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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Drang des Blutes, der sie zu ihrem Volke zog. Darum wurden sie in Eisenach mit doppelter Herzlichkeit begrüßt und ihre Sprecher Olshausen, Binzer und Förster sofort zu Mitgliedern des Festausschusses ernannt. Mit den neugefundenen Brüdern durchlebten sie hierauf in inniger Vereinigung alle weihevollen Momente der ergreifenden Feier, deren Gedanke die Kräftigung in der Liebe zum gemeinsamen Vaterlande, deren Zweck der Protest gegen deutsche Ohnmacht und Knechtschaft, das Bekenntniß einer willensstarken Begeisterung für deutsche Einheit und Freiheit, deutsche Sitte und Gesinnung war. Als die Schleswig-Holsteiner unter diesen Eindrücken aus Eisenach schieden, waren die Anfänge jener Bewegung gegeben, welche den abgewendeten Bruderstamm an der Ost- und Nordsee wieder zu Deutschland führen sollte.

Wenn bis dahin in der großen Masse der schleswig-holsteinischen Bevölkerung ein deutsches Nationalgefühl nicht vorhanden gewesen, so war es erklärlich genug. Zur Erweckung eines solchen Gefühls hätte es doch vor Allem einer deutschen Nation bedurft. Eine solche aber gab es noch nicht, und auch in dem jammervoll zersplitterten Deutschland war das eifrigste Bestreben der zahlreichen Souveraine nur auf die Pflege und Befestigung des engen Sondergeistes und kleinen Localpatriotismus in den von ihnen regierten Ländern und Ländchen gerichtet. Wie hätte da eine fremde Macht in ihrer Beherrschung eines deutschen Stammes sich anders verhalten sollen? Abgesehen von ihrer Absicht, die alte Selbstständigkeit der deutschen Herzogthümer zu untergraben und sie als bloße Provinzen mit ihrem Staat zu verschmelzen, hatten übrigens die letzten dänischen Könige ein mildes, der humanen Aufklärung zugeneigtes Regiment geführt und sich dadurch viel anhängliche Treue erworben. Auch in der dänischen Bevölkerung selber, die ihre ganze Bildung aus deutscher Literatur und Dichtung schöpfte, war lange Zeiten hindurch in Bezug auf die Holsteiner und Schleswiger ein Bewußtsein nationalen Gegensatzes so wenig zu Tage getreten, daß es den letzteren nicht schwer gemacht wurde, sich immer mehr als Dänen zu fühlen. Dennoch waren die innerlichen Gegensätze zu stark, als daß ein solcher Zustand widernatürlicher Verschwommenheit für immer hätte andauern können. Fast unbewußt hatte er sich schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch den damals erfolgenden Aufschwung des deutschen Genius gelockert, den beginnenden Ermannungsproceß unseres Volkes. Diese von Klopstock und Lessing ausgehende Gedankenumwälzung übte auf die eine oder die andere der beiden politisch zusammengeschmiedeten Nationalitäten eine ganz verschiedene Wirkung. Während sie die Dänen in sich aufnahmen wie ein Fremdes, ließen die Gebildeten des urdeutschen schleswig-holsteinischen Volkes sich von ihr ergreifen wie von dem Feuer eines verwandten Geistes.

Ein interessantes und durchaus sprechendes Beispiel dafür war schon der sogenannte Göttinger Hainbund. Dieser im Jahre 1772 gestiftete und für die Entwickelung unserer Poesie fruchtbar gewordene Dichterverein, der an den Teutonismus Klopstock’s anknüpfte, dessen bewegende Seele also eine bis zum schwärmerischen Cultus gesteigerte Liebe zum deutschen Vaterlande war, zählte unter seinen hervorragendsten Mitgliedern bereits vier dänische Unterthanen deutschen Stammes: Boie, Cramer und die beiden Grafen Stolberg waren Schleswig-Holsteiner. Als diese Hainbündler in die Heimath zurückkehrten und zu einflußreichen Aemtern kamen, wurden ihre Wohnsitze Mittelpunkte eines angeregten geistigen Lebens namentlich in den Kreisen des holsteinischen Adels. Es erwachte das Verlangen des Gedankenaustausches; es erwuchs eine deutsche Literatur und Presse; es spann sich aus dem Bedürfniß der Seelen heraus ein unzerreißliches Band idealer Beziehungen und sympathischen Verständnisses nach Deutschland hinüber. Zwar hatten die Schleswig-Holsteiner nachher mit dem deutschen Volke nicht die Zeiten der Napoleonischen Fremdherrschaft durchgemacht, diese große Schule der Leiden, der Erfahrung und Erhebung. In die Netze der dänischen Politik verstrickt, standen sie damals treu auf der Seite derselben, selbst in dem ihnen völlig fremden Kriege zwischen Dänemark und England, der ihnen so viel Noth brachte und dessen ganze Last sie allein tragen mußten. Dennoch ist es erwiesen, daß den Holsteinern nur ein sehnlicher Wunsch erfüllt wurde, als sie, 1815 in den deutschen Bund aufgenommen, an den letzten Acten des Kampfes gegen Frankreich sich betheiligten durften. Der große Tag von Belle-Alliance wurde auch in Holstein als ein Festtag und zum ersten Male in der Kieler Aula durch eine berühmt gewordene, von entschiedenem deutschen Patriotismus beseelte Rede Dahlmann’s gefeiert. Kurz, ein Hauch von dem Geiste der nationalen Befreiungskriege und seiner Helden und Sänger war auch in jene dem deutschem Mutterlande entfremdeten Gaue gedrungen, und er verstärkte sich, als die Dänen mit einem Male einen nationalen Fanatismus hervorzukehren begannen, als sie ihren berüchtigten Krieg wider die deutsche Sprache eröffneten und durch ihre bodenlos schlechte und rücksichtslose Finanzwirthschaft, welche hauptsächlich die deutschen Herzogthümer belastete, hier unbeschreibliche Nothlagen hervorriefen, sodaß Tausende an den Bettelstab gebracht wurden. Dies Alles erzeugte ganz im Stillen eine oppositionelle Haltung wider das Dänenthum zunächst in den wenig zahlreichen intelligenten Schichten. Mit Schrecken nahmen sie jetzt wahr, daß sie von „Fremden“ beherrscht und ausgebeutet seien, und ein mehr oder minder klares Gefühl des Heimwehs lenkte ihre Blicke auf das deutsche Vaterland. Ein Ausdruck dieser Stimmungen war der Zug der Kieler Studenten nach der Wartburg.

