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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Eine Citadelle Mammons.


So lange die Welt besteht, sind es namentlich zwei Gefahren, von denen der Besitzende aller Länder seine Schätze bedroht sieht: das Feuer und der Diebstahl.

Was läßt sich gegen diese Gefahren thun? Der Kaufmann trauet mit Recht seinem einfachen Geldschranke nicht mehr; denn die Spitzbüberei steht heute im Flor ihrer Entwickelung. Zumal in der Metropole des europäischen Handels, in London, hat man böse Dinge erlebt: bei einer mir bekannten Firma wurden zweimal in kurzen Zwischenräumen Einbrüche verübt, die auf eine äußerst schlaue und gewandte Diebsbande schließen ließen. Die Attentäter lachten nicht nur der angebrachten Vorsichtsmaßregeln, der elektrischen Glocken, der Beleuchtung der Räume etc., sondern wählten auch noch zur That die Zeit gegen fünf bis sechs Uhr Morgens, wo die Straßen doch schon ein wenig Leben gewinnen. Und so sicher mußten sich die Patrone gefühlt haben, daß sie sich mit stoischster Ruhe und großer Sachkenntniß gerade die kostbarsten und theuersten Waaren aussuchten. Solchen Erfahrungen gegenüber mußte ein Mittel zu völliger Sicherstellung des Besitzes gefunden werden. Nun bedingen die englischen Geschäftsverhältnisse die Verbindung mit einer Bank, und da jede Zahlung, die nur die Höhe einiger Pfund Sterling erreicht, in einer Bankanweisung gemacht wird, so braucht er keinen großen Baarvorrath – die Bank ist seine Casse. Jede Bank besitzt ein sogenanntes Strongroom oder dieb- und feuersicheres Gewölbe, dessen Mitbenutzung sie ihren Kunden gestattet; der Kaufmann findet also hier einen sicheren Aufbewahrungsort seiner Werthpapiere, und den Mitgliedern der Stockbörse steht überdies noch die Benutzung der Gewölbe dieser Gesellschaft frei.

Wie kann jedoch der Privatmann, dem Geldschränke keinen Schutz, Banken keine Aufnahme gewähren, sein in Papieren angelegtes Capital schützen? Diese Frage wurde in Amerika Ende der sechziger Jahre gelöst. Man kam in Folge der sich stets mehrenden kühnen Einbrüche auf den Gedanken der Erbauung stark befestigter Gewölbe, die dem Einbruche Trotz zu bieten im Stande wären. Die Errichtung derselben war einem Einzelnen vermöge der Kostspieligkeit natürlich nicht möglich, für eine Genossenschaft konnte sie jedoch in Anbetracht des Nutzens keine sonderlichen Bedenken bieten.

Nachdem nun mehrere solcher Etablissements, wenn auch in nur geringer Ausdehnung, in’s Leben getreten, faßten im Jahre 1871 verschiedene bedeutende Londoner Finanzmänner den Plan, das Problem in größerem Maßstabe durchzuführen; sie traten zu einer Genossenschaft zusammen und lösten ihre Aufgabe musterhaft. Die „National Safe Deposit Company“ ist, was Umfang und Einrichtung betrifft, meines Wissens in Europa ohne Beispiel.

Bei Ausführung des Plans handelte es sich zuerst darum, einen geeigneten Platz für das Gebäude zu finden. Die hier zu erfüllenden Bedingungen erforderten erstens, daß das Gebäude im Mittelpunkte der Stadt liege, um den Zugang allen Theilen der Riesenstadt gleich nahe oder besser gleich weit zu halten, und zweitens sollte es durch einen möglichst freien Stand an und für sich schon Schutz gegen Feuer und Einbruch bieten. Ueber diese Punkte war man sich bald einig. Das schöne Gebäude erhebt sich in Queen-Victoria-Street, deren Nummer Eins dasselbe bildet, gegenüber dem Mansionhouse (Residenz des Lordmayors) in einer Entfernung von weniger als zwei Minuten von der „Bank von England“ und der „Royal Exchange“; es bildet ein spitzwinkliges Dreieck und wird auf seinen drei Seiten von Straßen begrenzt. Der Bau, aus grauem Sandstein (dieser hat sich am dauerhaftesten gegen Feuer bewährt) aufgeführt, bildet eine Zierde des an architektonischen Schönheiten nicht überreichen Londons, ist drei Stockwerke hoch und beherbergt in seinen oberirdischen Räumlichkeiten mehrere geschäftliche Institute, worunter die Bank von Neu-Seeland im Parterre zu nennen ist; der unterirdische Theil ist die Citadelle Mammons.

Diese Festung im Kleinen, wenn ich sie so nennen darf, erstreckt sich zu einer Tiefe von 45 Fuß unter dem Niveau des Straßenpflasters, bei einer Länge von 80 und einer Breite von 46 Fuß. Die äußeren Umfassungsmauern sind aus hartem Backstein mit Cement und hydraulischem Kalk hergestellt und von einer Durchschnittsdicke von 6 Fuß.

