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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auf der einen Seite der Schale ziemlich ungeschickt eingekratzte Name sichtbar wurde, begann er nachlässig an der Krücke seines Wanderstabes zu schnitzen. Seiling aber hatte kaum einen Blick auf das Messer geworfen, als er, wie von Schwäche übermannt, sich an den Felsblock lehnte. In seinen Augen leuchtete es auf wie erwachende Wuth, um ebenso schnell wieder in einen Ausdruck gänzlicher Verzagtheit überzugehen. Klaas schabte und schnitzte unterdessen mit einem Eifer, als hätte er vor Einbruch der Nacht ein wichtiges Werk zu vollbringen.

So verrann eine Minute.

„Ich will Dich auf einige Tage beherbergen,“ entwand es sich endlich kaum vernehmbar den Lippen Seiling’s, „doch versprich mir –“

„Alles, was Du willst,“ fiel Klaas ein, und mit derselben Sorglosigkeit, mit welcher er bisher geschnitzt hatte, verbarg er das Messer wieder unter seiner Jacke, „’s ist wenigstens ein vernünftiges Wort. Aus den Tagen werden Wochen, Monate und Jahre, und es soll Dir nicht leid sein, mich in’s Schlepptau genommen zu haben.“

Seiling sandte einen verzweiflungsvollen Blick über das bewegte Meer. Ueber die Brandung schweiften Möven, und er beobachtete sie mit einem Ausdruck, als beneide er die sturmerprobten Vögel um ihre Freiheit. Dann schlug er die Richtung in die Schlucht ein. Klaas folgte ihm auf dem Fuße nach.

„Hattest immer einen guten Geschmack,“ spann dieser in heiterem Tone eine neue Unterhaltung an, „und wenn ich je in meinem Leben einen behaglichen Winkel sah, so ist’s diese Schlucht mit der Aussicht auf’s Salzwasser. Bei Gott, Maat, ’s geht nichts über ’n warmes Obdach, wenn’s draußen weht und regnet. Des Teufels will ich sein, wenn diese Kühlte nicht die Aequinoctialstürme einbläst.“

Er säumte, wie einer Erwiderung harrend. Da Seiling aber hartnäckig schwieg, nahm er seine Mittheilungen wieder auf. Vom Wetter ging er zu den Bäumen auf den nahen Abhängen über, und endlich zu dem sauberen Häuschen, an welchem er alle Vorzüge aufzählte, die dasselbe im Vergleich mit einer „schwimmenden Kraft“ auszeichneten. Auch der Herbstblumen und der Gemüse gedachte er, indem sie durch den Garten schritten, und als sie in das Haus eintraten, da seufzte er geräuschvoll auf, wie Jemand, der nach schwerer Arbeit das Ziel vieljähriger Wünsche erreichte.




2.

Zwei Stunden Wegs war die braune Kordel Vormittags gewandert, zwei Stunden Wegs bald durch Wälder, bald über Felder, endlich auf der bekannten Landzunge am Fuße einer langgereckten Dünenreihe hin, dann wieder durch einen lichten Waldstreifen, und vor ihr lag ein kleines Fischerdorf. Bevor sie in dasselbe eintrat, kehrte sie sich der See zu, welche sie von ihrem etwas erhöhten Standpunkte aus bis zur heimatlichen Schlucht hin zu überblicken vermochte. Noch regnete es nicht, aber sie erkannte, daß sie in der Erwartung eines trockenen Tages sich bitter getäuscht hatte. Denn am Himmel braute und wirkte es bereits, und dicker quoll es in der Richtung auf, aus welcher der Wind die See’n landwärts zu trieb. Die Boote hatte man nach dem Strande hinauf gezogen; kein Mann befand sich draußen. Dagegen war die Brandung hier auf der geschützten Seite der Landzunge eine nur mäßige, wenigstens keine solche, daß ein tüchtiger Schiffer sich in seinem Boote nicht hätte hinauswagen können.

Dies Alles beobachtete Kordel mit ruhiger Ueberlegung. In ihren dunkeln Augen prägte sich sogar heimliche Freude aus, welche sie beim Anblick der wild bewegten Wasserfläche empfand. Unwillkürlich warf sie das ihr Haupt schützende Tuch zurück, und ihr jugendschönes Antlitz dem Wetter zukehrend, schien sie mit Wollust die kühle, feuchte Luft einzuathmen. Indem aber ein Windstoß das Tuch auch von ihren Schultern riß und an den flatternden Röcken zerrte, traten die Umrisse einer Gestalt zu Tage, welche man mit der einer Meergöttin hätte vergleichen mögen. Dazu die stolze Haltung, der ruhige Blick und der Zug von Trotz um den lieblichen Mund – es war in der That nicht zum Erstaunen, wenn die jungen Männer weit und breit um ein freundliches Wort von ihr gern ihre fünf Meilen gingen.

