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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gethan, daß Du mich mit solchen Schreckbildern ängstigst? Sieh’, einmal nur hat er mir seine Hand gegeben, und die war so kaltfeucht, daß ich vor’m Altar nie die meine hineinlegen möchte. O glaube mir, viel öfter als in den Augen liegt in den Händen das Herz. Ja, ja, Doris. Ich weiß nicht, was es ist, ob Magnetismus oder irgend sensitive Anlage, aber ich brauche nur die Hand eines Menschen zu streifen, und ich weiß, woran ich mit ihm bin. Zum Beispiel bei Deinem Manne –“

Sie stockte, als hätte sie eine Unvorsichtigkeit begangen.

„So sprich doch weiter!“ ließ sich Doris vernehmen.

„Ich wollte sagen: die Hand Deines Mannes ist so fest, so kernig, so sympathisch.“

Doris lachte.

„Du sprichst hier so komische psychologische Bemerkungen aus,“ sagte sie. „Glaube mir, die meisten Frauen nähmen den Präsidenten, auch wenn er gar keine Hände hätte, wenn er ihnen nur seinen Namen gäbe. Ich begreife Dich eigentlich nicht – Lideman ist doch ein Mann comme il faut.“

„Nun kommst Du mir auch damit. Du bist wohl in das Complot gezogen worden? Nein, lieber werde ich Telegraphistin, als daß ich mein Schicksal von ihm abhängig machte.“

„Im Grunde kann ich Dich nur loben,“ sagte plötzlich Doris, „das heißt, wenn Du bei Deiner Weigerung bleibst.“

„Ja, ja, Doris, siebenmal, tausendmal!“

Doris schien über diese Versicherung sehr befriedigt.

Sie liebte Musik über Alles; sie fand an Else eine geschickte Partnerin zu vierhändigem Spiel und Beide konnten sich kaum genug darin thun. Die Musik allein war der jungen Frau aus dem Glanz ihres vergangenen Lebens treu geblieben, und bei den Tönen träumte sie sich in dasselbe zurück.

„Liebe Doris, eine Bitte,“ sagte eines Tages Erich, aus seinem Zimmer tretend. „Ihr spielt Beide ganz prächtig, und es ist eine Lust, Euch zuzuhören – eine Stunde! Aber drei Stunden, wenn man namentlich über einer Arbeit mit so angestrengten Kopfnerven sitzen muß! Bedenke das, mein liebes Kind!“

Es war der Ton reiner Güte, in den Erich seine Bitte kleidete. Von nun an öffnete Doris den Flügel drei Wochen lang nicht mehr.

„Sie und meine Frau, Sie spielen Beide gar nicht mehr,“ sagte einige Zeit später Erich zu Else. „Ich höre es so gern.“

„Wirklich, Herr von Rechting? Aber Ihre Frau glaubt das Gegentheil; Ihre Mahnung von neulich hat sie sehr verletzt. Nun wird sie gar nicht mehr spielen.“

Ein kurzes „So?“ war Erich’s Antwort, aber der Ausdruck seines Gesichts war so schmerzerfüllt, daß dem Mädchen fast Thränen gekommen wären.

An demselben Abende hörte Erich in seinem Zimmer aus dem Salon das Vorspiel, mit dem in Wagner’s „Lohengrin“ Else von Brabant die Scene betritt. Ueberrascht kam er aus seinem Zimmer und fand Doris und Else wieder am Claviere sitzen. Er hätte seiner Frau an das Herz sinken mögen.

„Ich danke Ihnen, liebe Else,“ sagte er am Abend, als er das junge Mädchen einen Moment allein in seiner Nähe hatte.

„O, Doris war gleich bereit, als ich sie versicherte, daß es Ihnen Freude machen würde; sie ist so gut.“

Wie träumend blieb Erich an den Blicken aus diesen treuen, seelenvollen Veilchenaugen hängen. – –

An demselben Abend wurde er unerwartet zum Minister gerufen. Er kam nach einer Stunde zurück und erklärte seiner Frau in Gegenwart Else’s, daß er noch in dieser Nacht reisen müsse – „im Auftrage des Ministers und im Interesse des Staates,“ fügte er hinzu, indem er zugleich Doris ersuchte, ihm jede weitere Erörterung zu erlassen. Briefe von Doris würde der Minister annehmen und befördern, und auf demselben Wege würden ihr die seinigen zugehen. Es gab an dem Abend für Doris noch tüchtig zu schaffen, und Else leistete ihr hülfreiche Hand; nichts war natürlicher, als daß Doris später ihren Mann ersuchte, die Freundin zu begleiten. Sie mußten ihren Weg durch mehrere vom Lärm des Abends noch erfüllte Straßen nehmen, und Erich bat Else, ihm den Arm zu geben. Sie folgte seiner Aufforderung und ging leichten Schrittes in munterem Geplauder neben ihm her.