Innerhalb dieser Mauern befindet sich das Schatzgewölbe; dasselbe ist nochmals mit einer drei Fuß dicken Backsteinmauer umgeben, deren Außenseiten mit feuerfesten Steinen verkleidet sind. Obwohl ein solcher Wall wohl dem kühnsten Einbrecher zu widerstehen im Stande wäre, hielt man doch noch größere Verstärkung für angemessen, und brachte im Innern der Mauer eine circa drei Zoll dicke Eisenplatte in der vollen Ausdehnung der Wände an; diese widersteht nicht nur jeder Anbohrung, sondern ließ auch Versuche mit den schwersten Schmiedehämmern ohne den geringsten Erfolg.

Nachdem man so die Mauern in der stärksten und sichersten Weise vollendet hatte, erhob sich eine nicht minder bedeutende Frage, die bezüglich geeigneter Thüren. Wer wird wohl eine Bresche in die Mauern versuchen, dem der Zugang zur Festung viel leichter und bequemer durch das Thor möglich ist? Zu welcher Art von Eingängen sollte man sich entscheiden? Die bekannten Geldschrankthüren, an die man zuerst dachte, wären entschieden zu kostspielig gewesen, weßwegen man sich entschloß, die Thüren aus einzeln über einander gelegten Eisenplatten in einer Gesammtdicke von circa 12 Zoll herzustellen; das Gewicht jeder Thür beträgt 4000 Kilogramm. Das Nächste, was nun in’s Auge gefaßt werden mußte, war der Verschluß. Wieder kam man zuerst auf das verbesserte Geldschrankschloß, doch dieses erwies sich für die zu lösende Aufgabe zu complicirt; man mußte etwas Einfacheres, Handlicheres finden. Sämmtliche zweiunddreißig Thüren (ebenso viele Abtheilungen zählt die Schatzkammer) werden Morgens und Abends geräuschlos und sicher geöffnet und geschlossen durch die Arbeit einer hydraulischen Maschine. Ist die Kammer so verwahrt, so kann man derselben seine Schätze allerdings ruhig anvertrauen, denn der gewandteste, behendeste Einbrecher muß diesem eisernen Riesen gegenüber, der einen Widerstand von 128,000 Kilogramm spielend bewegt, unbedingt auf Erfolg verzichten.

Machen wir einen Rundgang durch das Gebäude.

Von der Straße führen uns einige Stufen abwärts, und wir treten zuerst in’s Bureau der Gesellschaft. Hier liegt das Mitgliederverzeichniß auf, ein großes Foliobuch, in das eines jeden neu hinzutretenden Miethers Name, Adresse, Alter und Signalement genau notirt werden, ebenso wie seine Parole, die er sich beliebig wählen kann.

Sollten die Beamten in irgend einem Zweifel über die Identität des Besuchers sein, so muß er ein strenges Examen über seinen Bucheintrag schon über sich ergehen lassen. Wehe dem Schwindler, der sich hier oder in irgend einem anderen Theile der Anstalt auf schlimmem Wege ertappen ließe! Abgesehen davon, daß immer einige Polizeibeamte im Hause anwesend sind, steht dasselbe auch noch in directer telegraphischer Verbindung mit der nächsten Polizeistation; in weniger als zehn Minuten wäre der Verdächtige besorgt und aufgehoben. Wieder steigen wir einige Stufen abwärts und kommen nun in eine Halle, an deren Wänden sich kleine Bureauzellen aneinander reihen, die, mit einem Pulte, Schreibmaterialien, Scheere etc. versehen, zur Benutzung der Miether bestimmt sind; hier kann jeder derselben seine Effecten und Werthe revidiren, die Coupons davon ablösen oder sonst damit vornehmen, was er Lust hat; in den Gewölben selbst ist nichts dergleichen erlaubt. Ein nett möblirtes Zimmer, ebenfalls für obige Zwecke, ist für das zarte Geschlecht reservirt.

In dieser Halle empfängt uns der Beschließer, dem wir folgen; da meine Cassette sich im oberen Stockwerke befindet, haben wir den Fahrstuhl, der nach unten führt, nicht nöthig zu benutzen; auch unten reiht sich, gerade wie in den Räumen, die wir jetzt betreten werden, Abtheilung an Abtheilung, Cassette an Cassette. Hier sagen wir dem Tageslichte Lebewohl, denn jedem Sonnenstrahl ist, als sei er der gefährlichste Dieb, der Eingang in’s Schatzhaus strengstens verwehrt.

Wir gelangen nun in einen Gang, in den die einzelnen Kammern ausmünden; diese sind den Tag über mit einer eisernen Gitterthür verwahrt und werden nur des Nachts mit den oben erwähnten schweren Thüren geschlossen. Mit Hülfe des Beschließers finden wir leicht die Kammer, die meine Habe birgt und welche mehr als drei Personen nicht zu gleicher Zeit betreten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_116.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)