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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Sieg war so glänzend, die Niederlage der Regierung so furchtbar, wie sie keine seit 1852 erlitten hatte, ja so niederschmetternd, daß sie im nächsten Jahre gelegentlich der allgemeinen Wahlen es nicht mehr wagte, neben Grevy einen Gegencandidaten aufzustellen. Er wurde Präsident der Gauche fermée im Gegensatze zu der Gauche ouverte von Ernst Picard, welche sich schon mehr dem linken Centrum näherte, und stand in starrer Opposition zum Kaiserreiche, ohne daß er von sich viel reden machte. Nur einmal stimmte er mit der Regierung; das kam so: wenige Monate vor Ausbruch des Krieges hatten die Orleans eine Petition an das Abgeordnetenhaus gerichtet um Aufhebung ihres Exils. Thiers hatte das ausgeheckt und die Opposition größtenteils gewonnen, der es nur erwünscht kam, einen Streich gegen das Kaiserreich zu führen und dann galten ja die Prinzen des Hauses Orleans für liberal, und der Prinz Aumale empfing die Republikaner in Twickenham um die Wette mit dem „rothen Prinzen“. Aber Grevy war nicht von der Partie; er stimmte mit der Regierung dagegen „da er keinem Prätendenten die Stange halten wollte“.

Der Sturz des Kaiserreichs und seine Nachfolge scheinen nicht nach Grevy’s Sinn gewesen zu sein, und trotz dem Andrängen seiner Freunde, und obgleich er die Mission erhielt, mit der Regierung im Stadthause in Verbindung zu treten und an der Wahl der „Vertheidigungsregierung“ Theil zu nehmen, unterließ er Beides und ging nach Tours. Von hier aus reclamirte er während des Krieges die Einberufung einer Constituante und protestirte gegen die Auflösung der Generalräthe durch Gambetta. Die Zwei sympathisirten niemals mit einander, und wäre des Exdictators Wunsch und Hoffnung in Erfüllung gegangen, so säße heute der greise Dufaure und nicht der vollkräftige Grevy im Elysée. Die Versammlung von Bordeaux erwählte ihn mit 519 Stimmen von 538 zum Präsidenten; dem Abgeordnetenhause präsidirte er aber vom Februar 1876 bis zum 30. Januar 1879. Seine letzte Amtsverrichtung als Präsident war die Mittheilung des Briefes Mac Mahon’s, worin dieser seine Abdankung als Präsident anzeigte und begründete.

Es war am 30. Januar dreieinhalb Uhr, als Grevy den Brief verlas (zu derselben Zeit theilte der Präsident des Senats gleichfalls denselben mit); dieselbe Stille während und nach der Verlesung – kein Ausdruck des Bedauerns, kein Beifallszeichen! Der Präsident verliest die Paragraphen 3 und 7 der Constitution, wonach sich bei Vacanz der Präsidentschaft die beiden Kammern unter dem Präsidium des Senats zu vereinigen und zur Wahl des neuen Präsidenten zu schreiten haben. Die Sitzung wird auf eine Stunde aufgehoben, sie hatte nur sieben Minuten gedauert; der Saal wird geräumt. Die Deputirten und Senatoren eilen an’s Büffet, das Publicum in die Restaurationen, indeß wird der Saal eingerichtet: das heißt es werden noch drei bis vier Bänke in den Halbkreis gestellt, welcher die Tribüne umschreibt, und Stühle so viele und wo sie nur immer anzubringen sind.

Es schlägt viereinhalb Uhr; der Saal ist gefüllt, die Tribünen sind von den schönsten Frauen und von jenem tout Paris besetzt, das bei ähnlichen Veranlassungen niemals fehlt, das diplomatische Corps ist in allen seinen Spitzen vertreten. Jetzt ertönt Trommelschlag; die Huissiers erscheinen, ihnen folgt das Präsidium des Senats. Die Deputirten und Senatoren sitzen, wie sie der Zufall placirt: Rouher neben Victor Hugo, Dufaure an der Seite von Naquet, Gambetta auf der Ministerbank. Nachdem der Präsident, Martel, nochmals die Abdankung des Herzogs den vereinigten Häusern mitgeteilt hat, schreitet er zur Abstimmung. Als Dufaure auf der Tribüne erscheint, seine Stimme abzugeben, begrüßt ihn eine dreifache Beifallssalve; um sechsdreiviertel Uhr ist die Abstimmung vorüber, um sieben Uhr fünfundzwanzig Minuten die Stimmenprüfung vollendet. Mit 563 Stimmen von 622 ist Grevy zum Präsidenten der Republik auf sieben Jahre erwählt. Die Verkündigung seiner Wahl löst einen Beifallssturm im ganzen Hause, nur die Rechte bleibt still. Im Verlaufe von vier Stunden hatte Frankreich seinen Herrscher gewechselt.