Erfüllt von den Gedanken und hochsinnigen Vorsätzen der durchlebten Feier, der Blutsverwandtschaft und des inneren Zusammenhanges mit der großen deutschen Volksfamilie ganz sich bewußt, kehrten die Jünglinge zu ihrer heimischen Universität zurück und ließen es alsbald ihr eifriges Bemühen sein, auch in Kiel das seit lange verflachte und verwilderte Studentenleben nach den strengen burschenschaftlichen Grundsätzen zu reformiren. An Empfänglichkeit für diese Absicht fehlte es unter den Commilitonen nicht; es schloß ein Kreis von Gleichgesinnten sich eng an einander, von Jünglingen, in denen die Erkenntniß zum Durchbruche gekommen war, daß nur von der Festhaltung an deutscher Eigenart und Sitte, von der Vertiefung deutscher Bildung, der Förderung deutschen Freiheitsstrebens die Rettung des Landes aus seinen schweren Gefahren zu erwarten sei. Dieser Kreis war es, in dem zuerst ein baumhoher friesischer Student sich Beachtung schaffte, der Sohn eines vermöglichen Schiffscapitains in dem großen Stranddorfe Keitum auf der Insel Sylt.

Wer heute über den freundlichen Paradeplatz der Stadt Rendsburg schreitet, findet in dem imposanten Mannesantlitz, das sich auf der am 1. September des vorigen Jahres daselbst enthüllten Denksäule erhebt, deren Abbildung wir in dieser Nummer unsern Lesern bieten, die energischen Züge jenes friesischen Studenten wieder. Das Lebenswerk des hochverdienten Mannes, dem die Liebe und Dankbarkeit eines ganzen Volksstammes dieses schöne Denkmal errichtet haben, ist außerhalb seines engeren Vaterlandes nur noch Wenigen bekannt, obwohl sein Wirken weit über die Grenzen desselben hinausreichte und sein Name überall genannt werden sollte, wo von den Besten unserer Nation die Rede ist.

Uwe Jens Lornsen war ursprünglich zum Seemanne bestimmt, aber die unruhigen Kriegszeiten ließen es dazu nicht kommen, und er entschied sich nunmehr für die Laufbahn eines Juristen. Nach mehrjähriger Vorbereitung hatte der Vierundzwanzigjährige Ostern 1816 die Landesuniversität bezogen und mag da wohl eine Zeitlang dem hergebrachten wilden Treiben hinlänglich seinen Tribut entrichtet haben. Gewiß aber ist, daß er auch einer der Ersten war, die von dem nun aus Deutschland herüberstrahlenden Ideenlichte im Innersten getroffen und zu ernster Läuterung aufgerüttelt wurden. Sein Eifer für die Zwecke des studentischen Reformbundes war so groß, daß er 1818 nach Jena ging, um auf dieser damals wissenschaftlich so herrlich erblühten und durch den patriotischen Geist ihrer Lehrer und Schüler ausgezeichneten Hochschule sein letztes Studienjahr zu verleben. Auch in Jena erschien der blondgelockte Friese mit seiner Herculesgestalt wie ein Abkömmling untergegangener germanischer Riesengeschlechter. Von seiner außerordentlichen Körperkraft erlebt man bald belustigende Proben. Als einige Commilitonen, unter denen er sich befand, einst beim Billardspiel durch die Spöttereien anwesender Handlungsgehülfen gestört wurden und diese durch alle Zurechtweisungen nicht zum Schweigen gebracht werden konnten, nahm Lornsen den einen der Lästigen unter seinen linken, den andern unter den rechten Arm, trug Beide ruhig auf die Straße hinaus und setzte dann gleichmüthig sein Spiel fort, ohne während der ganzen Procedur auch nur ein Wort verloren zu haben.

Doch nicht blos seine äußere Erscheinung lenkte die Aufmerksamkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_078.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)