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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

alsbald in der süßesten Vogelweise, vom Meistersinger Niklas Vogel aufgebracht, zu den Fenstern des „Bitterholz“ hinauf, wo der Brandenburger Markgraf mit dem Bischofe dem fröhlichen Getümmel zuschaut:

„Trara! trara! trara!
Der wilde Schatz ist da.
Kommt ihr ein Freier nah,
Den sie sich gern ersah,
Führt sie ihn fort, trara!“

Der Bischof droben lacht. „Das ist Eure Jagdgöttin, Markgraf, hütet Euch vor ihren Netzen!“

„Bannt das Ungethüm!“ entgegnet der Fürst, „aber nur heute nicht, damit die Narren nicht irre werden! Bibamus!“ Dabei neigen Beide den vollen Pokal gegen Frau Holda und leeren ihn bis zum Grunde.

Da tönt es plötzlich von der Narrenfuhre: „Fastenfleisch! Fastenfleisch!“ Der Ausruf gilt mehreren als Beguinennonnen verpuppten Schembartläufern.

„Für Narren ist’s zu theuer,“ ist ihre schlagfertige Antwort.

„Das ist Bischofsfleisch,“ grinst Schäuffelein unter seinem Todtenschädel zum Prälaten hinauf.

„Wir lassen Dir’s, Klapperbein, wir lassen Dir’s,“ lacht der Bischof, „sind gar nicht neidisch darauf.“

Immer toller wird das Gejohle; da taucht mitten aus dem Gedränge plötzlich eine schwarze Gestalt auf. Es ist ein Prädicant der neuen evangelischen Lehre. Entbehrungen aller Art liegen auf dem fast asketischen Gesichte, seine Worte aber, so scheint es, werden von dem Volke, obgleich sie gegen das lustige Treiben als ein Ueberkommen aus dem Lande des päpstlichen Antichristes gerichtet sind, gierig aufgefangen. Mit der Ermahnung, allen weltlichen Firlefanz abzuthun und eingedenk zu sein der wahren Liebe des Evangeliums, schließt er eben seine weithinschallende Predigt, als sich zwei Bettelmönche mit weingerötheten Gesichtern durch die Menge drängen, um ihn von der improvisirten Kanzel herabzureißen. Zu tief aber schon ist die neue Lehre in’s Volk gedrungen, zu sehr verhaßt und verachtet sind die liederliche Mönche. Derbe Fäuste werfen sie in den Straßenstaub – der junge Prädicant aber verschwindet mit einem Bürger unter dem Thorbogen des nächsten Hauses.

Schmetternde Trompeten verkünden einen neuen Schembartzug. Diesmal sind es lediglich Patriciersöhne, welche durch das Spittlerthor in glänzendem Aufzuge nahen. Voran Vermummte, welche theils Nüsse unter das Volk werfen, theils mit ihren Pritschen und Feuerkolben dem Zuge Platz machen, hierauf Reiter in reiche orientalische Tracht gehüllt. Sie tragen vorn auf dem Pferde bunte Körbchen, welche Eier enthalten, die mit Rosenwasser angefüllt sind. Lustig fliegen die Eier hinauf in die von blühenden Dirnen besetzten Fenster; für die Zuckerkügelchen aber, welche diese, nach einer aus Italien heimgebrachten Sitte, auf die Köpfe der Reiter regnen lassen, ergießen die Eier ihren wohlriechenden Inhalt über die goldenen Riegelhäubchen und „es hat dieses gar schön geschmecket“, fügt der Chronist mit großem Behagen hinzu. Einer der nächstfolgenden Schembartläufer erregt durch seine zeitgemäße Maske donnernden Volksjubel. Das Kleid des Schalkes besteht aus lauter Ablaßbriefen mit daran hängenden Siegeln und geißelt so auf das Beißendste Tezel’s berüchtigten Ablaßhandel. Ein Teufel, der die bösen Weiber frißt, ein Backofen, in welchem allerhand Narren gebacken werden, eine Karthaune, die böse Weiber schießt, erregen nicht mindere Heiterkeit, als die volksthümliche Alte-Weiber-Mühle.

Sechs Syringen mit Panflöten, darauf zwölf Hirten mit Schalmeien und vierundzwanzig Hirtenmädchen, welche das Lied singen: „O daß mein Liebchen ein Nelkenstock wär’“, dann vier als Hirtenmädchen gekleidete Lorenz-Schüler, welche mit heller Stimme das alte: „Hoc in monte vivo fonte potantur oviculae etc.“ intoniren, verkünden den als Kern eines in Gold und Seide strahlenden Zuges erscheinenden Venusberg sammt dem ganzen Venushofe. Auf einem mit Tauben bespannten, vergoldeten Muschelwagen, umgeben von schönen Jungfrauen, sitzt in silberschimmernder Tracht, das in langen Wellen herabfallende goldblonde Haar mit einer diamantenen Agraffe zusammengehalten, Frau Venus und zu ihren Füßen der edle Ritter Tannhäuser. Vielerlei lustige Zeisige aber umlagern den Venushof und Herrn Tannhäuser, indem sie singen:

Bibant, bibant,
Vivant, vivant,
Omnes aeternaliter!


