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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


leer stehen und krümmen den Rücken als Schranzen am Hofe in Rom. Freilich entschuldigt sie die Erkenntniß, daß Venedig seine weltgeschichtliche Rolle ausgespielt hat und nie wieder eine gebietende Stellung unter den Städten Europas einnehmen kann. Ein Gefühl der Trauer beschleicht auch uns über den Wandel und Hinfall alles Irdischen, wenn uns die Gondel wieder schaukelt, doch wir dürfen nur unter dem tiefblauen Mittagshimmel an der Riva hin zurückgleiten, um mit neuer Lust die Gegenwart zu genießen, ja ihre Vorzüge vor „dem, was einst war“ zu empfinden; denn der Anblick des undurchsichtigen Marmorbogens, der vom Dogenpalast als „Seufzerbrücke“ zu den alten Staatsgefängnissen führt, flößt uns heute kein Entsetzen mehr ein; in den winkeligen Gassen droht kein Stilet mehr, und rudern wir am Nachmittage in die „öffentlichen Gärten“, wo die Kinder mit bezaubernder Drolligkeit spielen, mit reizender Zärtlichkeit auf den Rasenplätzen schäkern, so will uns bedünken, daß die moderne Zeit die liebenswürdigste Umwandlung am Charakter des italienischen Volks vollzogen hat. Von der angeborenen Tücke, die ihm nachgesagt wird, von leidenschaftlichem Zorn zeigt sich bei Klein und Groß nicht die geringste Spur, vielmehr tritt im ganzen venetianischen Leben eine harmlose Gemüthlichkeit zu Tage, um die manche heut auf ihrer Höhe stehende Großstadt des Nordens, die ihre „Gemüthlichkeit“ als drittes Wort im Munde führt, die entthronte Herrscherin der Adria beneiden könnte.




Am Sarge des Erstgebornen.


Vier kleine Bretter – zwei noch klein’re Brettchen –
Ein Kissen und ein Leintuch, weiß wie Schnee –
Dazu ein Blumenkranz – das ist das Bettchen,
An dem ich jetzt gebrochenen Herzens steh’.

5
Mein Kind, mein Liebling! Todt! Ach, kein Erwachen

Mit nach mir ausgestreckten Aermchen mehr!
Verstummt Dein klug’ Geplauder, wie Dein Lachen –
Das einst so rege Haus – wie öd’ und leer!

Was solltest Du mir einst nicht alles werden,

10
Was hab’ ich nicht gewünscht, geträumt, geglaubt!

Was gut und schön und edel ist auf Erden –
Zum Kranze wand ich’s für Dein theures Haupt.

Dahin, dahin! Es sagt’s die bittere Thräne
Im Auge mir. Zerronnen ist der Traum,

15
Und meine Wünsche, Hoffnungen und Pläne

Umschließt jetzt dieser enge, kleine Raum.

Die stumm Du kniest in tiefem, herbem Leide,
Den müden Blick dem Sarge zugewandt –
Komm’, stehe auf und tritt an meine Seite,

20
Und laß mich fassen Deine liebe Hand!


So standen wir einst selig am Altare,
Gelobend, eins zu sein in Leid und Freud’.
So steh’n wir jetzt an uns’res Kindes Bahre;
So werde heute unser Schwur erneut!

25
Nie standen zwei an heiligerem Orte,

Noch schloß sich weihevoller je ein Bund –
Nie sprach ein Priester je beredt’re Worte,
Als stumm sie predigt dieser kleine Mund.

Hier sind ja Blumen auch und hier die Kerzen;

30
Altar ist uns’res Kindes Todtenschrein –

Und wie im Glücke einst, so jetzt in Schmerzen
Geloben wir: In Allem eins zu sein.

Sieh’, unser Liebling lächelt! – Ruh’ in Frieden!
Du hast die Eltern neu und fest vereint.

35
Gieb, Mutter, ihm den letzten Kuß hienieden –

Jetzt komme! – Gott sei tausend Dank – sie weint!


Cincinnati, O.

B. Bettmann




Pater Gregor.
Ein Seelengemälde von E. Werber.
(Schluß.)