In diesem Frankreich, wo seit schier hundert Jahren kein Regierungswechsel sich vollzog, ohne daß das Blut seiner Söhne die Straßen der Hauptstadt tränkte, hat sich heute derselbe in der kurzen Frist von vier Stunden abgespielt – just Zeit genug, um ein nicht zu üppiges Mahl zu verdauen – und die Läden in Paris waren nicht geschlossen; der friedliche Bürger zitterte nicht in seinem Heim; keine Schüsse fielen; keine Barricaden wurden gestürmt. Die Börse blieb ruhig; in allen Werkstätten wurde gearbeitet, in allen Theatern gespielt! … So geschehen im zehnten Jahre der dritten Republik, am 30. Januar 1879.




Aus den Schreckenstagen zu Teplitz.


Ein Erdbeben, eine Feuersbrunst während eines Orkans, vielleicht selbst das Ausbleiben der Sonne hätte nicht eine so hochgehende Aufregung in der uralten Thermenstadt Teplitz hervorbringen können, wie das plötzliche Verschwinden der Stadtquelle, der starken Hauptquelle in der Nacht vom 12. zum 13. Februar.

Am 12. Abends erhob sich ein plötzlicher Sturmwind, der in kurzen, starken Stößen über das stattliche Teplitz dahinfuhr, und wenige Minuten später verlor die Quelle, die seit Menschengedenken brausend aus zwei Löwenköpfen in der Stärke zweier Mannesarme hervorschoß, ihren Druck und rann, wie ein gebrochenes Leben, schwach und unregelmäßig.

Die Beamten der Stadt und des Stadtbades durchwachten eine bange Nacht. Wie das Bett eines Sterbenden umstanden sie die uralte Quellenfassung, belauschten jede Veränderung, jede Fluctuation, wie der Arzt den Pulsschlag eines Kranken, um endlich eine Art Todesröcheln zu vernehmen, mit welchem die Quelle in die Erde zurücktrat. Früh gegen 8 Uhr rannen die letzten Tropfen aus der Mündung, und damit waren sämmtliche Bäder der Stadt Teplitz ohne jenes köstliche Gut, von dem Hunderttausende mit dankerfülltem Herzen sprechen; nur das beim benachbarten Badeorte Schönau liegende Steinbad hatte, gleich den sämmtlichen Schönauer Quellen (Schlangenbad, Neubad und Wiesenbad) sich in der bisherigen Kraft und Fülle erhalten.

Man konnte das schwere Unglück nicht fassen; am allermeisten lehnte man sich gegen die Annahme auf, daß die Quelle in die ersäuften Schächte bei Dux, die zwei Stunden entfernt sind, abfließe. Jede Sensationsnachricht wurde nach Kräften unterdrückt, an das Stadtbad heftete man Zettel an: „Wegen Reparatur geschlossen!“

Eine solche Katastrophe drängt sich nicht in die Sinne, wie ein Brand oder eine Ueberschwemmung; seine volle Größe zu ermessen, muß den rechnenden Gedanken der Betheiligten überlassen bleiben, aber auch dem Unbeteiligten wird das Herz schwer, wenn er die Straßen durchwandelt, die langen Bäderreihen, die stattlichen Häuser, die Paläste, die vielen großstädtischen Geschäfte betrachtet, die gar nicht im Verhältniß zur Einwohnerzahl der Stadt stehen, wenn er das kleine, prächtige Theater, die Hunderte von Gasthöfen und Wirthschaften, Promenaden und öffentliche Einrichtungen aller Art auf seinen Wegen antrifft. Das Alles sind Schöpfungen, die im Vertrauen auf die berühmte Heilquelle in’s Leben traten, welche nach einer Inschrift im Stadtbad 1100 Jahre in reicher Segensfülle sprudelt – und nun? –

Der Chronist Bohuslaus Balbin erzählt in einem Werke, das vor 200 Jahren gedruckt wurde, die Teplitzer Quellen seien in grauer Zeit einmal ausgeblieben, weil die Badeverwaltung – Badegeld erhoben und erst nach Aufhebung dieser Abgabe sei die erzürnte Quelle wieder erschienen. Mit Recht vermutet man, er habe nur gegen die erneute Einführung von Badegeld agitiren wollen und darum das Märchen erfunden.

Während des Erdbebens zu Lissabon am 1. November 1755 blieb die Quelle eine Minute, nach andern fünf Minuten aus, um gleich darauf mit stärkerer Macht wieder hervorzubrechen und die sämmtlichen Bäder, die sie speist, zu überschwemmen. Seit diesem Tag, der übrigens die Quelle zu Natters in Tirol ganz verschwinden ließ, ist die Teplitzer Quelle unangefochten geblieben, wenn auch ihr Druck nachgelassen haben soll. Die Befürchtung, daß durch die Kohlenschürfungen in der Teplitzer Gegend einmal eine Katastrophe über die Stadt hereinbrechen könne, theilten schon Viele. Professor Dr. Reuß warnte bereits vor zwölf Jahren vor einem möglichen Unglück, und ein jüngst verstorbener Dr. Hering

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_164.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)