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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

da war eine solche Reise schon der Mühe werth. So packte ich denn meine Sachen – viel Abschied hatte ich nicht zu nehmen – reiste nach Hamburg, bestieg die „Cimbria“, Capitain B., und „nach einer schnellen Reise von zehn Tagen acht Stunden“ stieg ich wohlbehalten drüben an das Land, von meinem zuvor benachrichtigten Freunde auf das Herzlichste empfangen.

Viel zu schnell für uns Beide und gleichfalls viel zu schnell für mein Bestreben, Land und Leute kennen zu lernen, verstrichen uns die Wochen; William widmete mir fast seine ganze Zeit, und Hunderte von Meilen hatten wir mit einander zu Wasser und zu Lande zurückgelegt – noch vierzehn Tage und meine Zeit war um.

Da trat William eines Tages bei mir ein, aber nicht mit seiner sonstigen liebenswürdigen Gemüthlichkeit. Er schien verstimmt, sehr verstimmt; eine düstere Wolke lagerte auf seiner Stirn.

„Was hast Du, William?“ fragte ich und faßte seine Hand.

Er schüttelte ärgerlich den Kopf.

„Eine dumme Geschichte,“ meinte er, „mein Vater ist sehr schwer und auf eine geheimnißvolle Art betrogen worden.“

„Betrogen?“ sagte ich, „von wem?“

William blickte mich ernst an.

„Ja, wenn wir das wüßten!“

Ich sah fragend auf.

Er stützte die Faust auf den Tisch und starrte vor sich nieder.

„Es ist eine sehr böse Sache, die wir nicht einmal öffentlich verfolgen dürfen, weil wir sonst die Betrüger warnen. Ich weiß, Du wirst nicht davon sprechen, also höre: Seit acht Tagen sind mehrfach telegraphische Anweisungen zur Auszahlung großer Summen an unsere Filialen in Elmira und Buffalo ergangen, die von uns nicht ertheilt worden sind. Wegen der bedeutenden Höhe der Summen haben die Filialen einige Male telegraphisch bei uns angefragt, ob die Zahlen richtig seien. So wenig wir die Anweisungen erlassen, so wenig haben wir diese Anfragen erhalten, die Filialen haben aber gleichwohl telegraphische Antwort empfangen, daß die Summen richtig seien, und darauf hin haben sie das Geld dem, der es abgeholt und der sich genügend legitimirte, ausgezahlt. Heute Morgen bekommen wir einen Brief von unserm Geschäftsführer in Buffalo, dem die Sache doch auffällig geworden ist und der sich Instruction erbittet. Weiter wissen wir nichts, der Schaden aber beträgt fünfzigtausend Dollars.“

Ich fuhr empor. Das war ein echt amerikanisches Stückchen.

„Was gedenkst Du da zu thun?“ fragte ich. „Wäre es nicht am gerathensten, wenn die Behörde sofort benachrichtigt würde?“

Er schüttelte den Kopf.

„Das würde uns alles verderben. Wir haben bei uns nicht eine staatlich organisirte Polizei, wie sie bei Euch existirt, sondern unsere Polizeibehörden sind nur municipale Institute, deren Befugnisse nicht über ihren Bezirk hinausgehen. Eine einheitliche Leitung derselben fehlt gänzlich, und die Verbindung der einzelnen Behörden unter sich ist eine sehr ungenügende. Ein Policeman von New-York hat an einem anderen Orte keine Befugniß zur Ausübung seines Amtes. Es bleibt uns darum nichts übrig, als uns an die private detective agency von Allan Pinkerton zu wenden; wenn wir da nichts erreichen, so ist alles vergeblich.“

„Was ist das?“ fragte ich.

„Eine Privatpolizei, wenn Du so willst, welche eine große Anzahl geschickter Agenten, detectives oder geheimer Polizeimänner, in ihren Diensten hat, die durch Gewandtheit und scharfen Verstand ersetzen, was ihnen an öffentlicher Autorität abgeht. Diese Agenten leisten in Combination und Auffindung von Spuren ganz Unglaubliches und erzielen bessere Resultate, als oft die bestorganisirte Polizei. Die Verbindungen dieses Instituts reichen über die Vereinigten Staaten bis nach Canada und selbst nach England. Sie werden allerdings auch sehr gut bezahlt.“

„So bist Du auf dem Wege, das Institut aufzusuchen?“

„Das würde auffallen. Ich habe bereits mit meinem Vater gesprochen, und es ist Veranstaltung getroffen worden, daß heute Abend ein Agent uns besucht. Es ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Zugang unseres Hauses beobachtet wird, und der Eintritt eines Agenten würde sofort die Betrüger warnen. Es ist mir aus diesem Grunde sehr willkommen, daß ich mit Dir in den letzten Wochen viel gereist bin; es wird somit eine abermalige Reise nicht auffallen.“

„Du willst selbst mit dem Agenten reisen?“

„Ohne Zweifel, und ich bitte Dich dringend, mich begleiten zu wollen.“

Ich war natürlich sofort bereit, da ich mir etwas Besonderes versprach und nicht ahnte, daß ich von dieser Reise ein Andenken für Lebenszeit bekommen würde.