Eines Morgens wurde der Klostergang frisch angestrichen, und Maria war verschwunden. Ich war ganz in Verzweiflung und wagte doch nicht zu fragen, wohin man sie gebracht habe. Am nächsten Tage aber, als ich von einem Krankenbesuche zurückkam, stand Bruder Anton auf einem Stuhle und hielt das Bild in die Höhe. „Kommt Pater Josias, habt die Güte das Bild aufzuhängen! Ihr habt längere Arme als ich,“ sagte er und stieg vom Stuhle herab. Heilige Scheu und heilige Wonne durchzitterten mich, als ich das Bild in die Hände nahm und Maria sich so geduldig von mir in die Höhe heben ließ. Ich sah nicht recht, als ich die eiserne Schlinge des Bildes in den Haken fügen sollte, aber endlich gelang es mir doch. Ehe ich vom Stuhle herabstieg, blickte ich Maria an: sie hatte noch die himmlische Liebe auf den Lippen, und ich fühlte, daß sie mir nicht böse war. In meinem gequälten, unschuldigen Herzen bat ich sie. „O Maria, wirst du denn nie die Augen aufschlagen?“

In einer gewitterhaften Nacht schlug Maria die Augen auf, schwarze, zauberhafte, flammende Augen, die ich im Leben nimmermehr vergessen kann.

Es war um Mitternacht; wir waren zum Gebet im Oratorium versammelt, als die Glocke an unserer Pforte mit Heftigkeit gezogen wurde. Man kam, um für einige Reisende Beistand zu erbitten, welche durch einen Sturz des Postwagens verletzt und in einer Schenke untergebracht waren; Einer derselben glaubte zu sterben und verlangte Beichte und Oelung.

Pater Gregor sagte, er selbst werde hinunter gehen, und wählte mich zum Begleiter. Die Nacht war finster und schwül; leise Donner zogen wie schwermüthige Träume durch die Luft. Eine Laterne in der Hand, stiegen Pater Gregor und ich den steilen Pfad hinab, neben welchem die Wasser ihre geheimnißvollen Melodien sangen. Im Thale brannte kein einziges Licht, aber wenn dort Einer wachte und in die Nacht hinausblickte, so mußten unsere wandelnden Lichter einen seltsamen Eindruck auf ihn machen.

Das Gewitter brach los. Gleich Feuerschlangen fuhren die Blitze am Gebirge herunter, und ehe noch ein Donnerschlag mit erlöschendem Grolle in den Klüften verhallt war, folgte schon ein anderer. Wir waren ganz in Donner eingehüllt, und Pater Gregor sagte:

„Wenn Einer, der etwas auf dem Gewissen hat, bei einem solchen Gewitter im Sterben liegt, so mag ihm fürchterlich zu Muthe sein.“

Der Mann, welcher uns geholt hatte, erzählte, es seien drei Personen äußerlich verletzt, der Mann aber, der einen Beichtvater verlangt habe, scheine einen innern Schaden bekommen zu haben; ein junges Fräulein, seine Tochter, sei unbeschädigt.

Die Schenke lag an der Landstraße. Wir wurden in das obere Stockwerk geführt, wo man in einem Tanzsaale drei Betten auf den Boden gebreitet hatte: hier lagen drei verwundete Männer. Zwei unverletzte Reisende, von welchen der Eine ein junger Arzt war, leisteten ihnen die nöthige Hülfe. Als wir uns den Betten näherten, trat der Arzt auf uns zu und sagte:

„Verehrte Väter, in der Stube nebenan liegt ein Herr, welcher am schlimmsten daran ist. Er hat etwas im Leibe gebrochen, und es ist möglich, daß er daran stirbt. Er wünscht die Sacramente zu empfangen.“

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür jener Stube, und ein junges, schlankes Mädchen that einen Schritt in den Saal:

„O, ich bitte einen der Patres, schnell zu meinem Vater zu kommen, schnell! Er verlangt so sehr nach einem Geistlichen,“ sagte sie angstvoll.

„Maria!” rief der Kranke; sie eilte in die Stube zurück, und Pater Gregor folgte ihr und schloß die Thür hinter sich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_087.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)