(„Trinken mögen,
Leben mögen
Sie in alle Ewigkeit!“)

Da erscheinen zwölf fastnachtselige Metzgergesellen, als Pfaffenköchinnen in gelbe Schleier verpuppt, eine Riesenwurst mit allerlei Grün artig verziert an langer Stange tragend. Ulrich, der mit seiner Fuhre bald hier, bald dort erscheint, kann die Störung des Zuges nicht dulden. Auf seinen Wink greifen die Apotheker und Bader auf der Fuhre zu ihren großen Spritzen und spritzen so kräftig in die Pfaffenköchinnen hinein, daß diese schnell das Weite suchen.

Neuer Jubel ertönt vom Kornmarkte her. „Der Zwergenkönig kommt!“ tönt es alsbald aus dem Munde von sechs heranspringenden Markolfen. Auf einem mit Goldstück und rother Seide geschmückten Wagen, inmitten schöner Rosenbüsche, welche den Rosengarten darstellen, sitzt Laurin, der Zwergenkönig. Mit der Linken auf das blanke Schwert gestützt, fächelt er sich mit der Rechten vermittelst eines prachtvollen Pfauenwedels Luft zu. Jetzt grüßt er mit anmuthiger Geberde Fürsten und Herren sowohl, wie die schönen prächtig gekleideten Geschlechtertöchter, und als nun Alles, was vornehmen Standes, sich an der Fürstenherberge versammelt, erscheint der als Bacchus vermummte Schenkwirth der Herrentrinkstube, einen goldenen Stern als Weinzeichen seinen Herren vorantragend. Alsbald zieht der Venushof sammt dem Rosengarten diesem Sterne nach, voran die Fürsten mit ihren Schenken, welche Becher und Kannen tragen, auch auf einem Wäglein zwei schwere Fässer nachführen, die, roth und mit grünen Reifen bemalt, in ihrem weiten Innern den edelsten Leistenwein bergen und von dem hochedlen Rathe heute den Fürsten als Gastgeschenk durch Lazarus Spengler, den weitberühmten Rathsschreiber, verehrt werden.

Neues Gelächter und donnernder Jubel aber künden, daß sich mit der sogenannten „Hölle“ das alljährlich wiederkehrende, den Schluß bildende Hauptstück des Schembarts naht. Von Sprühfeuern aller Art umgeben, steht ein dicker Pfaff inmitten der „Hölle“ und hält statt des Meßbuches ein Brettspiel in den Händen. Ein Doctor in rothem Talar, ein Narr in buntem Lappenkleide, sowie allerlei Teufelsmasken umlagern ihn, und unter den lustigen Klängen der Stadtpfeifer geht der Zug zum Rathhaus, wo nach alter Sitte die „Hölle“ vom Volke gestürmt und verbrannt wird.

Hiermit ist der Schembart zu Ende. Die Sonne nähert sich ihrem Untergange und wirft immer längere Schatten längs den Häusern. Das verdächtige Gesindel hat die Stadt verlassen müssen; die Thore sind geschlossen, und auf den Straßen wird es immer stiller, desto lauter aber geht es in den Herbergen und Trinkstuben zu. Aber auch des Trinkens scheint es allmählich genug zu werden. Der Patricier verläßt die wappengeschmückte Trinkstube und schreitet unter dem Vorleuchten bewaffneter Knechte seinem burgähnlichen Hause zu. In noch späterer Stunde wankt der Handwerker von seiner Zunftstube, durch die energische Hausfrau zur endlichen Heimkehr angetrieben. Ein reicher Metzger aber läßt sich von den Spielleuten zum Heimgange aufspielen, und mag die Sackpfeife auch noch so verstimmt durch die nächtigen Gassen klingen, es ist ihm doch ein würdiger Schluß des heutigen Tages.

Immer seltener wird das Licht hinter Erkern und Fenstern, dafür aber steigt zwischen den schlanken Münsterthürmen von St. Lorenz der Mond in voller Pracht auf. Auch sein Gesicht – so will es dem zuletzt Heimwankenden dünken – lacht fastnachtselig auf die allmählich entschlummernde Stadt herab, deren Straßen jetzt nur noch vom Tritt der Nachtrunde und ihrer auf dem Pflaster nachschleifenden Partisanen wiederhallen. Dann verklingt auch dieses Geräusch. Aus ferner Gasse aber rollt das Wägelein herbei, welches ein hochweiser Rath aus väterlicher Fürsorge bestellt, um seine vom Bacchus allzusehr bewältigten Bürger aufzulesen und unter die schirmende Obhut der heimischen Penaten zu bringen.

Das letzte Schembartlaufen, von welchem uns Hans Sachs im ersten Theil seiner Werke eine poetische Beschreibung hinterlassen, fand um 1539 statt. Der Schalk, welcher den Pfaffen in der „Hölle“ darzustellen hatte, erschien in seinem Aeußern dem durch Intoleranz sowohl, wie auch durch seinen Eifer für die Einführung des Luthertums zu damaliger Zeit vielgenannten Prediger Dr. Osiander so ähnlich, daß dieser eine geharnischte Beschwerde beim Rathe erhob, dabei auf ein immerwährendes Verbot des Schembartlaufens drang und dasselbe auch durchsetzte.


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