Nach einer Weile kehrte sie sich dem nächsten kleinen Garten zu, in welchem, eingenestelt zwischen mehreren Obstbäumen und umfangreichem Holundergebüsch, eine aus lehmgefülltem Fachwerke bestehende Hütte lag. Beim Anblicke des bescheidenen Heims milderte sich der Trotzeszug um ihre Lippen; ernster, sogar mitleidig schauten ihre Augen, indem sie die niedrige Lattenpforte öffnete und in den Garten eintrat. Vor dem einzigen Fenster der Hütte blieb sie stehen.

„Mutter Seger, da bin ich selber,“ rief sie durch die kleinen Scheiben hinein, und schnell schritt sie nach der Hausthür herum, deren obere abgesonderte Hälfte offen stand. Leicht öffnete sie den Fallriegel der unteren, und über einen engen Flur gelangte sie vor die Thür des Zimmers, in welches sie eben hineingerufen hatte.

„Ja, Mutter Seger, da bin ich selber,“ wiederholte sie eintretend, und zugleich stellte sie ihren Handkorb auf den nächsten Schemel, „aber ich fürchte, heute bleibt das Wetter mir nicht treu. Es zieht am Himmel herauf wie nichts Gutes, und wenn ich je in meinem Leben naßgeregnet bin, so geschieht’s heute noch.“

„Kordel!“ antwortete die alte Fischerfrau, deren weiße Haube eine Trauerschleife trug, – trotz Wind und Wetter –“ sie wollte sich von ihrem hölzernen Armstuhl erheben , als Kordel vor sie hintrat, ihre beiden Hände ergriff und sie hinderte.

„Bleibt sitzen, Mutter Seger!“ sprach sie freundlich; „aber es ist immerhin ein gutes Zeichen, daß Ihr Euern Füßen etwas zutraut. Es muß also doch besser gehen.“

„Nun ja, ein kleines Wenig,“ antwortete die Fischerfrau, und auf dem gramdurchfurchten, verwitterten Antlitze gelangte ein schmerzliches Lächeln zum Durchbruch. „Ganz gut wird es schwerlich jemals wieder werden, und mit meinem Arbeiten ist’s vorbei. So lange habe ich Nässe und Kälte ertragen, meldet sich aber die Gicht erst an, so hilft kein Doctor. Mein Mann warnte mich, so oft ich mit ihm hinaus wollte, und jetzt, da er hinüber ist, sehe ich ein, wie Recht er hatte. Ja, wenn der noch lebte!“

Kordel hatte einen Stuhl vor ihre alte Freundin hingezogen, und wiederum deren Hand ergreifend, sprach sie tröstlich: „Gewiß ist’s ein großes Unglück, daß der starb; aber verlassen und elend seid Ihr deshalb nicht. Auf böse Tage folgen bessere, und unsere Freundschaft ist eine zu alte, als daß Eine die Andere vergessen könnte. Dort in meinem Korbe ist Mancherlei, was Euch gut thun wird. Auf fremde Leute seid ihr ebenfalls nicht mehr allein angewiesen,“ fügte sie hinzu, als sie bemerkte, daß helle Thränen über die Wangen der alten Frau rannen. Dann schaute sie um sich, wie befürchtend, mit der letzten Andeutung zu viel gesagt zu haben.

„Nicht mehr allein,“ hieß es zurück, „und eine Gnade vom Himmel ist’s, daß mein Sohn heimkehrte. Leider kam er nicht früh genug, um seinem Vater die Augen zuzudrücken. Nur das Grab fand er, eine kranke Mutter und so viele Schulden, daß seine Ersparnisse nicht den vierten Theil deckten. Wird wohl eine Weile schaffen müssen, bevor er freier Herr unter seiner Eltern Dach ist: es hätte noch schlimmer werden können, denn Keiner wußte, wohin ihm ein Brief nachzuschicken gewesen wäre. Er meinte, eine Ahnung wäre über ihn gekommen, daß er in China Heuer auf einem heimwärts segelnden Schiffe nahm. Jetzt verdient er leidlich hier seines Vaters Brod und hantiert, daß es ihm Keiner gleich thut.“

„Ich weiß,“ versetzte Kordel hastig, „fuhr er mich doch oft genug hinüber. Heute wird’s indessen schwerlich gehen. Das Meer geberdet sich wie ein eigensinniges Kind und Hauben streifen sich die See’n über, noch weißer, als die Eurige.“

„Sorge nicht,“ entgegnete die alte Frau, und in ihren trüben blauen Augen gelangte etwas von der angestammten Vorliebe für das Element zum Ausdruck, welchem sie so lange ihren Erwerb verdankte.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_128.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)