehr.“

Sie sah ihn in jäher Ueberraschung an.

„So lange Du an Deinem Vermögen einen Rückhalt hattest,“ fuhr er fort, so lange gehörtest Du mit Deinen – verzeihe, wenn ich das Ding bei seinem rechten Namen nenne! – Deinen luxuriösen Gewöhnungen und Neigungen mir und meinem Herzen nur halb. Die andere Hälfte von Dir gehörte der Welt – dem Vergnügen. Von dem Augenblick an, wo es mir obliegt, für Dich, für unser Kind zu sorgen, erst von da an bist Du mein – ganz mein, wie ich Dir von je zu eigen war.“

Zur Bekräftigung des Gesagten schlang er die Arme um sie und küßte sie auf ihre Lippen. Doris hatte nur noch Thränen.

„Und Alles ist verloren?“ stammelte sie.

„Alles!“

Rechting sagte das fast ärgerlich.

„Ich begreife, Erich, wie Du unter dem Geheimnisse gelitten haben magst – es ist nur ein neuer Beweis Deiner Liebe. Ich gestehe Dir, daß ich Dir in Herzen und Gedanken oft Unrecht gethan habe. Was soll denn nun mit uns werden?“

„Das will ich Dir sagen. Wir werden diese große prächtige Wohnung hier verlassen und jenes stille bescheidene Gartenhaus vor dem Thore beziehen, das Einzige, was ich von meinem Vater her besitze.“

„Dieses öde, einsame, schmucklose Haus,“ schaltete Doris ein.

„Natürlich werden wir unsere Equipage abschaffen – die Diener – überhaupt unseren Haushalt auf das Einfachste beschränken.“

„O, das wird ja ein herrliches Leben werden, wenn ich durch die Vorstadt herein bei Wind und Wetter zu Fuße trotte und den Kohl im Korbe nach Hause tragen muß. Wie höhnisch werden mich die Leute angrinsen! In meinen Ohren höre ich es schon tönen: ‚Seht doch diese – die elegante Frau! Früher auf Gummirädern, nun in Gummischuhen!’“

„Immer nur Aeußerlichkeiten! Doris, wann wird der Augenblick kommen, der Dir den Sinn dahin wendet, wo allein alles dauernde Glück verborgen ruht – in das Innere, in die Tiefe der Menschenbrust?“

„Tadle, schmäle immerhin! Schilt mich – ich werde mich nie in andere, kleinere Verhältnisse gewöhnen. Ich liebe den Reiz, den Glanz, die Schönheit und Fülle des Lebens. Es ist die Atmosphäre, in der ich athme. Warum hast Du mich so gewähren lassen? Warum hast Du Dich um mein Vermögen nicht gekümmert? Dir stand es zunächst zu. Bin ich so sinnlos, daß ich auf Deine Mahnungen nicht gehört hätten? Und unser Kind! Das hast Du nicht bedacht in Deinem Egoismus, der da wünschte, daß es mit dem Meinigen zu Ende ginge.“

„Ja wohl! Es ist besser, Liddy ist arm an Geld und Gut, als daß ihr Kinderherz der Liebe entbehrte, die ihr in diesem Treiben verkümmert und entzogen würde. Doris, liebe Doris, ergeben wir uns darein!“

Die Angerufene hörte diese bittende, fast flehende Mahnung seines Herzens nicht. Mit einer heftigen Bewegung machte sie sich von ihrem Manne los und eilte im rauschenden Ballgewande nach dem Zimmer, wo die Kleine ruhig schlafend im Bettchen lag. Was sie hier hätte finden müssen, Trost und Erhebung, Muth und Selbstvertrauen – sie fand es nicht. Sie sah vor ihrem geistigen Blicke nur die Welt und ihre Zukunft wie einen öden, leeren Raum, in den sie vergebens ihr Ich einzufügen suchte.

Und Rechting war es, als hätte sich mit diesem Abend und dieser Eröffnung zwischen ihm und seiner Frau ein Schatten eingefunden, der sie auf dem künftigen Lebenswege zu begleiten drohte.




4.

Es war ein sehr bescheidenes Haus, welches Rechting’s nun bewohnten. Erich’s Vater hatte es von seinem Schwiegervater, einem wohlhabenden Leinwandhändler, geerbt, der es sich als Sommerplaisirhaus gebaut hatte, um sich des Abends mit seiner Familie darin von den Strapazen des Tages zu erholen, Rosen und Reben zu ziehen und bei saurer Milch als Abendbrod es sich im Schooße seiner Familie wohl sein zu lassen. Damals lag das Haus weit vor dem Thore der Stadt, und die Familie ersparte durch dasselbe Sommerreisen und kostspielige Landaufenthalte auswärts. In den dreißig Jahren seit dem Tode des biederen Leinwandherrn hatte sich die Stadt gereckt und gestreckt; die Grundstücke um das Haus herum wurden bebaut, die einfachen Landhäuser niedergerissen und durch Prachtbauten ersetzt; nur der Rechting’sche Besitz blieb, wie er gewesen war – und freilich, das Haus mit der schmucklosen Front, dem altmodischen Giebeldache, den niedrigen Fensterstöcken, die noch nicht mit Spiegelfenstern ausgefüllt waren, mit seinem bescheidenen Vorgärtchen, das noch durch einen Holzzaun nach der Straße abgeschlossen war, das nahm sich inmitten der reich ornamentirten Façaden, dem Säulenschmucke, den vergoldeten Balcons rechts und links recht armselig aus. Es machte den Eindruck eines armen Waisenkindes unter schön geputzten Kindern reicher und vornehmer Eltern.

Hier hatte nun der Assessor sein Domicil aufgeschlagen. Die Equipage war abgeschafft worden, er und seine Frau bedienten sich der Omnibus, er, um nach dem Amte zu fahren, sie, Doris, um ihre Einkäufe in der Stadt zu machen. Bei dem vereinfachten Haushalte hatten die Lieferanten verschmäht, die Sachen in’s Haus zu bringen, wie sie das sonst thaten. Man hatte auch keine Dienerschaft mehr; diese war auf eine Magd und ein Kindermädchen beschränkt. Doris ging im unscheinbarsten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_059.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)