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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Doris fühlte, wie die Bewegung ihm den Athem versetzte.

„Da wurde mir denn gesagt, daß Du ein schönes Kleid angezogen habest und Dich hier vergnügtest.“

„Es ist kein Vergnügen, Erich.“ Doris stöhnte diese Worte mehr, als sie dieselben sprach.

„Wir kommen gerade recht; man setzt sich eben zu Tische.“

„Wir wollen nicht fort, Erich?“

„Nein, wir bleiben. Ich sagte Dir doch, daß ich mich auch amüsiren will.“

„Allein ich will nicht. Ich bitte Dich, Erich.“

Sie wollte sich von seinem Arme losmachen. Er aber preßte diesen an sich, und ebenso zwingend klang sein Wort. „Du bleibst!“

So gingen sie nach dem Landhause; der Weg dahin war dunkel. Wenn Erich nicht seine Schritte angehalten hätte, würde Doris nicht bemerkt haben, daß sich bei ihrem Nahen eine männliche Gestalt aus dem Wege in das Gebüsch drängte. Ihre Nerven waren derart afficirt, daß sie das Fallen eines Blattes erschreckt haben würde. Ihre Blicke gingen unwillkürlich nach der Gestalt. Sie hatte den Mann nie gesehen; wäre er bei der Zahl der Gäste gewesen, würde sie ihn gekannt haben. Aber ihrem Manne schien er bekannt zu sein, denn er trat auf den Unbekannten zu; derselbe legte wie salutirend die Hand an die Mütze. Erich sagte nichts, machte nur eine Geberde des Einverständnisses und setzte dann seinen Weg mit Doris fort.

Sämmtliche Gäste waren im Landhause versammelt. Es war unter ihnen jene lärmende, unbehagliche Stimmung verbreitet, die jedem Tischplacement vorangeht. Die Geheimräthin warf wüthende Blicke auf ihre Tochter, daß diese Herrn von Rechting sich zum Tischnachbar erkoren und damit die Absichten der Mutter durchkreuzt hatte, die natürlich den Platz an der Seiten des Präsidenten für sie bestimmt hatte, und dazu machte der Geheimrath ihr noch Vorwürfe, daß sie ihn vor zwei eng an einander gerückte Tischbeine gesetzt hatte. Rechting zog einen Augenblick eine finstere Stirn, als er sah, wie Lideman seiner Frau den Arm bieten wollte. Er schien zufrieden, als er sah, wie diese mit einer geschickten Bewegung diese Absicht vereitelte und am Arme des jungen Lichtner zu Tische ging. Aber zuletzt ist Essen und Trinken der beste Regulator für die Stimmung.

Während die Dienerschaft des Präsidenten die Platten unter den Gästen umherreichte, flüsterte die Geheimräthin ihrem Manne immer etwas in’s Ohr. Dann, als er gar nicht darauf einzugehen Lust zeigte, stieß sie ihn an – erst leise, dann stärker.

„Ja doch, mein Engelchen, ich will ja, wie Du willst – aber warte nur bis zum Sect! Das heißt, ich hoffe doch, daß es Sect geben wird. Siehst Du, da ist er schon.“

Man brachte die Flaschen in Eiskübeln. Die Diener gingen mit den Flaschen um den Tisch und gossen ein. Der Geheimrath trank einige Gläser bis auf die Nagelprobe aus.

„Menagire Dich,“ flüsterte seine Gattin ihm zu, „denn sonst kannst Du nicht reden.“

„Später, später, meine Nachtigall.“

„Nein, nein, jetzt will ich.“

Und sie ließ von einem silbernen Löffel das Glas erklingen und gab ihrem Manne einen leisen Stoß, zum Zeichen, daß der feierliche Moment des Sprechens gekommen sei. Als gehorsamer Ehemann erhob sich dann der Geheimrath und begann nach einigen Augenblicken tiefen Sinnens:

„Meine verehrten Freunde und theuren Gäste. Ich muß Ihnen eine höchst erfreuliche Nachricht mittheilen –“

„Was ist Ihnen, liebe Else?“ flüsterte Erich der Tochter des Ehepaares zu. Er hatte soeben gefühlt, wie sich die Hand des Mädchens krampfhaft auf die seine legte.

„Meine Verlobung mit dem Präsidenten soll verkündet werden,“ war ihre fast klanglose Antwort. „Eher gehe ich in’s Wasser.“

Erich blickte sie an und ließ das Auge so lange auf ihr weilen, bis der Geheimrath den verlorenen Faden wieder gefunden hatte.