Auf einem nur noch spärlich erleuchteten, mit Kastanien bepflanzten Platze fielen ihnen zwei männliche Gestalten in’s Auge, die im Gespräche seitab unter den Bäumen wandelten. Die eine trug einen weiten, langen Havelock, und Rechting’s scharfes Auge erkannte Lideman. Sein Begleiter schien ein junger Mann zu sein, nach der Kleidung zu schließen von untergeordneter gesellschaftlicher Stellung. Beide sprachen sehr eifrig; dann nahm der Jüngere ein Papier heraus und reichte es Lideman, der es rasch einsteckte, worauf sie sich trennten. Wie im Fluge hatte Erich diese Beobachtung erhascht. Es kam ihm zwar etwas eigenthümlich vor, daß der Präsident an diesem Orte mit Jemand eine Zusammenkunft verabredete, aber er hatte keinen weiteren Grund, argwöhnische Vermuthungen daran zu knüpfen. Lideman hatte ja so viele und weit verzweigte Geschäfte und Verbindungen. Wer weiß, ob der Jüngere nicht einer seiner Commis war, der ihm irgend welche Meldung zu machen hatte. Else, welche auf die Beiden nicht besonders Acht gegeben hatte, verwickelte ihn in diesem Augenblicke in ein Gespräch, worüber Erich den Präsidenten vergessen hatte, als sie vor der Thür des Wandelt’schen Hauses angelangt waren.

„Wollen Sie nicht noch einen Augenblick hinaufkommen, Herr von Rechting?“

„Ich danke, liebe Else. Sie wissen, ich habe noch viel zu thun. Aber grüßen Sie Ihre Eltern von mir!“

„Und bleiben Sie nicht zu lange auf der Reise, Herr Assessor, hören Sie, nicht zu lange!“

„Das könnte Ihnen doch ganz gleichgültig sein.“

„Glauben Sie das wirklich? Ich nicht, nein, Herr Assessor! Ich wollte schon längst –“

„Was – was, liebe Else?“ drängte Erich die Stockende.

Das Mädchen senkte sein Haupt, schwieg einen Moment und fuhr dann zögernd fort:

„Etwas – was mir auf dem Herzen lag – schwer – recht schwer –“

Sie redete nicht aus, sondern zog, um sich aus der Verlegenheit zu retten, rasch die Klingel. Von oben wurde die Thür geöffnet, und Else trat über die Schwelle.

„Wenn Sie wiederkommen, sollen Sie es wissen.“ Sie wollte ihm die Hand reichen, zog sie aber schnell wieder zurück und war hinter der Thür verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)


Deutsche Volks- und Gedenkfeste.
Der Schäfflertanz in München.


Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert das Volksleben ein weit bewegteres, jedenfalls farben- und gestaltenreicheres gewesen ist, als heut zu Tage, namentlich vom Standpunkte der Kunst aus gesehen. Damals ging noch nicht jenes ausgleichende Bestreben durch die Welt, welches alle Höhen und Tiefen wie zum Bau einer Eisenbahn beseitigt – damals hatte die Eigenart einzelner Gesellschaftskreise und in ihnen der einzelnen Persönlichkeit ihre volle Berechtigung, während jetzt alle Ecken und Schärfen, alle Ungleichheiten und Besonderheiten abgeschliffen und beseitigt werden und die frische Farbenpracht jener Tage durch die matten gebrochenen Töne ersetzt wird, welche die Mode als berechtigt anerkannt hat. Welcher Unterschied zwischen einem jener großen Fürsten-, Geschlechter- und Bürgertänze, deren Schauplatz die alten majestätischen Säle der Rathhäuser waren, und irgend einem noch so großartigen Festessen oder Ball der Gegenwart – dort welche Fülle eigentümlicher Gestalten in den kleidsamsten Trachten, hier welches eintönige Einerlei von Erscheinungen, die alle darnach streben, sich möglichst wenig von einander zu unterscheiden! Welch traurige Färbung allein in den schwarzen Fracks, in welchen wenigstens die eine Hälfte der Gesellschaft steckt!

Auch das gewerbliche Leben jener Zeiten bildet einen Beleg hierfür. Die Zünfte hatten sich „rein wie von Tauben gelesen“ an einander gefügt und, ehe die Mißbräuche in ihnen emporwucherten, einen festen Mittelpunkt des gewerblichen Lebens gebildet, der, wie allen ihren Einrichtungen, so auch ihren Festen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_096.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)