Am Abend erschien der Polizeiagent, Mr. Carpe, und wurde in das Zimmer des Hausherrn geführt in dem sich außer diesem noch William und ich befanden. Es war ein kleiner, unscheinbarer Mann mit ein paar grauen, ruhigen Augen, welche, wie ich später wahrnahm, für gewöhnlich beinahe nichtssagend und gleichgültig dreinschauten, die er aber beim Eintreten mit einer Schärfe auf mich gerichtet hielt, als ob er in einem Augenblicke mein ganzes Wesen durchschauen wollte. Es wurde der übliche Thee servirt, und Mr. Burting setzte ihm den Grund der Einladung auseinander. Ich verstand Englisch genug, um dem Gespräche folgen zu können.

Als Mr. Burting geendet, nickte der Kleine, der ruhig zugehört hatte, mit dem Kopfe und sagte fast leichthin:

„So ist es, Mr. Burting, ich weiß schon.“

„Wie, Sie wissen –?“ rief der Angeredete voll Staunen.

Der Agent lächelte ein wenig.

„Wozu wäre ich, was ich bin? – Uebrigens seien Sie unbesorgt! Es weiß sonst Niemand um die Sache.“

„Aber mein Gott, woher?“

„Genug, daß ich es weiß!“ wehrte Mr. Carpe leicht ab. „Ich war schon gestern unterrichtet. Unsere Verbindungen reichen weit.“

„Und was rathen Sie da, was zu thun sei?“

„Zunächst einige Fragen, Mr. Burting. Nach Buffalo benutzen Sie für Ihre Firma den Draht Nummer siebenzehn?“

Der alte Herr nickte.

„Und das zwar schon seit vier Jahren?“

„Jawohl.“

„Das ist – verzeihen Sie mir! – eine Unvorsichtigkeit. Sie hätten einmal wechseln sollen.“

Das Gespräch bewegte sich noch um einige nebensächliche Dinge, und der Mann erhob sich dann wieder.

„Ich gedenke spätestens übermorgen wieder hier zu sein. Unterdessen bitte ich Sie, gar nichts in dieser Angelegenheit thun zu wollen. Wir werden dann weiter darüber sprechen.“

Der Agent empfahl sich und wir blieben zurück.

Ich sah William an. Der kleine Mann mit den ausdruckslosen Augen und der trockenen Redeweise hatte mir gar kein Vertrauen eingeflößt. Zudem erschien er mir zur Durchführung einer möglicher Weise gefährlichen Expedition zu schwächlich und energielos. Ich konnte nicht umhin, diese meine Bedenken zu äußern. William schüttelte jedoch seine aschfarbenen Locken.

„Maske, lieber Freund,“ sagte er kurz; „diese Augen sind schärfer als die des Adlers, und in seinem kleinen Körper hat der Mann Sehnen von Stahl. Er ist einer der besten Agenten, und wenn es ihm nicht gelingt, dem Betruge auf die Spur zu kommen, so vermag es Keiner.“

Bereits am Mittag des dritten Tages kam er wieder. Er hatte sich die Depeschenbücher des Telegraphenamts in New-York sowie in Elmira und Buffalo vorlegen lassen und die betreffenden Beamten scharf inquirirt, aber nichts ordnungswidriges entdecken können. Sein Gesicht zeigte einen Anflug von Verstimmung.

„Haben Sie in den letzten vier Jahren einen Wechsel in Ihrem Comptoir-Personal gehabt?“ fragte er, nachdem er seinen Bericht beendet hatte.

„Vor etwa drei Vierteljahren haben wir einen Commis entlassen, da er nicht pünktlich genug in seinen Pflichten war,“ gab William an Stelle seines Vaters zur Antwort; „sonst ist das Personal dasselbe geblieben.“

Mr. Carpe sah auf. „Haben Sie wieder etwas von dem Manne gehört?“

„Nein.“

„Woher kam er, als er bei Ihnen eintrat?“

„Er war in der Fabrik mechanischer und chemischer Instrumente von Norton und Compagnie in Narrowsburgh gewesen.“

Der Agent blickte lebhafter.

„Und wie sind Sie mit ihm aus einander gekommen.“

Mr. Burting zuckte die Achseln. „Nicht zum Besten,“ sagte er kurz; „er hatte sich Versäumnisse zu Schulden kommen lassen, und ich machte ihm einen Gehaltsabzug.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_118.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)