„Eine höchst erfreuliche Nachricht,“ fuhr Else’s Vater fort, „die Sie alle auf das Angenehmste überraschen wird –“

Aller Augen hingen an seinen Lippen, er aber schwieg wieder, den Gedanken im Innern suchend, bis die Geheimräthin ihm zuflüsterte – dann von seiner Seite neuer Anlauf:

„Einer unserer strebsamsten und verdienstvollsten Männer – eine Familie, die Sie alle kennen –“

Neues Stocken – und tiefer Blick in das vor ihm stehende Glas voll perlenden Sects. Nun aber erhob sich Rechting und ergriff statt seiner das Wort:

„Was mein Herr Vorredner, bewegt und überwältigt von freudigen Gefühlen, Ihnen, meine Herrschaften, mitzutheilen nicht fähig war, das mögen Sie aus meinem Munde erfahren! Ja wohl – einer unserer strebsamsten, verdienstvollsten Männer, der liebenswürdige Wirth dieses Hauses, Herr Geheimrath von Wandelt, ist in Anerkennung seiner hohen Verdienste um den Staat mit dem Stern des Verdienstordens zweiter Classe von unserem allergnädigsten Herrn ausgezeichnet worden. Herr Geheimrath von Wandelt lebe hoch!“

Allgemeines Hoch und Gläserklingen! Dem Geheimrath blieb fast das Gesicht stehen, vor Erstaunen, vor Rührung.

Seine Frau theilte diese Empfindung indessen nicht; sie hätte den unliebsamen Unterbrecher mit ihren Blicken in die Erde bohren mögen. Was hatte sie von dem Sterne, wenn ihr der Coup mit der Tochter mißglückt war! Der günstige Augenblick, der ganze Effect war dahin. Aber wie bewegt drückte Else dem Sprecher die Hand – wie dankerfüllt! Gerührt fiel der Geheimrath dem jüngeren Collegen in die Arme.

„Wenn Sie wüßten, wie lange ich nach diesem schönsten aller Gestirne geschaut habe! Alle Collegen hatten ihn schon an der Brust; nur ich nicht – Und jetzt – aber woher wissen Sie denn? Natürlich vom Minister!“

„Sie haben es errathen.“

„Constanze, Geheimräthin, wie wird Dir? Du hast jetzt einen gesternten Mann.“

„Ja, daß Du einen Stern hast, leider Gottes! das merke ich; denn sonst hättest Du die Geschichte nicht so albern anfangen können. Deine Gedankenschwachheit – die wird immer bedenklicher. Und was der Stern zu bedeuten hat, das weiß ich. Nächstens kommt Deine Pensionirung. Und dabei keine Partie für unser Kind!“




8.

Nach Tische zerstreute sich die Gesellschaft in den Garten. Der Präsident hatte noch für Ueberraschungen aller Art gesorgt, um seine Gäste zu ergötzen. Auf dem Wasser schwammen flammende Schwäne; Blumen- und Pflanzengruppen stiegen in farbigem Lichte aus der Nacht auf, wie hervorgezaubert aus tiefem Schatten in glühendes Licht, und aus Bosquets schmetterten plötzlich fröhliche Fanfaren einer vollen Regimentsmusik, die Festlust der Gäste mit bekannten heiteren Melodien beschwingend.

Durch einen seiner Diener wurde Lideman abgerufen. Der Mann hatte ihm etwas in’s Ohr geflüstert und nach einem kleinen Pavillon gezeigt, der in der Nähe des Landhauses lag. Mit einer gewissen Hast schlug Lideman die Richtung nach dem Pavillon ein. In den Schatten des Gebäudes tretend, schien er Jemand zu suchen. Niemand war da. Im Begriffe, sich eben wieder zu entfernen, wurde er plötzlich von einem jungen Menschen angeredet, der eine Mütze mit irgend einer Auszeichnung trug. Es war keine militärische, sondern eine, wie sie die Diener größerer Häuser tragen.

„Pechner, was thun Sie hier?“ war die hastige, fast erschrockene Anrede an den jungen Menschen. „Habe ich Ihnen nicht verboten, zu mir zu kommen, wenn Leute bei mir sind?“

„Ja, ja,“ flüsterte der Andere, „aber wenn Gefahr im Verzuge ist –“

„Gefahr? Unsinn! Wie so?“

„Mein Herr scheint den Braten gerochen zu haben. Er fragte diesen Abend nach dem Schriftstücke und nahm mich in’s Gebet. Aber ich – ich leugnete Alles.“

„Daran haben Sie recht gethan. Bleiben Sie dabei! Aber nun gehen Sie und seien Sie vorsichtiger!“

Lideman drückte ihm etwas in die Hand. Der Bursche wollte sich entfernen, aber dann kehrte er noch einmal um.

„Heute Morgen,“ sagte er, „sah ich den Polizei-Präsidenten aus dem Zimmer meines Herrn kommen und hörte, wie er beim Abschiede zu diesem sagte: ‚Es ist bereits Jemand abgeschickt worden, um an Ort und Stelle die Sache zu untersuchen, weitere Spuren des Schuldigen zu verfolgen. Wir werden wohl auf seine Fährte kommen.’“

„Still, still!“ Man kommt.“

Damit drängte er den Burschen auf die Straße hinaus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_138.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)